Beleidigungen auf Social-Media-Plattformen – ein neues Phänomen oder ein altes gesellschaftliches Problem im neuen Gewand? Eine aktuelle bidt-Studie zeigt, inwieweit Social-Media-Nutzerinnen und -Nutzer von Beleidigungen offline und online betroffen sind und wie sie auf Onlineangriffe reagieren. Die Ergebnisse legen dar, dass Betroffene Beleidigungen nach wie vor häufiger in der Offline- als in der Onlinewelt erfahren. Im Umgang mit Beleidigungen online zeigt sich, dass knapp jede oder jeder zweite Betroffene noch nie einen beleidigenden Onlinebeitrag gemeldet hat. Mangelndes Interesse, Rechtsunsicherheit und Aussichtslosigkeit sind nur einige der Gründe, warum Nutzerinnen und Nutzer von einer Meldung absehen.
Vor dem Hintergrund des geplanten Gesetzes gegen digitale Gewalt geht das Forschungsteam im Projekt „Herausforderungen der Regulierung digitaler Kommunikationsplattformen“ des Bayerischen Forschungsinstituts für Digitale Transformation (bidt) in einer aktuellen Befragung der Frage nach, ob Nutzerinnen und Nutzer von Social Media Beleidigungen wahrnehmen, erfahren und ob sie bestehende Beschwerdemechanismen kennen und nutzen.
Im Juni und Juli 2024 befragte das Marktforschungsinstitut Ipsos im Auftrag des bidt 5.000 in Deutschland lebende Personen ab 18 Jahren mit Internetzugang, die mindestens einmal in der Woche Social Media (Instagram, Facebook, TikTok, Snapchat, X oder/und LinkedIn) nutzen.
Eine Besonderheit der Studie im Vergleich zu bestehenden Erhebungen ist, dass ihr Fokus auf Beleidigungen liegt, die im juristischen Sinne eindeutig als nicht zulässig zu klassifizieren sind (sogenannte Persönlichkeitsrechtsverletzungen). Dies wurde im Fragebogen konkret definiert1 und ermöglicht eine sehr viel präzisere Einschätzung des Phänomens. Vergleichbare Studien differenzieren häufig nicht zwischen den verschiedenen Beleidigungsformen und können somit keine Aussagen über die rechtliche Würdigung und Zulässigkeit der wahrgenommenen Äußerungen treffen. Diese spezifische Abfrage ermöglicht die Identifikation von Fällen, die schnell und effektiv gelöscht werden müssen, ohne dass lange Abwägungen erforderlich sind.
Beleidigungen sind kein alleiniges Problem der Onlinewelt
Knapp 60 Prozent der Befragten (n = 4.289) berichteten, dass sie in den letzten sechs Monaten gesehen haben, dass jemand anderes auf Social Media beleidigt wurde.
Gut 20 Prozent (n = 4.434) gaben an, selbst betroffen zu sein – das sind ca. 30 Prozent weniger als der Betroffenenanteil aus der Studie „Lauter Hass – leiser Rückzug“ von Februar 2024. Eine mögliche Erklärung für den Zahlenunterschied besteht darin, wie Befragte den Beleidigungsbegriff verstehen. In der aktuellen Befragung wurde explizit danach gefragt, ob Befragte in den letzten sechs Monaten in einem Textbeitrag auf Instagram, Facebook, TikTok, Snapchat, X (ehemals Twitter) oder LinkedIn durch herablassende Beiträge, bei denen Schimpfwörter verwendet wurden oder aufgrund von bestimmten Merkmalen, wie z. B. ihres Geschlechts, ihrer Nationalität, ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer Religion, ihrer sexuellen Orientierung oder einer Behinderung selbst beleidigt wurden.
Der Anteil an Beleidigungen in der Offlinewelt fällt jedoch höher aus – hier sind über 35 Prozent der befragten Nutzerinnen und Nutzer selbst betroffen.
Insbesondere Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, erfahren Beleidigungen auf Social Media. Hierfür wurden die Personen in der Umfrage gebeten anzugeben, in welcher Funktion sie in den sozialen Medien hauptsächlich in Erscheinung treten. Die Auskunft hierüber wurde zusammen mit der Angabe, ob die Personen schon mindestens einmal auf sozialen Medien beleidigt wurden, ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen, dass über 80 Prozent der befragten Politikerinnen und Politiker (n = 76) sich Beleidigungen im Netz ausgesetzt sehen. Bei aktivistisch tätigen Personen sind es über 65 Prozent (n = 90), bei Influencerinnen und Influencern knapp 50 Prozent (n = 148) und bei Journalistinnen und Journalisten knapp über 60 Prozent (n = 48). Auch Ausübende eines Ehrenamts bleiben von Onlinebeleidigungen nicht verschont: Innerhalb dieser Gruppe gaben über 50 Prozent an, selbst von solchen Inhalten betroffen zu sein (n = 109). Von den Befragten, die angaben, als Privatperson auf sozialen Medien aufzutreten (n = 3.372), sah sich eine verhältnismäßig geringe Gruppe Beleidigungen ausgesetzt: Hier sind es knapp über 14 Prozent.
Dieselben Personengruppen wurden zudem gefragt, inwiefern sie auch in der Offlinewelt Erfahrungen mit Beleidigungen gemacht haben. Laut eigenen Angaben fällt der jeweilige Anteil hier noch höher aus: Bei den Politikerinnen und Politikern (n = 75) sind es 84 Prozent, bei den aktivistisch tätigen Personen (n = 94) 70 Prozent, bei den Influencerinnen und Influencern sogar fast 70 Prozent, bei den Journalistinnen und Journalisten (n = 49) 63 Prozent, bei den Ausübenden eines Ehrenamtes (n = 103) 55 Prozent und schließlich bei den Privatpersonen (n = 3.363) sogar fast 43 Prozent.
Die Hälfte der beleidigenden Beiträge wird gemeldet
Etwas über die Hälfte (54 Prozent) der direkt von Onlinebeleidigungen betroffenen Befragten (n = 890) gaben an, dass sie die herablassenden Beiträge direkt auf der Plattform oder bei einer staatlichen Stelle gemeldet haben.
Davon werden die meisten Meldungen (66 Prozent, n = 465) lediglich auf der Plattform vorgenommen, während sich 24 Prozent der Betroffenen (n = 465) ausschließlich an staatliche Stellen wie Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht oder sonstige Behörden wenden.
Gründe für Nichtmeldung überwiegend bedingt durch mangelnde Erfolgsaussichten
Von den direkt betroffenen Befragten gaben knapp 46 Prozent (n = 890) an, die Beiträge weder bei einer staatlichen noch bei einer privaten Stelle (z. B. unmittelbar auf der Plattform) gemeldet zu haben. Entsprechend gaben auch nur knapp 35 Prozent (n = 484) an, die entsprechenden Inhalte nicht gemeldet zu haben, weil sie sich unsicher waren, ob der Inhalt wirklich rechtswidrig war.
Zudem besteht fehlende Kenntnis hinsichtlich vorhandener Meldewege. Fast 44 Prozent der Befragten (n = 455) haben schlichtweg keinen Meldeweg auf der Plattform gefunden. Darüber hinaus gaben 66 Prozent (n = 456) an, dass mangelndes Interesse ihrerseits eine Rolle dabei gespielt hat, warum sie einen aus ihrer Sicht beleidigenden Beitrag nicht gemeldet haben. Weiterhin sieht eine Mehrheit der Befragten keine ausreichenden Erfolgsaussichten, weil die Identität der beleidigenden Person nicht bekannt ist (57 Prozent, n = 460). 57 Prozent der Befragten (n = 476) glauben nicht, dass die Plattform sich um ihre Meldung kümmern wird. Auch mit Blick auf die staatlichen Stellen rechnen über 60 Prozent (n = 651) damit, dass ihnen nicht weitergeholfen wird. Letzteres könnte auch mit dem generellen Vertrauen gegenüber staatlichen Einrichtungen zusammenhängen. Die Befragten wurden gebeten, auf einer 5er-Skala anzugeben, inwieweit sie Vertrauen in staatliche Institutionen haben. Nur der Polizei wird von mehr als der Hälfte der Befragten (54 Prozent, n = 4.721) großes bis sehr großes Vertrauen entgegengebracht. Bei anderen staatlichen Akteuren fällt das Vertrauen geringer aus (der Bundesregierung vertrauen 28 Prozent, n = 4.699, dem Bundestag 30 Prozent, n = 4.673, der Staatsanwaltschaft 48 Prozent, n = 4.659 und den nationalen Gerichten 46 Prozent der Befragten, n = 4.629).
Ein weiterer Grund für die Nichtmeldung ist bei über einem Drittel der Befragten die Rechtsunsicherheit. Sie waren sich unsicher, ob der Beitrag tatsächlich gegen das Gesetz oder die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Plattform verstoßen hat. Im Hinblick darauf lässt sich feststellen, dass der Wissensstand der Befragten rund um das Thema Plattformregulierung relativ gering ausfällt. Nicht einmal ein Viertel der Befragten (n = 4.878) hat etwas vom europäischen Digital Services Act (DSA) gehört, der unter anderem Meldewege für rechtswidrige Inhalte auf Plattformen europaweit vorsieht. Bei dem derzeit auf nationaler Ebene noch geplanten Gesetz gegen digitale Gewalt sind es immerhin 37 Prozent (n = 4.881).
Fazit
Der Gesetzgeber muss sich schlussendlich mit altbekannten Problemen auseinandersetzen, die bereits vor dem Social-Media-Zeitalter bestanden. Beleidigungen stellen kein spezifisches Problem der Onlinewelt dar. Wie zu erwarten sind vor allem Personen betroffen, die in der Öffentlichkeit stehen. Es gilt, diese Personen besser vor Angriffen zu schützen – sowohl online als auch offline. Ansonsten könnte es infolge zunehmender digitaler Gewalt auch zu einem Rückgang des Engagements ehrenamtlich und politisch aktiver Menschen in der Gesellschaft kommen.
Die Besonderheit bei derartigen Onlineangriffen liegt aber an der digitalen Umgebung. Sie bietet gleichzeitig Risiken wie auch Chancen, was die Rechtswahrung und -durchsetzung angeht. Nach den gesetzlichen Verpflichtungen im DSA müssen effektive Meldewege direkt auf den Plattformen zur Verfügung stehen. Dennoch fehlt es beispielsweise an Interesse und nicht zuletzt an Vertrauen in diese Instrumente seitens der Plattformnutzerinnen und -nutzern. Um Vertrauen in die Meldewege aufzubauen und die Rechtsdurchsetzung voranzubringen, sollten einfache, transparente Meldewege bekannter gemacht, Allgemeinwissen hierüber vermittelt und die Mittel der Rechtsverfolgung verbessert werden. Zusätzlich sollte das Vertrauen in staatliche Institutionen allgemein gestärkt werden.
Fußnote
1 Beleidigungen werden in der vorliegenden Umfrage als herablassende Äußerungen verstanden, die insbesondere aus Schmähungen bzw. gravierenden Herabwürdigungen (z. B. Vergleich der Person mit einem Tier/einer Sache, Bezugnahme auf sexuelle Aktivitäten (mit Tieren) oder auch Androhung von körperlicher und/oder sexueller Gewalt bis hin zum Mord), Formalbeleidigungen bzw. Schimpfwörtern (z. B. „Schlampe“ oder „Arschloch“) oder Angriffe auf die Menschenwürde (z. B. „Am liebsten mag er Ziegen f*cken“) bestehen.