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Die Pandemie als Treiber der digitalen Transformation der Hochschulen?

Dr. Roland A. Stürz bidt
Antonia Schlude bidt
Hannes Putfarken bidt
Prof. Dr. Yvette Hofmann Bayerisches Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung (IHF)
Dr. Maike Reimer Bayerisches Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung (IHF)
Nathalie Salmen Bayerisches Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung (IHF)
Franz Classe Bayerisches Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung (IHF)
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Im Rahmen der Studie untersuchen das Bayerische Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung (IHF) und das bidt die Auswirkungen der Coronapandemie auf die Digitalisierung von Lehre und Forschung an Hochschulen. Der dazugehörige Impuls des bidt Think Tank leitet Handlungsempfehlungen ab.

Der Ausbruch der Coronapandemie Anfang 2020 hatte einschneidende Veränderungen für die Organisation und Durchführung von Forschung und Lehre an deutschen Hochschulen zur Folge. So mussten die Lehre und die Forschung während der Coronapandemie aus Infektionsschutzgründen nahezu vollständig in den digitalen Raum verlegt werden. Inwieweit war diese Verlagerung erfolgreich? Welche Probleme traten dabei auf? Und sind dadurch nachhaltige Effekte auf die digitale Transformation der Hochschulen zu erwarten?

Diese Fragen haben IHF und bidt in einem Kooperationsprojekt untersucht. Dafür wurden während der Coronapandemie zum einen 3.846 Professorinnen und Professoren von Universitäten und Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAWs) in Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Sachsen befragt. Zum anderen wurden die Einschätzungen von 1.847 Studierenden und 4.090 erwerbstätigen Absolventinnen und Absolventen aus Bayern erhoben.

Das Wichtigste in Kürze

Verlagerung der Lehre in den digitalen Raum weitgehend erfolgreich, klassische Lehrformate jedoch immer noch vorherrschend

Die Mehrheit der Professorinnen und Professoren ist der Ansicht, dass den Hochschulen die Umstellung der Lehre und die Umstellung der Prüfungen während der Coronapandemie gut gelungen sind. Vor der Coronapandemie fand die Lehre an den bayerischen Hochschulen weitgehend in Präsenz statt, wobei die HAW-Professorinnen und -Professoren ihre Lehre im Schnitt bereits deutlich stärker digitalisiert hatten als ihre Kolleginnen und Kollegen an den Universitäten. Diesen Vorsprung konnten sie während der vergangenen Monate teilweise weiter ausbauen.

Bei der Digitalisierung der Lehre dominieren allerdings nach wie vor Lehrformate, die zwar virtuell durchgeführt werden, von der Wirkungsweise aber in vielen Bereichen analogen (Frontal-)Vorlesungen ähneln, etwa Vorlesungen oder Seminare über Webkonferenz-Tools oder Lehrvideos. Die lernerzentrierten Lehrformate wie Blended Learning, Flipped Classroom oder Just-in-Time Teaching erfuhren zwar auch einen Aufschwung, aber in vergleichsweise deutlich geringerem Maße.

Umgang der Hochschule mit der Coronapandemie und die konkrete Unterstützungsleistung seitens der Hochschulen durch Professorinnen und Professoren überwiegend positiv bewertet

Alles in allem beurteilen die Professorinnen und Professoren den Umgang ihrer Hochschule mit der Coronapandemie recht positiv, an HAWs fällt die Bewertung tendenziell etwas besser aus als an Universitäten. Die Mehrheit der Befragten bescheinigt ihrer Hochschule, adäquate Maßnahmen ergriffen und diese auch zügig umgesetzt zu haben. Außerdem sieht sich die Mehrheit der befragten Professorinnen und Professoren in angemessener Weise über die umgesetzten Maßnahmen informiert. Die konkrete Unterstützung durch die Hochschule in Form von Orientierungshilfe und Ressourcenausstattung wird ebenfalls in der Regel als gut bewertet – Erstere besser an Universitäten, Letztere besser an HAWs. Diese Einschätzungen haben sich gegenüber der Befragung vor der Pandemie insgesamt verbessert.

Übergreifende digitale Transformationsprozesse der Hochschulen von der Professorenschaft zurückhaltend bewertet, Nutzen des Digitalisierungsschubs während der Coronapandemie aber überwiegend positiv eingeschätzt

Die übergreifenden digitalen Transformationsprozesse, die schon länger auf zentraler wie auch auf Fakultätsebene initiiert wurden, werden von der Professorenschaft weniger gut bewertet – etwa die Verknüpfung von Lehre und Verwaltung mithilfe digitaler Technologien oder die bedarfsgerechte und angemessene IT-Leistung. Insgesamt zeigt sich auch hier ein leichter Vorsprung der HAWs gegenüber den Universitäten. Zudem ist erkennbar, dass der Ausbruch der Coronapandemie einen deutlichen Digitalisierungsschub an allen Hochschulen ausgelöst hat und sich an vielen Stellen eine
Verbesserung gegenüber der Zeit vor Corona zeigt.

Doch obwohl den Hochschulleitungen von der Professorenschaft nicht immer ein gutes Zeugnis in Sachen digitale Transformation ausgestellt wird, ist die Mehrheit der Professorinnen und Professoren der Ansicht, dass die Digitalisierungsprozesse während Corona der eigenen Hochschule, der Fakultät, dem Fachbereich, der eigenen Person sowie den Studierenden genutzt haben. Auch hier beurteilt die HAW-Professorenschaft den Nutzen der digitalen Transformation höher als die Universitätsprofessorenschaft.

Forschung während der Coronapandemie deutlich erschwert

Die Fortführung der eigenen Forschung unter Pandemiebedingungen wird von der Professorenschaft als deutlich problematischer beschrieben als die Umstellung der Lehre. Dies betrifft insbesondere die Anpassung der Forschungsprozesse im virtuellen Raum. Dennoch konnten die Befragten im Durchschnitt den Anteil an ihrer Arbeitszeit, den sie für die Forschung aufwendeten, auf demselben Niveau halten wie noch vor zwei Jahren. Dieser Anteil beträgt knapp ein Drittel bei Professorinnen und Professoren an Universitäten und knapp ein Viertel bei Professorinnen und Professoren an HAWs.

Arbeitszufriedenheit der Professorenschaft während Corona kaum verändert

Die durchschnittliche Arbeitszufriedenheit der Professorinnen und Professoren hat sich während der Coronapandemie nur geringfügig verändert: Wie auch schon vor zwei Jahren geben gut 60 % aller Befragten an, mit ihrer Arbeitssituation (sehr) zufrieden zu sein. Die Zufriedenheit an Universitäten ist sogar etwas gestiegen, an HAWs hingegen leicht gesunken. Wichtige Einflussfaktoren auf die Arbeitszufriedenheit während der Coronapandemie sind dabei die Kurzfristigkeit der erforderlichen Umstellungen, eine unzureichende Ausstattung, fehlende Unterstützung durch die Hochschule sowie inhaltliche Einschränkungen der Digitalisierungsmöglichkeiten.

Einschätzungen der bayerischen Professorinnen und Professoren im Bundesländervergleich teilweise positiver

Beim Vergleich der bayerischen Professorinnen und Professoren mit denen aus drei weiteren Bundesländern (Baden-Württemberg, Niedersachsen und Sachsen) zeigen sich Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede, die keinem einheitlichen Muster folgen.

So ist die allgemeine Arbeitszufriedenheit in Bayern höher als in Niedersachsen. In Niedersachsen wiederum werden der Umgang der Hochschule mit der Coronapandemie und die notwendige Unterstützung sowie die Orientierungshilfe zur Umstellung der Arbeitsweise auf digitale Möglichkeiten durch die Hochschule tendenziell positiver bewertet. Die Schwierigkeiten bei der Umstellung der Lehre werden in Bayern als geringer eingeschätzt als in Sachsen und Niedersachsen. Länderübergreifend stellen der enge Zeithorizont der Umstellung sowie schlechte Internetverbindungen die größten Probleme dar.

Unterstützung durch die Hochschule von Studierenden weitgehend als gut bewertet, allerdings in etwas geringerem Maße als von Professorinnen und Professoren

Etwa die Hälfte der befragten Studierenden an Universitäten und HAWs in Bayern sieht sich durch ihre Hochschule in Bezug auf Orientierungshilfe und Ressourcenausstattung gut unterstützt. Beim direkten Vergleich der Angaben der Professorinnen und Professoren mit denen der Studierenden zeigen sich Übereinstimmungen: Beide Gruppen bewerten die notwendige Unterstützung, die Orientierungshilfe und die Ressourcenbereitstellung zum jeweils größten Teil als gut. Studierende als auch Professorinnen und Professoren bewerten dabei übereinstimmend die Ressourcenbereitstellung als am besten. Die positive Bewertung der Studierenden ist aber durchgängig etwas geringer ausgeprägt als die der Professorenschaft. Zudem sind die Unterschiede zwischen der Professorenschaft und den Studierenden an den HAWs stärker ausgeprägt als an den Universitäten.

Grenzen der digitalen Lehre von Studierenden bei Interaktionen im Studium erkannt, Vorbereitung auf die digitalisierte Arbeitswelt kritisch gesehen

Insgesamt stellen die Studierenden bei der in den virtuellen Raum verlagerten Lehre deutliche Grenzen der Interaktionsmöglichkeiten in digitalen Formaten fest. Dies betrifft besonders die Möglichkeiten der sozialen Interaktion mit anderen Studierenden: Nur etwa ein Fünftel nimmt an, dass diese bei digitalen Formaten erfolgreich gelingen kann. Bei fachlichen Interaktionen (untereinander und mit Lehrenden) ist der Anteil zwar höher, aber auch hier geht immer noch nur rund ein Drittel der Studierenden von erfolgreichen Interaktionsmöglichkeiten in Onlineformaten aus. Auch die Einschätzung bezüglich der Vorbereitung auf die Herausforderungen einer digitalisierten Arbeitswelt durch das Studium fällt zurückhaltend aus: Nur etwa ein Drittel fühlt sich gut oder sehr gut vorbereitet, knapp ein weiteres Drittel immerhin teilweise.

Handlungsempfehlungen

Impulse aus der Digitalisierung der Lehre aufgreifen, geeignete Hybridformate und Blended Learning für die Zukunft weiterentwickeln

Die vergangenen Monate mit einer zwangsweise in den digitalen Raum verlegten Lehre sollten umfassend von den Hochschulen evaluiert werden, um daraus Schlüsse für die Gestaltung der Lehre in der Zukunft zu ziehen. Die Suche nach einer geeigneten Kombination aus Präsenz- und Onlinelehre sollte dabei im Mittelpunkt stehen.

Die Erkenntnisse aus den letzten Semestern sollten zudem dazu genutzt werden, bestehende Formate weiterzuentwickeln. So können Präsenzveranstaltungen in Zukunft verstärkt um digitale Elemente ergänzt und Onlineformate interaktiver und lernerzentrierter gestaltet werden. Dazu eignen sich zum Beispiel bisher kaum in der Hochschullehre eingesetzte Verfahren und Technologien wie Virtual Reality oder digitale Lernspiele bzw. eine Gamification der Lehre.

Erst die Vermittlung der Lehrinhalte in klassischen Lehrformaten kombiniert mit neuen innovativen Verfahren und Technologien wird es erlauben, das gesamte Potenzial einer digitalisierten Lehre zu heben. Letztlich sollten Hochschulen anstreben, die Lehre stärker an den Bedürfnissen der Studierenden und deren Lernzielen auszurichten und ein integriertes, hybrides Lernen – ein sogenanntes Blended Learning – anbieten.

Anspruchsgruppen bei der digitalen Transformation beteiligen, Experimentierräume schaffen

Um die Lehre besser an den Bedürfnissen der Studierenden ausrichten zu können, müssen die Hochschulen diese stärker als bisher an der Weiterentwicklung des Lehrangebots beteiligen. Die systematische Analyse von Studierendendaten, die sich während der Coronapandemie sogar verschlechtert hat, muss daher ausgebaut werden.

Die aus den Analysen gewonnenen Erkenntnisse können helfen, bessere Entscheidungen für die Weiterentwicklung des Lehrangebots zu treffen. Daneben sollte auch über eine stärkere direkte Beteiligung der Studierenden nachgedacht werden. Wichtig ist, dass auch bei der Weiterentwicklung des Lehrangebots hin zum Blended Learning auf Inklusion und Chancengleichheit aller Studierenden geachtet wird.

Hochschulen sollten darüber hinaus verstärkt Experimentierräume bieten, in denen Studierende und Lehrende die Lehre neu denken und erproben können. Wie die Befragung zeigt, besteht hier erheblicher Nachholbedarf. Diese Experimentierräume eignen sich zudem auch dazu, neue Kooperationen über Hochschul- und Bundesländergrenzen hinweg zu testen, um die Digitalisierung voranzutreiben.

Digitalkompetenzen und weitere Soft Skills an Studierende und Lehrende vermitteln

Die Studienergebnisse verdeutlichen, dass Hochschulen noch stärker als bisher fächerübergreifend Digitalkompetenzen an Studierende vermitteln müssen, sodass diese in Zukunft besser auf die digitalisierte Arbeitswelt vorbereitet werden. Lehrende sind entsprechend zu befähigen, diese Digitalkompetenzen auch zu unterrichten.

Viele Hochschulen haben die Notwendigkeit, entsprechende Kompetenzen zu vermitteln, erkannt und die Coronapandemie hat das Bewusstsein dafür noch einmal verstärkt. Entsprechende Initiativen sind nun auszubauen und weiterzuentwickeln.

Auch die didaktischen Fähigkeiten des Lehrpersonals sollten im Hinblick auf den Einsatz neuer digitaler Lehrformate und den Einsatz neuer Medien gezielt ausgebaut werden. Die Lehre aus der Distanz erfordert andere Fähigkeiten und Kompetenzen als die klassische Präsenzlehre. Entsprechend muss die Aus- und Fortbildung der Lehrenden vorangetrieben werden.

Hochschulen sind daher angehalten, die Investitionen in den Aufbau und die Ausbildung der notwendigen digitalen Kompetenzen bei den Lehrenden weiter auszubauen.

Anreize erhöhen, Finanzierung verstetigen

Der Zwang, Lehrangebote zu digitalisieren, um während der Coronapandemie überhaupt den Lehrbetrieb aufrechtzuerhalten, hat zu einem bedeutenden Digitalisierungsschub geführt. Um jedoch mittel- und langfristig auch komplexere digitale Lehrformate, wie virtuelle Lernrealitäten oder Lernspiele, in größerer Anzahl anbieten zu können, braucht es geeignete Anreize.

Neben geeigneten Anreizen zum Beispiel im Rahmen des Deputatsystems bedarf es für die Erstellung neuer digitaler Lehrformate auch geeigneter finanzieller Ressourcen. Support-Einheiten mit Programmiererinnen und Programmierern, aber auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Bereichen Medien und Didaktik sowie Instruktionsdesign müssen aufgebaut, weiterentwickelt und nachhaltig vorgehalten werden.

Zusätzliche finanzielle Mittel während der Coronapandemie haben die zeitnahe Bereitstellung neuer Angebote erleichtert. Laufen die zusätzlich während der Coronapandemie bereitgestellten Mittel ohne sinnvolle Verstetigungsperspektive aus, droht der ausgelöste Digitalisierungsschub mittel- und langfristig zu verpuffen. Für die Hochschulen muss daher auch in Zukunft über zeitlich begrenzte Fördermittel hinaus eine langfristige Finanzierungsperspektive für die digitale Transformation geschaffen werden.