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Wie Deutschland die Digitalisierung zerredet

Wie Deutschland die Digitalisierung zerredet

Die Debatte über die Digitalwende wird hierzulande von Selbstbezichtigung bestimmt – wo Zukunftsmut gefragt wäre.


Wir haben es verbockt. Wir kriegen es nicht hin. Es ist schrecklich. Drei Sätze, ein Urteil: Digitalisierung klappt nicht in diesem Land. Nachdem jahrelang die Geschichte erzählt wurde, Deutschland hätte die Digitalisierung verschlafen [1], bestimmt seit der Coronapandemie die Selbstbezichtigung die deutsche digitale Debatte: „Nee, Internet können wir hier nicht. Hihi.“

Die abfälligen Bemerkungen sind dabei stets ein klein wenig ironisch gemeint, erreichen aber kaum humoristische Bandbreite. Der schlechte Witz über die Digitalisierung hat nämlich eine sehr große, unlustige Seite: Er funktioniert als selbst erfüllende Prophezeiung – und vor allem als Entschuldigung dafür, warum man selbst gerade auf gar keinen Fall aktiv werden kann.

Es scheint in Deutschland kaum etwas Unangenehmeres zu geben, als öffentlich eine optimistische Zukunftsvision zu formulieren. Wer so etwas denkt, macht sich sofort angreifbar. Wie dumm muss man sein, um das Bild einer digitalen Schule zu zeichnen? Schon mal vom Datenschutz gehört?

Viel bequemer ist es da, sich gemütlich zurückzulehnen und den theoretischen Willen zur Veränderung zu bekunden, der aber gerade ärgerlicherweise von der praktischen Unfähigkeit des Landes blockiert wird. „Wir würden ja, wenn die Bedingungen stimmen“, ist die in Buchstaben gegossene folgenlose Zustimmung. Denn nichts verhindert Veränderung nachhaltiger als der Wunsch nach den optimalen Bedingungen. Wer die nämlich behauptet, hat schlicht nicht genau genug hingesehen, sonst wäre aufgefallen, dass sie ganz optimal doch noch nicht sind. Schauen wir lieber nochmal genau.

Deshalb wird hierzulande sehr gerne nach der perfekten Lösung gesucht. „An unserer Schule (hier bitte wahlweise Gruppe, Unternehmung, Behörde etc. einsetzen) ist so lange nichts in Sachen Digitalisierung passiert. Wenn wir jetzt anfangen, muss es schon richtig sein. Ein Masterplan muss her, den dann alle so lange zerreden, bis man sich einig ist: Digitalisierung können wir nicht!“

Vielleicht liegt die Sache aber etwas anders. Vielleicht wollen wir die Digitalisierung einfach nicht, jedenfalls nicht genug. Dass Südkorea als Internetvorreiterland gilt, liegt nicht nur daran, dass man sich dort für Glasfaser entschied, als hierzulande das Privatfernsehen eingeführt wurde.[2] Es liegt auch daran, dass dort eine vergleichsweise junge Gesellschaft Interesse an Gestaltung hatte. In eher älteren Gesellschaften steht dagegen die Sorge im Mittelpunkt. „Hast du auch alle Eventualitäten bedacht?“, fragen wir, wenn jemand etwas Neues versucht – ganz so, als sei der Status-quo allein deshalb gut, weil es ihn gestern schon gab.

Wie aber ist der Status-quo in Sachen Digitalisierung?

Wie viel sinnvoller es ist, diese Frage zu stellen, statt in Selbstbezichtigung zu verfallen, zeigt das „bidt-Digitalbarometer“. Es liefert auf Basis von Selbsteinschätzungsfragen ein realistisches Bild in Bezug auf die Fragen: Wo stehen wir gut da und wo können wir uns verbessern? Seit dieser Woche übrigens auch im internationalen Vergleich. Wer sich detailliert mit dieser Erhebung befasst, wird erkennen: Die Rede vom digitalen Nichtkönnerland Deutschland ist falsch. Es ist nicht alles perfekt, aber es gibt Lernkurven – und wenn wir diese aktiv beschreiten, vielleicht sogar Grund für Zukunftsmut. Sich dafür immer und immer wieder zu motivieren, ist nicht leicht. Aber auf Dauer ist das kontinuierliche Schlechtreden der deutschen Digitalkompetenz auch ganz schön anstrengend. Vielleicht nutzen wir die Energie stattdessen zur Verbesserung der eigenen Digitalkompetenz.

Die vom bidt veröffentlichten Blogbeiträge geben die Ansichten der Autorinnen und Autoren wieder; sie spiegeln nicht die Haltung des Instituts als Ganzes wider.