Der Begriff digitale Gewalt steht für verschiedene Formen von Angriffen auf Personen im digitalen Raum. Eine einheitliche gesetzliche Definition des Begriffs steht noch aus. Laut der Studie „Lauter Hass, leiser Rückzug“ (2024) hat fast jede zweite Person schon einmal Beleidigungen im Netz erlebt. Dies kann bei den Betroffenen zu psychischen (35 Prozent) sowie körperlichen (18 Prozent) Beschwerden führen. Zudem ziehen sie sich deswegen häufig aus dem Diskurs zurück (41 Prozent).
Dem Koalitionsvertrag 2021 der Bundesregierung zufolge soll ein Gesetz gegen digitale Gewalt Abhilfe schaffen. Das Eckpunktepapier wurde vom Bundesjustizministerium im April 2023 veröffentlicht. Ein konkreter Vorschlag für den Normtext existiert bislang noch nicht. Im Mittelpunkt sollen die Möglichkeiten von Privatpersonen stehen, gegen Verletzungen ihrer Rechte im digitalen Raum vorzugehen. Derzeit haben Betroffene etwa gegenüber Telemedienanbietern nur einen Auskunftsanspruch hinsichtlich des hinterlegten Namens oder der E-Mail-Adresse des Rechtsverletzenden. In der Auskunft soll zukünftig auch die IP-Adresse erfasst werden, wodurch die Identifizierbarkeit vereinfacht wird. Zudem sind Accountsperren für notorische Rechtsverletzende vorgesehen. Unabhängig von der Effektivität dieser Regelung bleibt abzuwarten, welche genauen Voraussetzungen hier festgelegt werden. Die Rechtskonformität wird sich wegen des grundrechtlichen Zensurverbots in Art. 5 GG als schwierig erweisen.
In einer Stellungnahme befürwortete unser Forschungsteam des bidt-Projekts „Herausforderungen der Regulierungen digitaler Kommunikationsplattformen“ bereits 2023 das Gesetz gegen digitale Gewalt. Nach den von uns durchgeführten Experteninterviews sehen wir aber Ergänzungsbedarf. Eine zentrale Hürde bei der bisherigen Rechtsdurchsetzung, die mit dem Gesetzesentwurf bisher nicht ausreichend angegangen wird, ist die Schnelligkeit und Zugänglichkeit des Rechtsschutzes. Zur Wahrung der Schnelligkeit muss der Rechtsschutz gegen digitale Rechtsverletzungen auch digital gedacht werden: Das beginnt unter anderem bei der Beweissicherung. Wir sprechen uns für eine Verpflichtung der Plattformen aus, Werkzeuge zur Verfügung zu stellen, die es den Nutzenden ermöglichen, rechtssichere Beweise anzufertigen. Auch bei der Antragstellung hinsichtlich der Auskunftsansprüche wäre die Einführung digitaler und standardisierter Formulare wünschenswert. Um die Zugänglichkeit des Rechtsschutzes für die Durchschnittsverbraucherin/den -verbraucher zu gewährleisten, sollten zudem ausreichende Informationsangebote für die Betroffenen geschaffen und ausgebaut werden.
Die Meldeoptionen auf den Plattformen und bei staatlichen Stellen sehen wir weiterhin als wichtige Lösungsansätze. Deren Wirksamkeit wird jedoch selten ausschöpfend empirisch untersucht. Studien haben gezeigt, dass Nutzende nur in circa einem Drittel der Fälle beleidigende Inhalte auf der Plattform melden. Dabei ist der Anteil der Meldungen bei staatlichen Stellen signifikant niedriger. Dennoch bleiben konkrete Sollbruchstellen sowie auch die Frage nach ihrer Erklärbarkeit unklar. Unser Ziel ist es, diese zu identifizieren und darauf basierend Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten. Hierzu führen wir eine quantitative Befragung aus Sicht der Nutzenden durch, deren Ergebnis als Input für das geplante Gesetz dienen soll.