Herr Dr. Egle, was sind aus Ihrer Sicht die drei wichtigsten Themen, welche im Fokus der Digitalpolitik stehen oder stehen sollten?
Im Fokus der Debatte in Deutschland stehen meiner Wahrnehmung nach noch immer die Themen digitale Infrastruktur (Breitband, Mobilfunk), Digitalisierung der Verwaltung und Regulierung digitaler Plattformen – vor allem im Medienbereich. Bei den ersten beiden Themen steht Deutschland im internationalen Vergleich nicht besonders gut da, was der Politik auch bekannt ist. Bei der Plattformregulierung ist die EU-Kommission seit einiger Zeit sehr aktiv. Was mir aber fehlt, ist ein gesamthafter Blick in der Politik auf das Thema Digitalisierung. Wir haben sehr viele punktuelle Initiativen, Strategien und auch Organisationen, aber was Digitalpolitik in Deutschland eigentlich ist, was dazu gehört und was nicht, wer sie betreibt und wer nicht, das kann niemand so richtig sagen.
Welche Rolle spielen Forschungsinstitutionen wie das bidt in Hinblick auf die Ausgestaltung der Digitalpolitik? Sind sie Impulsgeber oder eher Antreiber?
Institute wie das bidt können und wollen Impuls- und Ideengeber sein, vielleicht auch mal Antreiber. Wir können mit unseren Forschungsergebnissen dabei helfen, die Prozesse der digitalen Transformation besser zu verstehen, und wir können einen Beitrag leisten, zu ausgewählten – nicht zu allen – Fragen Handlungsoptionen zu entwickeln. Eines unserer Projekte hat z. B. erstmals gezeigt, in welchem Umfang bayerische Unternehmen vom chinesischen Sozialkreditsystem erfasst werden, ein anderes Projekt hat eine Methodik entwickelt, wie ethische Entscheidungen systematisch in den Prozess der Softwareentwicklung integriert werden können. Die konkrete Politikformulierung und deren Umsetzung ist und bleibt aber die Aufgabe von Parlamenten, Regierungen und Verwaltungen, die dabei stets eine Vielzahl berechtigter Interessen gegeneinander abwägen müssen.
Veranstaltung: Perspektiven der Digitalpolitik – Erfahrungen und aktuelle Herausforderungen
Wer treibt die digitale Transformation in Deutschland? Die Themen sind vielfältig und reichen von der Beseitigung von Funklöchern über die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung bis hin zur digitalen Souveränität Europas. Daran wird deutlich: Digitalpolitik betrifft alle Politikfelder und digitale Transformation hält sich nicht an klassische Zuständigkeiten. Wie können und sollen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft damit umgehen? Wie lässt sich Digitalisierung organisieren? Welche Erfahrungen wurden international gesammelt?
Diesen Fragen widmete sich eine Kooperationsveranstaltung von acatech und bidt am 17. Mai 2022, bei der unterschiedliche Perspektiven aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft eingebracht wurden.
Nachbericht
Welche Ansätze aus der Wirtschaft können Politik und Verwaltung zum Vorbild nehmen?
Politik und Verwaltung können von Unternehmen lernen, dass Digitalisierung nicht auf den Einsatz von IT verengt werden darf und viel mehr ist als die Digitalisierung interner Prozesse. Deswegen denke ich auch weniger an einen CIO, also an eine Person, die primär für IT-Themen verantwortlich ist, sondern an einen CDO, also einen Chief Digital Officer. CIOs haben wir in der Verwaltung ja bereits. Wenn wir aber von digitaler Transformation sprechen, geht es um Fragen der Organisationssteuerung bzw. der Organisationsveränderung. Viele Unternehmen haben im Zuge der Digitalisierung neue Produkte und Geschäftsmodelle entwickelt und neue Märkte bedient. Das ist ihnen nur selten mit ihren hergebrachten Strukturen gelungen. Tatsächlich haben vor allem komplexe Unternehmen in den vergangenen Jahren die Rolle eines CDO geschaffen, um den digitalen Transformationsprozess voranzubringen und zu gestalten. Meines Erachtens wäre eine solche CDO-Funktion auch für jedes Ministerium bzw. für jede größere Verwaltungseinheit wünschenswert – denn jedes Ressort ist mit digitalisierungsrelevanten Themen und Veränderungen im jeweiligen Zuständigkeitsbereich befasst. Im Idealfall werden die CDOs aller Ressorts von einem übergeordneten Landes- bzw. Bundes-CDO koordiniert.
Dr. Christoph Egle
Er ist wissenschaftlicher Geschäftsführer des bidt. Nach verschiedenen Stationen in politikwissenschaftlicher Forschung und Lehre an den Universitäten Heidelberg, Frankfurt/Main und der LMU München wechselte Christoph Egle in die wissenschaftliche Politikberatung und das Wissenschaftsmanagement. Bei der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) leitete er bis 2018 die Geschäftsstelle des Innovationsdialogs der Bundesregierung. Danach war er als Referatsleiter für digitale Zukunftstechnologien in der Bayerischen Staatskanzlei und im Staatsministerium für Digitales tätig, bevor er im Juni 2019 an das bidt wechselte.