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Ungleich und umkämpft – Content Delivery Networks als kritische Infrastrukturen

Der Siegeszug von Content Delivery Networks (CDN) hat die Entwicklung des Internets seit den späten 2000er-Jahren global maßgeblich mitgeprägt. Anbieter von CDNs gehören heute zu den größten und erfolgreichsten Technologieunternehmen der Welt. Dabei nehmen sie verstärkt Einfluss auf militärische Zusammenhänge und geopolitische Spannungs- und Konfliktlagen. Eine digitalpolitische Debatte über diese kritischen Infrastrukturen steht seit Langem aus.


Was sind Content Delivery Networks (CDNs)?

Vereinfacht ausgedrückt ist ein Content Delivery Network ein Netzwerk aus verteilten Cache-Servern, über die Daten in geografischer Nähe zu Endnutzerinnen/Endnutzern zwischengespeichert werden können. Dadurch reduziert sich die Latenz des Datenverkehrs zwischen Webservern und clientseitigen Anwendungen auf Endgeräten. Vor dem Hintergrund datenintensiver Webdienste wie Musik- und Videostreamingdiensten, Onlinegaming, sozialen Medien oder E-Commerce-Plattformen sind CDNs innerhalb der letzten zehn Jahre zu zentralen Internetinfrastrukturen geworden.

Bereits 2016 wurden ca. 52 Prozent des weltweiten Internetverkehrs über CDNs geroutet. 2022 betrug dieser Anteil über 70 Prozent. Dabei ist eine hohe Dynamik auf dem Markt zu beobachten: Wurde dieser bis vor wenigen Jahren noch von einigen wenigen auf CDNs spezialisierten Unternehmen, wie Akamai Technologies, Cloudflare und Fastly, dominiert, haben die amerikanischen BigTech und die chinesischen Unternehmen Huawei und Alibaba ihre Infrastrukturen massiv ausgebaut und bieten Kundinnen und Kunden nun Dienste rund um Cloudcomputing inklusive Datenverkehr über eigene CDNs auf globaler Ebene an.

Geopolitiken digitaler Infrastrukturen

Der Russland-Ukraine-Krieg hat die sicherheits- und wirtschaftspolitische Bedeutung digitaler Infrastrukturen prägnant sichtbar gemacht: Bereits nach der Annexion der Krim 2014 hatte die russische Administration damit begonnen, das Routing von Datenpaketen von der Krim nach Moskau über russisches Territorium umzuleiten – wodurch der zuvor etablierte Datenverkehr über die Internetaustauschknoten in Frankfurt am Main deutlich reduziert wurde.

Ähnliche Bestrebungen einer territorialen Inkorporation von Datenströmen in Netzwerke, die russische Überwachungs- und Zensurmaßnahmen ermöglichen, werden aktuell auch in den besetzten Gebieten in der Ostukraine beobachtet. Gleichzeitig haben ukrainische Expertinnen und Experten damit begonnen, einige wichtige Bestandteile des ukrainischen Internets bzw. des World Wide Webs – wie etwa Server zum Betrieb der länderspezifischen Top Level Domain .ua – auf Servern im Ausland zu sichern. Ein Notbetrieb von bestimmten Internetdiensten wird so auch durch digitale Infrastrukturen außerhalb des Landes ermöglicht.

Diese Beispiele verdeutlichen einmal mehr, dass das Internet nicht als eine politisch neutrale Infrastruktur betrieben wird, wie es einige zentrale Akteure im Feld der Internet Governance nach wie vor als Leitbild proklamieren, sondern vielmehr eingebettet ist in geopolitische Strategien, Konflikt- und Spannungslagen. Dabei sind es nicht nur staatliche Institutionen, die geopolitisch als zentrale Akteure in Erscheinung treten. Verschiedene Anbieter und Betreiber von digitalen Infrastrukturen sind vielfach mit geopolitischen Thematiken staatlicher Sicherheit, Souveränität und Unabhängigkeit verknüpft.

Eine wichtige Rolle nimmt dabei eine Gruppe von Technologieunternehmen ein, die in der politisch-öffentlichen Debatte bisher kaum in Erscheinung getreten sind, über deren Infrastrukturen jedoch der größte Teil des heutigen Aufkommens von Internettraffic operationalisiert wird: Anbieter von Content Delivery Networks.

Ungleiche und umkämpfte Räume von CDNs

Vor dem Hintergrund des aktuellen Trends hin zu komplexen Ökosystemen für Cloudcomputing inklusive Netzwerkdiensten durch einzelne Akteure stellt sich die Frage, inwieweit Content Delivery Networks neue Netzwerkeffekte und Lock-in-Effekte generiert haben und inwieweit dies darüber hinaus zu einer Rekonfiguration der Funktionen etablierter Internetinfrastrukturen führt – wie etwa Internet Exchange Points – und zu einem Verlust angestrebter Normen, wie etwa der Netzneutralität, beiträgt. Google/Alphabet, Amazon Web Service und Microsoft Azure haben beispielsweise innerhalb der letzten Jahre auch in der EU die Präsenz von Cacheservern ihrer CDNs (Points of Presence) in den lokalen und regionalen Netzen von Internetdienstanbietern (Internet Service Provider (ISP)) ausgebaut – wobei Amazon Web Services (AWS) den Markt bereits vielfach dominiert. Im Hinblick auf die aktuellen Debatten um digitale Souveränität stellt sich somit die Frage, inwieweit Endnutzerinnen und Endnutzer, Unternehmen und staatliche Institutionen dadurch noch stärker als bisher angenommen in Abhängigkeiten zu US-amerikanischen Anbietern von Cloud- und CDN-Infrastrukturen geraten sind.

Gerade auch vor dem Hintergrund aktueller geopolitischer Konflikte und Spannungslagen überrascht es, dass Content Delivery Networks bisher kaum in digitalpolitischen Debatten thematisiert werden. Dabei wurde die Bedeutung dieser Infrastrukturen für das Funktionieren vielfältiger Dienste auch in geopolitisch-militärischer Hinsicht bereits aufgezeigt: Im März 2022 forderte beispielsweise der ukrainische Minister für digitale Transformation, Mykhailo Fedorov, unter anderem Cloudflare und AWS dazu auf, sowohl den Dienst von Cloud-Computing und CDNs als auch die IT-Sicherheit dieser Dienste in Russland einzustellen.

Während Cloudflare diese Forderungen zurückgewiesen hat, nimmt AWS nach eigenen Angaben keine neuen Cloud- und CDN-Dienste für Kundinnen und Kunden aus Russland und Belarus in Betrieb. Gleichzeitig bietet Cloudflare ukrainischen Regierungs- und Telekommunikationsorganisationen nach eigenen Angaben den kostenlosen Dienst ihres CDNs inklusive verstärktem Schutz vor DDos-Angriffen an. Anbieter von Content Delivery Networks sind daher bereits vielfach konfrontiert mit Fragen der IT-Sicherheit und des Betriebes grundlegender digitaler Dienste, auch in militärischen Zusammenhängen. Dies wirft letztlich Fragen nach der demokratischen Kontrolle und Gestaltung dieser Infrastrukturen auf.

Content Delivery Networks als kritische Infrastrukturen

Die politische und gesellschaftliche Relevanz von Content Delivery Networks wird aber nicht nur in Kriegen deutlich, sondern auch im Hinblick auf Fragen der Sicherheit und Resilienz von Internetinfrastrukturen im Allgemeinen: So haben beispielsweise technische Probleme bei CDN-Anbietern in den letzten Jahren wiederholt zu größeren Ausfällen wichtiger Dienste und Webseiten geführt. Zuletzt kam es beispielsweise im Juli 2021 zu einer größeren technischen Störung bei Akamai Technologies, die unter anderem dazu führte, dass diverse Websites großer Medienunternehmen in Deutschland teilweise bis zu einer Stunde nicht erreichbar waren. Die gleiche Störung führte international zu Ausfällen bei Onlinediensten von Banken, Flughäfen und IT-Unternehmen. Gleichzeitig übernehmen Anbieter von CDNs verstärkt auch Aufgaben für bestimmte Felder in der IT-Sicherheit von Onlinediensten, die über ihre Infrastrukturen operationalisiert werden. Beispielsweise konnte 2018 ein bis dato unbekannt starker DDos-Angriff auf die für Softwareentwicklung auch in der EU zentrale Website Github.com erst mithilfe von Akamai Technologies beendet werden. CDNs müssen daher verstärkt auch als kritische Internetinfrastrukturen betrachtet werden, über die ein großer Teil der heutigen digitalen Kommunikation operationalisiert wird und die gleichzeitig die Sicherheit von Onlinediensten garantieren sollen.

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