| Impulse | Monitoring von Meinungsmacht: Ein neuer Ansatz zur Sicherung vielfältiger Meinungsbildung im Plattformzeitalter

Monitoring von Meinungsmacht: Ein neuer Ansatz zur Sicherung vielfältiger Meinungsbildung im Plattformzeitalter

Prof. Dr. Birgit Stark Institut für Publizistik | Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Prof. Dr. Carsten Reinemann Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung | Ludwig-Maximilians-Universität München
Lisa Zieringer M.A. Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung | Ludwig-Maximilians-Universität München
Daniel Stegmann M.A. Institut für Publizistik | Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Der digitale Transformationsprozess stellt die Meinungsmachtkontrolle vor neue Herausforderungen: Das vom bidt und der BLM geförderte Konsortialprojekt „Messung von Meinungsmacht und Vielfalt im Internet“ knüpft an die in der Medienpolitik seit Jahren geführte Debatte um eine Reform der Vielfaltssicherung und Meinungsmachtkontrolle an. Der „bidt Impuls“ zeigt neue Wege auf, wie ein zeitgemäßes Meinungsmacht-Monitoring aussehen kann und skizziert den Handlungsbedarf in medienpolitischer Hinsicht.

Die Publikation wurde herausgegeben in Kooperation mit der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM).

Das Wichtigste in Kürze

Das deutsche Modell zur Sicherung von medialer Meinungsvielfalt und zur Verhinderung einseitiger medialer Meinungsmacht im Bereich privatwirtschaftlich organisierter Medien ist nicht mehr zeitgemäß – und dies seit über zwei Jahrzehnten. Die derzeitige Messung von Meinungsmacht und die daran geknüpfte Kontrolle „vorherrschender“ Meinungsmacht steht seit Langem in der Kritik.

Zentrales Problem ist, dass für den deutschen Diskurs bislang keine systematischen empirischen Erkenntnisse zur Meinungsmacht von Anbietern vorliegen, insbesondere, weil die Infrastruktur für Langzeitanalysen zur kontinuierlichen Beobachtung des Medienwandels bislang lückenhaft ist.

Diese Lücke kann das vorgeschlagene Monitoring schließen, das aus einer Kombination verschiedener empirischer Methoden besteht. Als Quelle für Medienschaffende, Führungskräfte aus Politik und Wirtschaft, die Wissenschaft und speziell die Medienpolitik schafft das Monitoring eine valide Datengrundlage, um die Chancen und Risiken veränderter Meinungsbildungsprozesse zu evaluieren. Das in einer Art Baukastensystem modular entwickelte Set an Instrumenten soll deshalb als Seismograf für Gefährdungspotenziale im Meinungsbildungsprozess dienen und, sobald sich Handlungsbedarf ergibt, auch konkrete Maßnahmen anleiten.

Problemstellungen

Nach geltender Rechtslage kommt dem Fernsehen bei der Sicherung von Meinungsvielfalt im Bereich privater Medien besondere Aufmerksamkeit zu. Die wichtigste Maßnahme zur Sicherung der Vielfalt im Fernsehen ist die Verhinderung von Anbieterkonzentration (passive Vielfaltssicherung). Die Dringlichkeit der Novellierung einer fernsehzentrierten Vielfaltssicherung wird immer wieder betont. Allerdings ist die Suche nach passgenauen Regeln, welche Zusammenschlüsse in medienkonvergenten Welten die Meinungsbildung gefährden können, bislang erfolglos geblieben.

Der vorliegende „bidt Impuls“ geht von der Annahme aus, dass (einseitige) mediale Meinungsmacht die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung von Bürgerinnen und Bürgern gefährden kann. Ausgangspunkt der Überlegungen ist deshalb die Frage, wie mediale Meinungsmacht valide gemessen und gesellschaftlich transparent gemacht werden kann. Die Autorinnen und Autoren sind der Ansicht, dass die empirische Messung medialer Meinungsmacht idealerweise eine holistische Betrachtung von Medienangebot, Mediennutzung und Medienwirkungen kombinieren sollte. Durch das Monitoring können beispielsweise mögliche Vielfaltsverengungen sowohl auf der Angebots- als auch Nutzungsseite identifiziert werden. Verknüpft man beide Analysedimensionen, können zudem Gefährdungspotenziale im Sinne der Fragmentierungs- oder auch Polarisierungsthese evaluiert werden.

Um mediale Meinungsmacht im beschriebenen Sinne valide, kontinuierlich und mit einem vertretbaren Ressourceneinsatz ermitteln zu können, sind eine Reihe von konzeptionellen und empirischen Grundsatzentscheidungen notwendig, die eine fundamentale Abkehr von bisherigen Vorstellungen und Verfahren der Medienkonzentrationskontrolle bedeuten. Es geht also um nicht weniger als einen Paradigmenwechsel bei der Sicherung vielfältiger Meinungsbildung durch Medien. Die wichtigsten dieser Grundsatzentscheidungen sind:

Eine Berücksichtigung des gesamten Mediennutzungsrepertoires, also ein Abschied von der bisherigen Fixierung auf das (lineare) Fernsehen, da diese nicht mehr den Realitäten der heutigen Mediennutzung entspricht. Ein Verzicht auf die Gewichtung verschiedener Mediengattungen bei der Messung von Meinungsmachtpotenzialen nach ihrem vermeintlichen Wirkungspotenzial, da sich eine solche Gewichtung auf Basis des verfügbaren Wissens nicht hinreichend begründen lässt. Ein Schwerpunkt auf Medienmarken statt Mediengattungen, deren Meinungsmachtpotenzial gattungsübergreifend (crossmedial) ermittelt wird, da Medienmarken (inklusive Onlineplattformen) die für Medienauswahl, -inhalte und -wirkungen entscheidende Analyseebene sind. Ein Fokus auf die politische Öffentlichkeit bzw. die aktuelle Berichterstattung und die darüber informierende Medien­nutzung, da diesbezüglich Gefährdungen für die Demokratie medienregulatorisch am bedeutsamsten sind. Ein Verzicht auf die Definition eines festen Schwellenwerts für regulatorische Eingriffe, da sich diese nicht gut begründen lassen.

Lösungsansatz: Ein modulares Meinungsmacht-Monitoring

Um mediale Meinungsmachtpotenziale erheben und transparent machen zu können, schlagen die Autorinnen und Autoren ein modular aufgebautes, kontinuierliches Meinungsmacht-Monitoring vor. Es ist crossmedial angelegt und soll relevante Medienmarken über verschiedene Ausspielkanäle einbeziehen. Ziel ist es, ein umfassendes Verständnis über aktuelle Transformationsprozesse zu entwickeln, daraus Chancen- und Risikoeinschätzungen zu treffen sowie den medienpolitischen Handlungsbedarf abzuleiten. Es besteht aus folgenden Modulen:

  • Modul 1: Nutzung und Bewertung von Medienmarken
  • Modul 2: Inhalte von Medienmarken
  • Modul 3: Wirkungen von Medienmarken
  • Modul 4: Weitere Indikatoren der Mei­nungsmacht von Medienmarken

Fazit: Paradigmenwechsel und notwendige Ressourcen – drei Handlungsempfehlungen

Laut den Autorinnen und Autoren bedarf es eines konzeptionellen und empirischen Paradigmenwechsels. Sie richten drei konkrete Handlungsempfehlungen an die Medienpolitik:

  1. Aufgabe des bisherigen Ansatzes der Konzentrationskontrolle: Das fernsehzentrierte deutsche Medienkonzentrationsrecht soll als Steuerungsinstrument ersetzt werden durch den Aufbau einer Gefährdungskontrolle mittels kontinuierlicher Beobachtung und Evaluation.
  2. Ausbau der Forschungsinfrastrukturen für evidenzbasierte Handlungsempfehlungen: Ein langfristig angelegter Meinungsmacht-Monitor soll relevantes Wissen für medienpolitische Entscheidungen liefern. Die Implementierung der Module wiederum erfordert Synergien verschiedener Forschungseinrichtungen. Gleichzeitig müssen auch neue Infrastrukturen geschaffen werden.
  3. Etablierung eines ganzheitlichen Ansatzes zur Vielfaltssicherung: Eine moderne Vielfaltssicherung im Plattformzeitalter muss neu gedacht werden. Sie sollte sich von der reinen Anbieterkontrolle lösen und sowohl inhaltliche als auch genutzte Vielfalt mitberücksichtigen.