Definition und Abgrenzung

Der Begriff Gamification bezeichnet den Einsatz von Spielelementen, d. h. Gestaltungselementen und Mechaniken aus Spielen, um in Anwendungsfeldern außerhalb von Brettspielen oder Computerspielen spielerische Erlebnisse zu kreieren [1]. Diese spielerischen Erlebnisse (engl. Gameful Experiences) stärken Motivation, Spaß und Lernprozesse und können dadurch menschliches Verhalten beeinflussen [2]-[4]. Typische Spielelemente und -mechaniken [5], die dabei verwendet werden, sind Ansätze für

  • Leistung und Fortschritt (z. B. Punkte, Level, Badges, Herausforderungen, Fähigkeitenbäume)
  • Kooperation und soziale Interaktion (z. B. Teams, Gilden, Teamchallenges, Profile, gemeinsame Ziele und Abhängigkeiten)
  • Wettbewerb (z. B. Ranglisten, Wettkämpfe, Zeitlimits, Wetten)
  • Immersion (z. B. Storytelling, virtuelle Charaktere, freischaltbare Inhalte, virtuelle Welten, Rollenspiel).

Gamification kann dabei auch als Gattungsbegriff verstanden werden, welcher verwandte Konzepte wie Serious Games oder Game-based Learning einschließt, die sich dadurch auszeichnen, dass sie eigenständige Lernspiele bzw. den spezifischen Einsatz von Gamification im Lernkontext beschreiben [2]. Ebenso werden Entwicklungen im Bereich der Spiele für die Steigerung der körperlichen Betätigung und Unterstützung der Gesundheitsvorsorge, Therapie und Rehabilitation, sogenannte Exergames [6], häufig als eine spezielle Form von Gamification betrachtet. Vergleichbar verhält es sich mit Konzepten wie Games-with-a-Purpose, Human-based Computation Games oder Productivity Games [7][8]. Als Ansatz, um menschliches Verhalten gezielt zu beeinflussen, wird Gamification auch als Form des Nudging und Persuasive Technology [9] diskutiert. Darüber hinaus wird Gamification auch als Vorgehen zur Gestaltung motivationaler Informationssysteme betrachtet, welche Nutzerinnen und Nutzern nicht nur helfen, utilitaristische Zwecke (z. B. eine Aufgabe zu erfüllen oder ein Problem zu lösen) zu verfolgen, sondern gleichzeitig auch hedonische Vorteile (z. B. Freude, Spaß, Entspannung) bieten [5].

Geschichte

Die Idee, Spieldesign und Spielelemente zu nutzen, um beispielsweise digitale Lernprogramme zu verbessern, wurde schon in den 1980er-Jahren beschrieben [10][11]. Breite Aufmerksamkeit gewann Gamification aber vor allem ab dem Jahr 2010, als visionäre Experten für Marketing und Game-Design dem Phänomen seinen heutigen Namen verliehen [12]. Seitdem hat das wissenschaftliche und praktische Interesse an Gamification stetig zugenommen, mit ersten Studien in 2010 und 2011 und einem verstärkten Interesse seit 2012 [5].

Während das Verständnis von Gamification sich zu Beginn des Forschungsfelds vor allem auf die Nutzung fortschrittsbasierter Elemente, wie Punkte, Badges und Level – auch bekannt als PBL – fokussierte, hat sich die Perspektive auf Gamification in den letzten Jahren spürbar erweitert [13]. Eine große Bandbreite an entwickelten Designmethoden und -frameworks [4][14], Modellen, Designprinzipien [9] und evaluierten Spielelementen [5] erlaubt es Wissenschaftlern, Designern und Praktikern heute, aus einem bunten Blumenstrauß die passendsten Ansätze für den eigenen Anwendungsfall auszuwählen.

Neben der so beabsichtigt vorangetriebenen Anwendung von Gamification in unterschiedlichen Bereichen wird auch die eher ungesteuerte, emergente Durchdringung unserer Kultur und Gesellschaft mit Aspekten des Gamings, z. B. eSports, jüngst als Gamification bezeichnet [8].

Anwendung und Beispiele

Gamification findet traditionell vor allem im Bildungsbereich Anwendung, was auch die Entstehung des eigenen Begriffs Game-based Learning für den spezifischen Einsatz im Lernkontext erklärt. Doch weil Gamification nicht nur Lernprozesse, sondern eine Vielzahl von Aktivitäten motivierender gestalten kann, sind spielerische Elemente und Mechaniken heute allgegenwärtig – ob in Marketing und Kundenbindung (z. B. Loyalitätsprogramme), Innovationsprozessen (z. B. Ideenwettbewerbe), Gesundheit und Sport (z. B. in Apps für Training und Fitness) oder Mitarbeitertraining (z. B. Leadership-Simulationen). Aufgrund der breiten Anwendbarkeit von Gamification finden sich kaum Bereiche, in denen bisher keine Gamification angewendet wurde (siehe [5] für eine Übersicht).

Im Rahmen globaler Nachhaltigkeitsbestrebungen wächst auch das Interesse für die Anwendung von Gamification, um nachhaltige Entwicklung auf individueller und organisationaler Ebene voranzutreiben. So befassen sich aktuelle Forschungsarbeiten z. B. mit dem Potenzial von Gamification für stärkere Kooperation und Zusammenarbeit [15], umweltfreundliches Verhalten [16][17] oder gesellschaftliches Engagement [18].

Aus technologischer Sicht konvergiert Gamification zudem zunehmend mit dem Design digitaler Welten, z. B. im Rahmen von Augmented Reality und Virtual Reality Anwendungen, und erlangt über die Fähigkeiten der künstlichen Intelligenz neue Potenziale in der dynamischen und personalisierten Generierung von spielerischen Erlebnissen [19]. Darüber hinaus eröffnen aktuelle Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Metaverse-Phänomen neue Anwendungsfelder für Gamification, sei es die Beeinflussung menschlichen Verhaltens in virtuellen Welten oder die Verstärkung virtueller Erlebnisse.

Kritik und Probleme​​

Das Potenzial von Gamification zur gezielten Motivationssteigerung in diversen Anwendungsfällen, vor allem aber im Arbeitskontext, ist gleichzeitig Ausgangspunkt für Bedenken hinsichtlich Manipulation und fehlender Einwilligung [20]. Insbesondere aus Datenschutzsicht wird zunehmend die großflächige, aber intransparente Sammlung und Auswertung von Verhaltensdaten in gamifizierten Systemen kritisiert, welche ein Risiko für die Privatsphäre der Nutzerinnen und Nutzer darstellt [21][22].

Zudem werden in einigen Anwendungen – ob gezielt oder unabsichtlich – auch Mechaniken aus Glücksspielen, wie z. B. Glücksräder, Lose oder Lootboxen, eingesetzt, um Menschen zur Datenpreisgabe oder sogar zu monetären Investments zu bewegen. Diese Elemente, auch unter dem Begriff Gamblification bekannt [23], bergen ähnlich wie Glücksspiele Potenzial für Sucht und Abhängigkeit [22], weswegen deren Einsatz gerade in Systemen, die auch gefährdete Personengruppen (z. B. Kinder) verwenden, scharf kritisiert wird.

Außerdem erzeugt die Gamifizierung von bestehenden IT-Systemen für Nutzerinnen und Nutzer häufig eine zusätzliche Komplexität, welche die Zugänglichkeit solcher Systeme reduzieren kann [24]. Schließlich deuten Forschungsarbeiten darauf hin, dass sich die psychologische Wirkungsweise und Wahrnehmung von Gamification zwischen einzelnen Personen unterscheidet [25][26] und daher zur Verhinderung potenziell schädlicher Wirkungsweisen umfangreich getestet und kontinuierlich beobachtet werden sollte.

Forschung

Der Forschungsbereich Gamification gewinnt seit 2011 international zunehmend an Bedeutung [5]. Aufgrund der Interdisziplinarität des Themas finden sich Publikationen in vielen Fachjournalen und Fachkonferenzen. In den letzten zehn Jahren haben sich allerdings eine Reihe von Konferenzen auf einen speziellen Gamification-Schwerpunkt  fokussiert. Hierzu gehören unter anderem die Academic MindTrek Conference und die Annual International GamiFin Conference in Finnland, die Hawaii International Conference on System Sciences (HICSS) in den USA, das Annual Symposium on Computer-Human Interaction in Play (CHI PLAY) an wechselnden Orten und die StartPlay-Konferenz sowie die Mensch-und-Computer-Konferenzin Deutschland.

Thematisch lässt sich die Gamification-Forschung entlang

  • der vielfältigen Anwendungsdomänen von Gamification (z. B. Bildung, Arbeit, Sport, Gesundheit, Marketing, Vertrieb, Mobilität)
  • der psychologischen und behavioralen Wirkungsweise von unterschiedlichen Gestaltungselementen und Mechaniken
  • der Verwendung von speziellen Technologien (z. B. AR, VR, Wearables, AI, IoT) und Medien
  • der betrachteten und verwendeten Theorien, Konzepten und Methoden sowie
  • der verwendeten gestalterischen Aspekte und Elemente strukturieren.

Quellen

[1] K. Seaborn and D. I. Fels, “Gamification in theory and action: A survey,” International Journal of Human Computer Studies, vol. 74, pp. 14–31, 2015, doi: 10.1016/j.ijhcs.2014.09.006.

[2] J. Krath, L. Schürmann, and H. F. O. von Korflesch, “Revealing the theoretical basis of gamification: A systematic review and analysis of theory in research on gamification, serious games and game-based learning,” Comput Human Behav, vol. 125, p. 106963, Aug. 2021, doi: 10.1016/j.chb.2021.106963.

[3] K. Huotari and J. Hamari, “Defining Gamification – A Service Marketing Perspective,” in Proceeding of the 16th International Academic MindTrek Conference, Tampere, Finland, 2012, pp. 17–22. doi: 10.1145/2393132.2393137.

[4] B. Morschheuser, L. Hassan, K. Werder, and J. Hamari, “How to design gamification? A method for engineering gamified software,” Inf Softw Technol, vol. 95, pp. 219–237, Mar. 2018, doi: 10.1016/J.INFSOF.2017.10.015.

[5] J. Koivisto and J. Hamari, “The rise of motivational information systems: A review of gamification research,” Int J Inf Manage, vol. 45, pp. 191–210, Apr. 2019, doi: 10.1016/j.ijinfomgt.2018.10.013.

[6]  W. Peng, J.-H. Lin, and J. Crouse, “Is Playing Exergames Really Exercising? A Meta-Analysis of Energy Expenditure in Active Video Games,” Cyberpsychol Behav Soc Netw, vol. 14, no. 11, pp. 681–688, Nov. 2011, doi: 10.1089/cyber.2010.0578.

[7] B. Morschheuser, J. Hamari, J. Koivisto, and A. Maedche, “Gamified crowdsourcing: Conceptualization, literature review, and future agenda,” Int J Hum Comput Stud, vol. 106, pp. 26–43, Oct. 2017, doi: 10.1016/J.IJHCS.2017.04.005.

[8] J. Hamari, “Gamification,” in The Blackwell Encyclopedia of Sociology, Wiley, 2019, pp. 1–3. doi: 10.1002/9781405165518.wbeos1321.

[9] J. Krath and H. F. O. von Korflesch, “Designing gamification and persuasive systems: a systematic literature review,” in 5th International GamiFIN Conference, CEUR Workshop Proceedings, 2021, pp. 100–109.

[10] T. W. Malone, “Toward a theory of intrinsically motivating instruction,” Cogn Sci, vol. 5, no. 4, pp. 333–369, Oct. 1981, doi: 10.1207/s15516709cog0504_2.

[11] T. W. Malone, “Heuristics for designing enjoyable user interfaces: Lessons from computer games,” in Proceedings of the 1982 conference on Human factors in computing systems – CHI ’82, Gaithersburg, Maryland, USA: ACM Press, 1982, pp. 63–68. doi: 10.1145/800049.801756.

[12] S. Deterding, D. Dixon, R. Khaled, and L. Nacke, “From Game Design Elements to Gamefulness: Defining ‘Gamification,’” in Proceedings of the 15th International Academic MindTrek Conference: Envisioning Future Media Environments, in MindTrek ’11. Tampere, Finland: ACM, 2011, pp. 9–15. doi: 10.1145/2181037.2181040.

[13] S. Schöbel et al., “A research agenda for the why, what, and how of gamification designs: Outcomes of an ecis 2019 panel,” Communications of the Association for Information Systems, vol. 46, pp. 706–721, 2020, doi: 10.17705/1CAIS.04630.

[14] A. Mora, D. Riera, C. González, and J. Arnedo-Moreno, “Gamification: a systematic review of design frameworks,” J Comput High Educ, vol. 29, no. 3, pp. 516–548, Dec. 2017, doi: 10.1007/s12528-017-9150-4.

[15] M. Riar, B. Morschheuser, R. Zarnekow, and J. Hamari, “Gamification of cooperation: A framework, literature review and future research agenda,” Int J Inf Manage, vol. 67, p. 102549, Dec. 2022, doi: 10.1016/j.ijinfomgt.2022.102549.

[16] G. M. Guillén, D. F. Galeote, N. Sicevic, J. Hamari, and J. Quist, “Gamified apps for sustainable consumption: A systematic review,” CEUR Workshop Proc, vol. 3147, pp. 135–145, 2022.

[17] J. Krath, B. Morschheuser, and H. F. O. von Korflesch, “Designing Gamification for Sustainable Employee Behavior: Insights on Employee Motivations, Design Features and Gamification Elements,” in 55th Hawaii International Conference on System Sciences (HICSS), 2022, pp. 1594–1603.

[18] S. Rehm, M. Foth, and P. Mitchell, “DoGood: examining gamification, civic engagement, and collective intelligence,” AI Soc, vol. 33, no. 1, pp. 27–37, 2018, doi: 10.1007/s00146-017-0711-x.

[19] S. Bezzina and A. Dingli, “Rethinking Gamification Through Artificial Intelligence,” in HCI in Games. HCII 2023. Lecture Notes in Computer Science, vol 14046., X. Fang, Ed. Springe, Cham, 2023, pp. 252–263. doi: 10.1007/978-3-031-35930-9_17.

[20] T. W. Kim, “Gamification of Labor and the Charge of Exploitation,” Journal of Business Ethics, vol. 152, no. 1, pp. 27–39, 2018, doi: 10.1007/s10551-016-3304-6.

[21] D. Lilley and G. T. Wilson, “Integrating ethics into design for sustainable behaviour,” Journal of Design Research, vol. 11, no. 3, pp. 278–299, 2013, doi: 10.1504/JDR.2013.056593.

[22] T. W. Kim and K. Werbach, “More than just a game: ethical issues in gamification,” Ethics Inf Technol, vol. 18, no. 2, pp. 157–173, 2016, doi: 10.1007/s10676-016-9401-5.

[23] J. Macey and J. Hamari, “Gamblification: A definition,” New Media Soc, p. 146144482210839, Mar. 2022, doi: 10.1177/14614448221083903.

[24] M. Forssell, L. Hassan, M. Turunen, and I. Aura, “Accessibility of Kahoot! And Quizizz,” in The 11th International Conference on Communities and Technologies (C&T), Lahti, Finland: ACM, May 2023, pp. 75–84. doi: 10.1145/3593743.3593760.

[25] J. Koivisto and J. Hamari, “Demographic differences in perceived benefits from gamification,” Comput Human Behav, vol. 35, pp. 179–188, 2014, doi: 10.1016/J.CHB.2014.03.007.

[26] D. B. Köse, B. Morschheuser, and J. Hamari, “Is it a tool or a toy? How user’s conception of a system’s purpose affects their experience and use,” Int J Inf Manage, vol. 49, pp. 461–474, Dec. 2019, doi: 10.1016/j.ijinfomgt.2019.07.016.