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MStV-Vorschlag der Länder: Reformpläne für öffentlich-rechtliche Medienplattformen mit Anforderungen an vielfaltsfördernde Empfehlungssysteme

Der juristische Kern des vom bidt geförderten interdisziplinären Projekts Coding Public Value hat Stellung zum Entwurf des Medienstaatsvertrages (MStV-E) genommen. Dieser zielt insbesondere darauf ab, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit den für die digitale Transformation benötigten rechtlichen Rahmenbedingungen auszustatten. Im Blogbeitrag stellen die Autorin und der Autor heraus, dass und welche ihrer Projekterkenntnisse vom MStV-E aufgenommen werden.


Im Oktober 2021 hat die Rundfunkkommission der Länder einen Diskussionsentwurf zu Auftrag und Strukturoptimierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vorgelegt, zu dem bis Mitte Januar 2022 im Rahmen eines Konsultationsverfahrens Stellung genommen werden konnte.

Der Änderungsvorschlag enthält Aspekte, die in dem vom bidt geförderten Forschungsprojekt „Coding Public Value“ als wichtige Herausforderungen bei der Modernisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks identifiziert werden konnten. So hat das rechtswissenschaftliche Team des Projekts „Coding Public Value“ bereits im Frühjahr 2021 in einer Analyse in Form eines rechtswissenschaftlichen Gutachtens herausgearbeitet, welche Anforderungen sich aus dem Rundfunkverfassungsrecht und dem geltenden Medienstaatsvertrag (MStV) an die Gestaltung der Onlineangebote öffentlich-rechtlicher Anbieter ergeben. Ein zentrales Ergebnis war, dass die Dimensionen des verfassungsrechtlichen Funktionsauftrags sich auch auf die Softwaresysteme erstrecken, die den Onlineangeboten zugrunde liegen. Weil deren Funktionen sich (auch) auf die Vermittlung der öffentlich-rechtlichen Inhalte – und damit auf die wahrnehmbare und wahrgenommene Vielfalt – auswirken, weisen diese Systeme unmittelbare Bezüge zur Erfüllung des normativen Auftrags auf. Die bisherigen Anforderungen an die Berücksichtigung „internetspezifischer Gestaltungsmittel“ kann diese Relevanz bislang kaum abbilden.

Der jetzige Entwurf der Länder greift diese Überlegungen – neben anderen Aspekten – auf: So sieht der Entwurf in § 30 Abs. 4 MStV-E vor, dass Rundfunkanstalten ihre Online-Empfehlungssysteme so anbieten müssen, dass „diese einen offenen Meinungsbildungsprozess und breiten inhaltlichen Diskurs ermöglichen“. Solche Empfehlungssysteme sind als Filtermechanismen zu verstehen, die beispielsweise basierend auf persönlichen Präferenzen oder dem Rezeptionskontext automatisiert Vorschläge zur weiteren Inhalterezeption an die Nutzerinnen und Nutzer vermitteln. Der Gesetzgeber würde durch die gewählte Formulierung also explizit machen, dass für die Onlinevermittllung von öffentlich-rechtlichen Inhalten spezifische Anforderungen an Empfehlungssysteme zu beachten sind, die für private Medienplattformen dergestalt nicht existieren.

Wir als Mitautorin und Mitautor der Analyse haben im Rahmen des Konsultationsverfahrens nun eine Stellungnahme eingereicht, die diese geplante Anforderung begrüßt. Wir weisen aber auch darauf hin, dass es bislang an Best-Practice-Ansätzen fehlt, wie derart unbestimmte rechtliche Vorgaben in Daten und Softwarefunktionen abgebildet werden können. Hier bedarf es komplexer Verfahren, in deren Rahmen Expertinnen und Experten mit juristischem und demokratietheoretischem Hintergrundwissen gemeinsam mit Software Engineers ihr Wissen für eine den rechtlichen Anforderungen entsprechende Softwareentwicklung fruchtbar machen. Die Herausforderungen solcher „Übersetzungsleistungen“ sind nicht trivial.

Dabei geht es nicht nur um die Phase der Konkretisierung der rechtlichen Anforderungen im Rahmen des nötigen Software Requirements Engineerings, sondern auch um die reflexive Überprüfung und Dokumentation, inwieweit das System später tatsächlich diesen Vorgaben entspricht. Das Projekt „Coding Public Value“ am bidt erarbeitet noch bis Mitte 2023 Ansätze für derartige Interpretations- und Entwicklungsverfahren.

Für das Vorzeichnen solcher Verfahren und die nachträgliche Überprüfung der Umsetzung verpflichtet der Diskussionsentwurf zudem die internen Aufsichtsgremien der Rundfunkanstalten in § 31 Abs. 2c MStV-E. Diese sollen inhaltliche und formale Qualitätsstandards sowie standardisierte Prozesse etablieren, anhand derer eine Überprüfung der Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben möglich ist. Dadurch erlangen die plural zusammengesetzten Fernseh- bzw. Rundfunkräte der öffentlich-rechtlichen Medienanbieter mehr Gestaltungsoptionen und Gestaltungsmacht, auch in Bezug auf die Anforderungen an die Softwareentwicklung der jeweiligen Anstalt. Dafür, auch das machen wir in unserer Stellungnahme deutlich, bedarf es einer besseren Ausstattung der Gremien, auch mit Blick auf die dafür notwendige Expertise.

Die Stellungnahme geht daneben auf weitere Aspekte des Diskussionsentwurfs ein, die die digitale Transformation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks betreffen.

Das Projekt „Coding Public Value“

Das vom bidt geförderte Projekt, an dem unter anderem das Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut mit seiner juristischen Expertise beteiligt ist, identifiziert und analysiert solche rechtlichen Anforderungen sowie die gesellschaftlichen und stakeholderseitigen Erwartungen an öffentlich-rechtliche Software, etwa im Bereich von Suchfunktionen, Empfehlungssystemen und automatischen Inhaltefiltern. Durch Interviews, Dokumentenanalysen und gemeinsame Workshops soll das Forschungsprojekt im engen Austausch mit Rundfunkanstalten und Stakeholdergruppen Optionen für die zukünftige Konkretisierung und Umsetzung von softwarebezogenem „Public Value“ aufzeigen, die gegebenenfalls in zukünftigen Telemedienkonzepten aufgegriffen werden könnten. In Kürze erscheint ein erstes Arbeitspapier, das eine Analyse des regulatorischen Rahmens für solche Technologien darstellt und erste Vorschläge anführt, wie diese künftig unter Berücksichtigung verschiedener an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gestellter Anforderungen ausgestaltet werden können.

Stellungnahme und Gutachten

Rhein, Valerie / Dreyer, Stephan / Schulz, Wolfgang (2022). Schriftliche Stellungnahme zu dem Diskussionsentwurf zu Auftrag und Strukturoptimierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Hamburg, 13. Januar 2022.

Rhein, Valerie / Dreyer, Stephan / Schulz, Wolfgang (2021). Rechtliche Vorgaben für die Gestaltung von Software öffentlich-rechtlicher Medienplattformen. Gesetzliche und verfassungsrechtliche Programmaufträge und deren Abbildbarkeit in Strukturen, Verfahren und Code. Hamburg: Verlag Hans-Bredow-Institut, Mai 2021 (Arbeitspapiere des Hans-Bredow-Instituts | Projektergebnisse Nr. 56).

Die vom bidt veröffentlichten Blogbeiträge geben die Ansichten der Autorinnen und Autoren wieder; sie spiegeln nicht die Haltung des Instituts als Ganzes wider.