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Digitale Finanzprodukte

Definition und Abgrenzung

Die Digitalisierung im Finanzbereich betrifft grundsätzlich alle Finanzdienstleistungen, also alle Verträge und Transaktionen in den Beziehungen B2B, B2C und C2C. Von den Bürgerinnen und Bürgern werden jedoch vor allem die neuen Geschäftsmodelle im Zahlungsverkehr (B2C und C2C) und der digitalen Geldanlage wahrgenommen. Die entsprechenden digitalen Finanzprodukte wurden zunächst überwiegend von sogenannten FinTechs (Unternehmen aus dem Bereich Financial Services und Technology) angeboten, bald darauf aber dann auch von etablierten Finanzdienstleistern direkt oder durch den Zukauf der ursprünglichen Start-ups (Oehler 2021a; Oehler 2017). Grundsätzlich hiervon abzugrenzen sind trotz möglicher Überschneidungen InsurTechs (Unternehmen aus dem Bereich Versicherungen), PropTechs (Unternehmen aus dem Bereich Immobilien) und Vergleichsportale; allerdings bieten zumindest InsurTechs digitale Finanzprodukte an, die nach bisherigem Marktverständnis und akademischer Literatur ebenfalls den Finanzdienstleistungen zuzurechnen sind (Oehler 2006; Oehler 2017).

FinTechs im Bereich Zahlungsverkehr nutzen in der Regel die bestehende Zahlungsverkehrsinfrastruktur traditioneller Anbieter, um gezielt nur einzelne Elemente der Wertkette anzubieten, insbesondere Informations- und Cashmanagement, Mobile Payment oder beschleunigtes/vereinfachtes Onlinebezahlen (Oehler 2015a; Oehler 2015b). Aus technologischer Sicht sind Kryptowährungen ebenfalls dem Zahlungsverkehr zuzurechnen – auch wenn sie hauptsächlich als Spekulationsobjekt und weniger als alltägliches Zahlungsmittel verwendet werden (Horn/Wendt 2021).

FinTechs im Bereich der digitalen Geldanlage haben insbesondere mit den Produkten Social Trading (Oehler et al. 2016), Robo Advice (Oehler et al. 2022; Oehler/Horn 2021) und Crowdfunding Bekanntheit erlangt (Oehler 2016; Oehler 2020).

Bei FinTechs handelt es sich grundsätzlich nicht nur um Start-ups, sondern auch um bereits länger am Markt etablierte Unternehmen wie zum Beispiel PayPal, Apple, Google und Alibaba bei den Zahlungsdiensten oder traditionelle Banken und Fondsanbieter bei der digitalen Geldanlage (Oehler 2017).

Geschichte

Die Entwicklung und Nutzung neuer, schnellerer und effizienterer Informationstechnologien ist untrennbar mit dem Finanzsektor verbunden, da die Geschäftsmodelle im Finanzdienstleistungssektor in hohem Maße auf der Erfassung, Verarbeitung und Bereitstellung von Informationen beruhen (Oehler et al. 2018; Oehler et al. 2020). Eine Schlüsselinnovation, die die erste Welle der finanziellen Globalisierung ermöglichte, geht auf das 19. Jahrhundert zurück: das transatlantische Kabel, das die schnelle Übermittlung von Finanzinformationen über Grenzen hinweg durch neue Kommunikationstechnologien wie den Telegraphen ermöglichte. Seitdem hat der Finanzdienstleistungssektor kontinuierlich neue technische Lösungen entwickelt, um Kosten zu sparen und auch, um bequemere Dienstleistungen anzubieten, wie z. B. Überweisungen statt Barzahlungen, SB-Automaten für Überweisungen und Kontoauszüge sowie Geldausgabeautomaten und, deutlich später, Onlinebanking. Geschäftsprozesse wurden effizienter gestaltetet, z. B. durch die Einführung digitaler Zahlungs- und Abrechnungssysteme wie SWIFT (Arner et al. 2016; Oehler 2021). Das Internet ab der Jahrtausendwende sowie künstliche Intelligenz seit Beginn der 2020er-Jahre stellen weitere Grundlagen und Katalysatoren für die Entwicklung der neuesten Generation digitaler Finanzprodukte dar.

Anwendung und Beispiele

Digitale Bezahlmethoden: z. B. PayPal, Google Pay, Apple Pay, Sofortüberweisung (Oehler 2017; Oehler 2015).

Kryptowährungen: Auch als Digitalwährungen oder virtuelle Währungen bezeichnet, haben keine greifbare Erscheinungsform, wie beispielsweise Banknoten oder Münzen, und existieren unter Verwendung der Distributed-Ledger-Technologie ausschließlich als elektronische Signale und Aufzeichnungen. Verglichen mit traditionellen Währungen fehlt die Steuerung und Kontrolle durch staatliche Institutionen, wie beispielsweise eine Zentralbank. Beispiele: Bitcoin, Ethereum. Eine Übersicht über die aktuell verfügbaren Kryptowährungen findet sich unter www.coinmarketcap.com (Horn/Wendt 2021).

Crowdfunding kann in Crowdinvesting und Crowdlending unterteilt werden. Beim Crowdinvesting können sich mehrere Privatinvestorinnen und Privatinvestoren (Crowd), gegebenenfalls zusammen mit institutionellen Investorinnen und Investoren, an einem Projektunternehmen, meist ein Start-up, beteiligen. Die Anlagevermittlung erfolgt über eine Crowdinvestingplattform. Beim Crowdlending werden in der Regel Kredite von Privatanlegerinnen und Privatanlegern an Privatpersonen, Start-ups oder Projektentwickler im Immobilienbereich vergeben (Oehler 2016; Oehler 2020; Oehler 2021b). Beispiele: Kickstarter, Indiegogo, GoFundMe.

Als Robo-Advice wird eine automatisierte Anlageberatung, gegebenenfalls mit zusätzlicher automatisierter Finanzportfolioverwaltung, bezeichnet, bei der Privatanlegerinnen und Privatanleger aufgrund zuvor auf der Robo-Advice-Plattform ermittelter einfacher Anlegerprofile und Risikotoleranzen einen Anlagevorschlag, ein Musterportfolio oder eine Anlageempfehlung erhalten (Oehler et al. 2022; Oehler/Horn 2021). Beispiele: Cominvest, Quirion, Robin, Scalable Capital.

Beim Social Trading können Privatanlegerinnen und Privatanleger, die in diesem Kontext häufig als Follower bezeichnet werden, den auf Social-Trading-Plattformen bereitgestellten Handelssignalen anderer Marktteilnehmerinnen und Marktteilnehmer, sogenannte Trader oder Signal Provider, automatisch in Echtzeit folgen und die Transaktionen in ihrem eigenen Portfolio automatisch ausführen lassen (Copy-Trading) (Oehler et al. 2016). Beispiele: eToro, wikifolio, ayondo, ZuluTrade.

Kritik und Probleme

Im Bereich des Zahlungsverkehrs existieren vor allem Datenschutzbedenken und die Befürchtung, dass sich der Markt auf wenige dominante Anbieter konzentrieren könnte, gegebenenfalls sogar ein Monopol (Oehler 2017; Oehler 2015a; Oehler 2015b; Oehler et al. 2016).

Die Regulierung der unterschiedlichen Geschäftsmodelle im Bereich der digitalen Geldanlage erfolgt nach wie vor in einer sehr fragmentierten Weise, die es Verbraucherinnen und Verbrauchern erschwert, Geschäftsmodelle und Produkte zu verstehen und zu vergleichen (Oehler 2017; Oehler 2021c; Oehler 2018; Oehler/Wendt 2017). Die größte Gefahr besteht für Privatanlegerinnen und Privatanleger, die ihre eigene finanzielle Situation falsch beurteilen und/oder die aus den Empfehlungen/Produkten resultierenden Risiken unterschätzen (Oehler et al. 2018; Oehler 2021). Empirische Studien konnten z. B. zeigen, dass das Rebalancing im Zuge der automatisierten Finanzportfolioverwaltung der Robo-Advisor nachteilig für Privatanlegerinnen und Privatanleger ist (Horn/Oehler 2020) und die meisten Signal-Provider im Social Trading es nicht schaffen, den Markt zu schlagen (Oehler et al. 2016; Oehler/Horn 2021).

Forschung

Die Forschung zu digitalen Finanzprodukten findet überwiegend an Universitäten (z. B. Forschungsstelle der Universität Bamberg „Verbraucherfinanzen und Verbraucherbildung“), unterstützt durch Bundesländer (z. B. Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg) und den Bund (z. B. BMJV, BMF) statt; eine Mitwirkung erfolgt auch durch kollektive Verbraucher (Stiftung Warentest, Verbraucherzentralen).

Quellen

Arner, D./Barberis, J./Buckley, R. 2016. The Evolution of Fintech: A New Post-Crisis Paradigm?. University of Hong Kong, Faculty of Law Research. Paper No. 2015/047. UNSW Law Research Paper No. 2016/62.

Horn, M./Oehler, A. 2020, Automated Portfolio Rebalancing: Automatic Erosion of Investment Performance?. In: Journal of Asset Management 21 (6), 489–505.

Horn, M./Oehler, A./Wendt, S. 2020. FinTech for Consumers and Retail Investors: Opportunities and Risks of Digital Payment and Investment Services. In: Walker, T./Gramlich, D./Bitar, M./Fardnia, P. (Hg.). In: Ecological, Societal, and Technological Risks and the Financial Sector. Basingstoke, 309–327. 

Horn, M./Wendt, S. 2021. Bitcoin & Co: Kryptowährungen für alle?. In: Kenning, P./Oehler, A./Reisch, L. (Hg.). Verbraucherwissenschaften, 2., überarb. und erw. Aufl. 395–410.

Oehler, A. 2006. Zur Makrostruktur von Finanzmärkten – Börsen als Finanzintermediäre im Wettbewerb. In: Kürsten, W./Nietert, B. (Hg.). Kapitalmarkt, Unternehmensfinanzierung und rationale Entscheidungen. Berlin u. a., 75–91.

Oehler, A. 2015a. Digitale Welt und Finanzen. Zahlungsdienste und Finanzberatung unter einer Digitalen Agenda. Veröffentlichungen des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen. Berlin.

Oehler, A. 2015b. Alles digital? Innovative Geschäftsmodelle im digitalen Zahlungsverkehr und Verbraucherpolitik. In: Wirtschaftsdienst 95, 817–821.

Oehler, A. 2016. Digitale Welt und Finanzen. Formen des Crowdfunding: Handlungsbedarf für die Verbraucherpolitik?. Veröffentlichungen des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen. Berlin.

Oehler, A. 2017. „Digitalisierung bei Finanzdienstleistungen“ in den Bereichen „bargeldlose Bezahlmethoden“ und „Online-Beratungs- und Informationsangebote“. Im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV). Bamberg/Berlin. [07.11.2023].

Oehler, A. 2018. Infos für den Schwarm: Werden Crowdinvesting-Kleinanleger mit VIBs gut informiert? Eine empirische Untersuchung im Auftrag des MLR Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) Baden Württemberg. Bamberg/Stuttgart.

Oehler, A. 2020. Crowdinvesting. In: WiSt Wirtschaftswissenschaftliches Studium 49 (7/8), 4–10.

Oehler, A. 2021a. Der technologische Wandel: Herausforderungen in der Digitalen Welt. In: Kenning, P./Oehler, A./Reisch, L. (Hg.). Verbraucherwissenschaften, 2. überarb. und erw. Aufl. 33–46.

Oehler, A. 2021b. Crowdinvesting: Schwarmverbraucher?. In: Kenning, P./Oehler, A./Reisch, L. (Hg.). Verbraucherwissenschaften, 2. überarb. und erw. Aufl. 383–394.

Oehler, A. 2021c. Treiber und Widerstände bei der Online-Beratung zur Altersvorsorge. Studie für das DIA Deutsches Institut für Altersvorsorge. Frankfurt.

Oehler, A./Horn, M. 2021. Robo-Advisors – die besseren Vermögensverwalter? Vor- und Nachteile der Automatisierung von Finanzdienstleistungen. In: Uni.vers Forschung. Mensch und Maschine: Bamberger Beiträge zur Digitalisierung, 44–47.

Oehler, A./Horn, M./Wendt, S. 2016a. Benefits from social trading? Empirical evidence for certificates on wikifolios. In: International Review of Financial Analysis 46, 202–210.

Oehler, A./Horn, M./Wendt, S. 2016b. Digitale Zahlungsdienste: Chinese Walls 2.0 oder Trennung?. In: DIVSI Magazin, 23–25.

Oehler, A./Horn, M./Wendt, S. 2018. Neue Geschäftsmodelle durch Digitalisierung? Eine Analyse aktueller Entwicklungen bei Finanzdienstleistungen. In: Keuper, F./Schomann, M./Sikora L.I./Wassef, R. (Hg.). In: Disruption und Transformation Management, 325–341.

Oehler, A./Horn, M./Wendt, S. 2022. Investor Characteristics and Their Impact on the Decision to Use a Robo-Advisor. In: Journal of Financial Services Research 62 (1), 91–125.

Oehler, A./Wendt, S. 2017. Good Consumer Information: The Information Paradigm at its (Dead) End?. In: Journal of Consumer Policy 40, 179–191.