Es spricht nichts dafür, die digitale Transformation aus der Grundschule rauszuhalten, aber viel dagegen. Digitale Medien können das didaktische Instrumentarium sinnvoll erweitern. Die Vermittlung von grundlegenden Informatikkonzepten ist Voraussetzung für digitale Souveränität. Notwendig ist dafür neben technischer Ausstattung, die Entwicklung sinnvoller Konzepte für das Lernen mit und über digitale Medien. Das sollte zügig, aber mit Bedacht geschehen.
Ein Gutes zumindest kann man der Corona-Pandemie zuschreiben: Die Digitalisierung an den Schulen hat dadurch einen nachhaltigen Schub erhalten. Im Februar 2021 hat die Bundeskanzlerin zusammen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung die Initiative Digitale Bildung ins Leben gerufen, um die Kompetenzentwicklung in einer digital geprägten Welt zu fördern. Dass digitales Lernen für alle Altersstufen und alle Schularten nun zügig auf- und ausgebaut wird, ist aus mehreren Gründen dringend an der Zeit: (1) Videokonferenzen, Chats und Lernplattformen können auch bei Präsenzunterricht den Informationsaustausch zwischen Lehrenden und Lernenden erleichtern. (2) Kinder wachsen in einer immer stärker digitalisierten Welt auf und sollten durch geeignete medienpädagogische und informatikdidaktische Konzepte dazu befähigt werden, reflektiert und souverän in der digitalen Welt zu agieren. (3) Digitale Lernangebote können in Form von interaktiven und virtuellen Angeboten das didaktische Portfolio der Wissens- und Kompetenzvermittlung sinnvoll erweitern.
Digitales Lernen sinnvoll gestalten
Voraussetzung ist eine nachhaltige Investition in die digitale Infrastruktur (Breitbandnetzanbindung, Server, WLAN) bis hin zu digitalen Anzeige- und Arbeitsgeräten (Monitore, Tablets, Notebooks). Geld bereitzustellen, wie es der 2016 ins Leben gerufene Digitalpakt Schule getan hat, ist notwendig, aber allein wenig hilfreich. Es hat keinen Sinn, wenn sich jede Schule oder auch jeder Schulbezirk eigene Lösungen für eine auf die pädagogischen und didaktischen Anforderungen ausgerichtete sowie technisch sinnvolle Ausstattung überlegt. Damit die Investitionen langfristig und zuverlässig nutzbar sind, ist es unerlässlich, technisches Personal für die Betreuung einzustellen und nicht darauf zu hoffen, dass engagierte Lehrkräfte das nebenher erledigen.
Technische Probleme wie überlastetes Internet oder defekte Computer fallen immer sofort auf, fehlende oder ungeeignete pädagogische und didaktische Konzepte dagegen sind oft erst als Spätfolgen sichtbar, so etwa bei der Rechtschreibmethode Schreiben nach Gehör. Im Digitalpakt Schule wird explizit betont, dass neben technischer Ausstattung pädagogische und didaktische Konzepte sowie Qualifikation der Lehrkräfte wichtig sind, um digitales Lernen sinnvoll zu gestalten. Gerade für den Grundschulbereich gibt es hier bislang kaum Ansätze – weder im Lehramtsstudium noch in Form von Lehrplänen und Lehrmaterialien. Die Lücke wurde in den letzten Jahren von verschiedenen mehr oder minder durchdachten außerschulischen Angeboten gefüllt. Was hier genau unter digitalem Lernen verstanden wird, ist sehr vielfältig und geht von der Bedienung digitaler Geräte über die Nutzung von Lernapps für verschiedene Schulfächer bis hin zur Programmierung.
Von unreflektierter Nutzung zu digitaler Kompetenz
Ein in der öffentlichen Diskussion immer wiederkehrendes Missverständnis ist, dass die Fähigkeit, mit einem Tablet oder Smartphone umzugehen, mit digitaler Kompetenz oder gar Informatikkompetenz gleichzusetzen sei. Das zeigt sich in Äußerungen wie, Tabletklassen seien schon in der Grundschule wichtig, damit dem Mangel an Informatikfachkräften begegnet werden könne, und wird zum Teil auch in den Befürchtungen von Grundschullehrkräften reflektiert, die meinen, die Kinder hätten mehr Ahnung von digitalen Medien als sie selbst. Jedem dürfte sofort klar sein, dass Fernsehkonsum nicht automatisch zu einem Studium der Nachrichtentechnik motiviert oder dass Interesse am Autofahren nicht das Gleiche ist wie Interesse am Fahrzeugbau. Dasselbe gilt für den Umgang mit digitalen Medien: Auch wenn Kinder souverän mit dem Smartphone umgehen können und oft auch effizienter als viele Erwachsene, hat das nichts mit einem Verständnis der dem Gerät zugrunde liegenden Konzepte zu tun. Offensichtlich ist, dass man Kinder nicht zum Umgang mit digitalen Geräten motivieren muss, aber man sollte deren unreflektierte Nutzung sinnvoll unterfüttern.
Kreative Wissenserschließung durch Informatik
Wie man Kinder im Grundschulalter dazu anregt, physikalische oder biologische Phänomene zu hinterfragen, zeigen bereits bewährte Ansätze aus der Didaktik der Naturwissenschaften. Die Entsprechung zu den naturwissenschaftlichen „Warum ist das so?“-Fragen sind im Hinblick auf digitale Medien und Informatik die „Wie funktioniert das?“-Fragen – die Grundlage für Forschung und Entwicklung im Bereich Informatik und die entsprechende Frage „Wie kann ich das besser machen?“. Die Informatikdidaktik für die Grundschule steckt noch in den Kinderschuhen. Bei Schulbuchverlagen finden sich erste medienpädagogische Materialien mit dem Fokus auf Medienkunde. Andererseits wird gefordert, dass Kinder schon in der Grundschule programmieren lernen sollen, so etwa von der Staatsministerin für Digitalisierung Dorothee Bär, wenn sie sagt, dass Programmieren so wichtig wie Lesen, Schreiben und Rechnen werden müsse. Gerade Mädchen können von solchen schulischen Angeboten profitieren, da sie seltener direkt im Elternhaus an MINT-Themen herangeführt werden als Jungen.
Häufig wird in diesem Zusammenhang von Computational Thinking gesprochen, das man früher als algorithmisch-logisches Denken bezeichnet hat. Diese für die Informatik typische Art, Probleme zu analysieren, zu segmentieren und deren Lösung systematisch zu beschreiben, ist auch im Studium der Informatik zentral. Dass schon Kinder programmieren lernen sollen, um denken zu lernen, ist keine neue Idee: Bereits 1967 wurde die Programmiersprache Logo vom MIT-Wissenschaftler Seymour Papert eingeführt. Als Schüler des Entwicklungspsychologen Jean Piaget hat er in Schriften wie Revolution des Lernens (1994) ein Schulsystem kritisiert, das darauf ausgerichtet ist, dass Kinder die richtige Antwort geben. Er propagierte Computertechnologie als Instrument der kreativen Wissenserschließung mit positiven Auswirkungen auf die Lernmotivation. Heute werden visuelle Programmiersprachen wie Scratch (ebenfalls am MIT entwickelt) oder das vom Fraunhofer IAIS entwickelte Open Roberta Lab für die frühe Vermittlung von Programmierkompetenzen genutzt. Parallel dazu wurden verschiedene Unplugged-Angebote entwickelt, die mit anschaulichen, spielerischen Materialien grundlegende Informatikkonzepte vermitteln.
Digitaler Unterricht, aber mit Augenmaß
Bislang liegt es vor allem am Engagement einzelner Lehrkräfte, ob sie sich mit diesen Angeboten auseinandersetzen und diese in der Schule umsetzen. Dabei besteht bei allem Engagement auch die Gefahr, dass mangels fachlichen Hintergrunds Fehlkonzeptionen an die Kinder weitergegeben werden. Neben entsprechenden Curricula in der Lehrkräftebildung sind dringend empirische Untersuchungen notwendig, um zu prüfen, welche kurz- und mittelfristigen Effekte Informatikunterricht in der Grundschule bewirken kann. Eine Vermutung ist – ganz im Sinne Paperts –, dass das Erlernen von Programmieren zu einer Verbesserung des algorithmisch-logischen Denkens führt und damit auch positive Effekte auf das Mathematikverständnis zu erwarten sind. Beobachtet wird auch eine andere Fehlerkultur: Während Unterricht oft darum bemüht ist, Fehler zu vermeiden, und damit auch zum Vertuschen von Fehlern und Verschweigen von Verständnisschwierigkeiten führen kann, ist Programmieren gerade darauf ausgelegt, Fehler zu machen und diese durch Testen zu finden und zu korrigieren. Schließlich ist anzunehmen, dass ein Grundverständnis von Daten und Algorithmen eine wichtige Basis für einen reflektierten und souveränen Umgang mit digitalen Medien liefert, wie er im Frankfurter Dreieck gefordert wird.
Auch wenn es gute Gründe gibt, elementare Konzepte von Informatik und Computational Thinking sowie das Lernen mit digitalen Medien schon in der Grundschule zu vermitteln, ist hier sicher Augenmaß nötig, damit Themen der Digital Literacy nicht andere wichtige Bereiche kannibalisieren. Erkenntnisse von Neurowissenschaft bis Pädagogik sprechen dafür, dass gerade bei jüngeren Kindern das analoge Lernen entscheidend ist, um grundlegende Kompetenzen aufzubauen. Entsprechend ist ein Umstellen des Unterrichts auf eine rein digitale Wissens- und Kompetenzvermittlung via Tablet und Smartboard nicht wünschenswert. Lernapps können Kinder sicher oftmals eher motivieren als ein Arbeitsblatt, und auch behavioristische Anreizsysteme wie Gamification und Nudging können Kinder bei Lernaufgaben wie dem kleinen Einmaleins, Vokabeln oder geografischen Fakten unterstützen. Generell braucht es aber grundlegende fachdidaktische Konzepte, um eine gute Passung von Lerninhalten und geeigneten didaktischen Mitteln zu erreichen. Empirische Befunde legen nahe, dass kognitiv komplexe Inhalte sogar schlechter erlernt werden, wenn die Inhalte animiert präsentiert werden. Vor lauter Begeisterung über die bunten Apps im Store sollte man also nicht vergessen, deren didaktischen Nutzen zu hinterfragen, vor allem da solche Apps bislang kaum evaluiert sind.
Sowohl das Lernen von digitalen Konzepten als auch das Lernen mit digitalen Medien sollte bereits in der Grundschule beginnen, damit sich die Generation der Digital Natives sich nicht zu Digital Naives entwickelt. Der aktuelle Schub durch die Coronapandemie hilft dabei, die digitale Bildung in der Grundschule voranzubringen, und das sollte zügig geschehen – aber mit Bedacht.
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