Die Digitalisierung wird mit einem grundlegenden Wandel im Privaten und in der Arbeit verbunden. Das zeigt eine sozialwissenschaftliche Studie des bidt, für die Personen unterschiedlichen Alters und sozialen Hintergrunds befragt wurden.
Ohne das Vertrauen der Menschen, aber auch ohne ihr Engagement, wird der Weg in eine digitale Gesellschaft nicht gelingen. Zur Frage, wie die Menschen die digitale Transformation erleben, zeichnet die bisherige Forschung kein einheitliches Bild. Wie ein Mantra spukt stattdessen die Rede von einer neuen „German Angst“ durch die öffentliche Debatte.
In der Studie #UmbruchErleben wurden Menschen zu ihren Erfahrungen befragt. Dazu wurden 35 Tiefeninterviews mit Frauen und Männern in unterschiedlichen sozialen Lagen und gesellschaftlichen Positionen geführt und ausgewertet. Zentral waren die Fragen: Welche Rolle spielt die digitale Transformation in ihrem Privatleben sowie in ihrer Arbeitswelt und welche Bedeutung messen sie ihr in Bezug auf die Gesellschaft als ganze bei? Welche Veränderungen erfahren sie und wie bewerten sie diese?
Die Interviews zeigen, dass Menschen angesichts der Digitalisierung keineswegs in Angststarre verfallen. Sie ringen vielmehr um ihre Zukunft und eine positive Entwicklung der digitalen Transformation. Statt sie weiterhin als „Angsthasen“ zu behandeln, gilt es diesen Weg in die digitale Gesellschaft als einen gemeinsamen produktiven Lernprozess zu gestalten, der Lust auf Zukunft macht.
Die Ergebnisse des Projekts sind in zwei Publikationen veröffentlicht:
- bidt Analysen und Studien: #UmbruchErleben – Wie erleben die Menschen die digitale Transformation? (Langfassung der Studie mit umfangreichem empirischem Material, aufbereitet in anschaulichen Fallbeispielen)
- bidt Impulse: Lust auf Zukunft? Wie die Menschen die digitale Transformation erleben (Kurze Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der Studie und Impulse für die Gestaltung der digitalen Transformation)
Das Wichtigste in Kürze
In der öffentlichen Debatte dominiert die Auffassung, dass die Menschen in Deutschland der Digitalisierung eher skeptisch gegenüberstehen würden. Eine neue „German Angst“ bewirke, dass die Bundesrepublik in puncto digitaler Transformation ins Hintertreffen gerate, weil negative Einstellungen in der Bevölkerung den technologischen Fortschritt in Wirtschaft und Gesellschaft behindern. In Wahrheit besteht allerdings wenig Klarheit darüber, wie die Menschen hierzulande wirklich über die Digitalisierung denken. Zwar existiert bereits eine Vielzahl von unterschiedlichen Studien zur Wahrnehmung und Bewertung der digitalen Transformation, diese fügen sich jedoch nicht in ein kohärentes Gesamtbild.
Im Rahmen des explorativen Forschungsprojekts #UmbruchErleben haben wir daher in umfangreichen Interviews mit den Menschen selbst über ihre Erfahrungen in der digitalen Transformation gesprochen. Dabei ging es nicht nur darum herauszufinden, wie sie den Wandel bewerten, sondern insbesondere auch darum zu verstehen, was ihr Erleben im Detail strukturiert, was also ausschlaggebend für ihre Haltung ist.
Die Digitalisierung ist längst im Bewusstsein der Bevölkerung angekommen.
Sie spielt eine zentrale Rolle in der gegenwärtigen Arbeitswelt und im privaten Alltag sowie für die Entwicklung individueller Zukunftsaussichten. Die Menschen verbinden die Digitalisierung nicht allein mit mehr oder weniger umfangreichen technologischen Entwicklungen, sondern vor allem auch mit grundlegenden sozialen Veränderungen. Als bestimmend für das Erleben der Digitalisierung erweist sich die Erfahrung eines gesellschaftlichen Umbruchs.
Das Erleben der digitalen Transformation ist sehr vielschichtig und kann nicht im Sinne einer neuen „German Angst“ generalisiert werden.
Von manchen Gesprächspartnern wird die Digitalisierung z. B. in der Arbeitswelt als Bedrohung empfunden, während sie im Privatleben als großer Gewinn wahrgenommen wird. Insgesamt zeichnen die Interviewpartner das Bild einer Gesellschaft, die auf der Suche ist nach einer positiven Entwicklung der digitalen Transformation. Es ist nicht die „German Angst“, die die Einstellung der Menschen zur digitalen Transformation bestimmt, sondern das Ringen um eine lebenswerte Zukunft.
Die Auswirkungen auf die eigene Handlungsfähigkeit spielen eine zentrale Rolle für die Wahrnehmung.
Besonders aufschlussreich ist die Studie im Hinblick auf die Frage, warum die Menschen die digitale Transformation negativ oder positiv erleben. Oft wird auf soziodemografische Merkmale verwiesen, wonach etwa jüngere Männer mit hohem Einkommen und höherer Qualifikation der Digitalisierung häufiger aufgeschlossen gegenüberstehen als z. B. ältere und weniger qualifizierte Frauen. In unseren Ergebnissen deutet sich hingegen an: Ob die digitale Transformation eher in einem Angst- oder Hoffnungsszenario erlebt wird, hängt im Kern davon ab, wie die Menschen die Auswirkungen jeweils auf ihre eigene Handlungsfähigkeit einschätzen und welche Erfahrungen sie diesbezüglich machen.
Damit legt diese Erkundungsstudie nicht nur eine wichtige Grundlage für weitere Forschung, sondern setzt auch entscheidende Impulse für die Debatte um die Gestaltung der digitalen Transformation. Sie unterstreicht insbesondere, wie zentral die Partizipation der Menschen für das Gelingen der digitalen Transformation ist. Mit dem Konzept des „Empowerments“ besteht hier ein vielversprechender Ansatz zur Stärkung von Handlungsfähigkeit in der Arbeitswelt, den es zu einer politischen Leitlinie für die Gestaltung der digitalen Transformation der Gesellschaft weiterzuentwickeln gilt.
Impulse für die Gestaltung der Digitalen Transformation
Lust auf Zukunft
Die Ergebnisse machen insgesamt deutlich, dass der Rekurs auf den Topos von der „German Angst“ in der Auseinandersetzung um die erfolgreiche Gestaltung der digitalen Transformation in eine Sackgasse führt.
Damit verbunden ist zudem die Gefahr, dass jene, die die Entwicklung als Bedrohung erleben, den Eindruck bekommen, in der öffentlichen Debatte wie kleine Kinder behandelt zu werden, über deren Sorgen von oben herab gelästert wird. Genauso wenig wie ein solches Blaming einem Kind helfen würde, seine Ängste zu überwinden, hilft der Topos der „German Angst“ dabei, diejenigen Menschen in ihrem Ringen um eine gelingende Zukunft zu unterstützen, die ihre Handlungsfähigkeit durch den gegenwärtigen Verlauf der digitalen Transformation bedroht sehen.
Wahrscheinlicher ist, dass sich diese Menschen infolgedessen abkapseln und auf dem Weg in die digitale Gesellschaft verloren gehen. Zumal ein solches Blaming die Gesellschaft spaltet: in die einen, die sich als Gewinner wähnen, und die anderen, die als Verlierer gelten. Ein gemeinsames Lernen, wie die Gesellschaft die digitale Transformation nachhaltig und erfolgreich gestalten kann, wird in einer solchen Konstellation blockiert.
Anstatt das unproduktive Blaming zu verstärken, muss es also darum gehen, einen produktiven Lernprozess der Gesellschaft zu fördern, der Lust auf Zukunft macht.
Mit unserer Studie können wir dafür drei wichtige Impulse geben:
- Die Studie zeigt auf, wie groß die Herausforderungen sind, die mit der digitalen Transformation aus Sicht der meisten Menschen einhergehen. Für die Politik empfiehlt es sich daher, Räume zu schaffen, in denen die Menschen auch ihre Ängste und Bedenken artikulieren können, um damit die Chance zu eröffnen, in der Gesellschaft einen produktiven Umgang damit zu entwickeln. Es kommt darauf an, subjektive Vorbehalte nicht als Blockade, sondern als eine „Produktivkraft“ im Lernprozess auf dem Weg in die digitale Gesellschaft zu verstehen.
- Die Studie stellt heraus, dass sowohl die positive als auch die negative Grundhaltung gegenüber der digitalen Transformation im Kern darauf zurückzuführen ist, ob die Menschen diese Entwicklung im Sinne einer positiven Zukunftserwartung in ihr Leben einbauen können. Für die Politik gilt es sowohl die optimistischen als auch diejenigen Mitglieder der Gesellschaft, die das Vertrauen in die Zukunft gegenwärtig verloren haben, bei der Gestaltung der digitalen Transformation zu integrieren.Dafür braucht es ein übergreifendes Ziel, das auch in der Öffentlichkeit klar erkennbar ist: die Schaffung einer lebenswerten digitalen Gesellschaft, in der alle Menschen von den Möglichkeiten der Digitalisierung profitieren können.
- Die Studie legt dar, dass es letztlich die eigene Handlungsfähigkeit ist, die die Haltung der Menschen zur digitalen Transformation strukturiert. Damit orientiert sie die Politik auf einen strategischen Punkt, an dem diese ansetzen kann: die Erweiterung der Handlungsfähigkeit der Menschen und der Gesellschaft insgesamt. Mit dem Konzept des „Empowerments“ besteht bereits ein vielversprechender Ansatz zur Stärkung von Handlungsfähigkeit in der Arbeitswelt (Boes et al., 2020). Diesen Ansatz demokratischer Teilhabe und Beteiligung gilt es auch über die Arbeitswelt hinaus zu einer politischen Leitlinie für die Gestaltung der digitalen Transformation der Gesellschaft als Ganze weiterzuentwickeln.