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Disziplin

Kommunikationswissenschaft

Digital Game-Based Learning im Fremdsprachenerwerb

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Unter Digital Game-Based Learning (DGBL) versteht man einen Lehr- bzw. Lernansatz, der auf das Lernen mit und in Spielen abzielt, also allgemein den Einsatz digitaler Spiele zu Lernzwecken bezeichnet (in Anlehnung an[16]). Es stellt damit eine spezielle Form des E-Learnings dar: So wie E-Learning allgemein das Lehren und Lernen mit digitalen Medien umfasst, so basiert DGBL speziell auf digitalen Spielen, die den Lernprozess unterstützen sollen. Spielerische Lernumgebungen folgen dabei eigenen Konzepten, die neben dem DGBL auch weiteren Begriffen, insbesondere Gamification und Serious Games, zugeordnet werden (zur Differenzierung z. B. [2], [20]). Daraus ergeben sich Lernspiele verschiedenster Art, die in zahlreichen Bereichen Anwendung finden können; im Bildungsbereich wird v. a. beim Fremdsprachenlernen auf spielerische Zugänge zu den Lerninhalten gesetzt. So hat sich Digital Game-Based Language Learning (DGBLL) als Unterkategorie zu DGBL und eigenes Forschungsgebiet etabliert, vgl. [13], [7], [14], und stellt gleichzeitig eine spezifische Domäne des Computer-Assisted Language Learning (CALL) bzw. Technology-Enhanced Language Learning (TELL) dar[6]. Die Sprachen, auf die das Konzept des DGBL angewendet wird, sind überwiegend neue Fremdsprachen, es gibt aber auch erste Ansätze aus dem altsprachlichen Bereich [19].

Im Kontext des Fremdsprachenerwerbs können spielerische Lernformen sowohl im Rahmen des institutionalisierten Fremdsprachenunterrichts als auch zum informellen Lernen genutzt werden. Die digitalen Angebote sind zahlreich, in ihrer Qualität und ihrem Bezug zu DGBL allerdings recht unterschiedlich. Besonders verbreitet sind einfache Reiz-Reaktions-Spiele (Drill & Practice), die als geschlossene Übungsformate v. a. zur Abfrage von Vokabeln genutzt werden, wie z. B. verschiedene Schieß- oder Kartenspiele, Memory, Galgenmännchen, (je nach Darbietung mehr oder weniger spielerische) Quizformate und weitere Minispiele (vgl. z. B. die Websites Englische Lernspiele und IC Language sowie die digitalen Vorlagen der Plattformen Arcade Game Generator und Wordwall). Sie können auch in eine umfangreichere Lernumgebung (vgl. E-Learning) eingebunden und durch weitere Spielelemente wie Punkte, Badges, Avatare, Ranglisten, Level oder Quests ergänzt werden. So setzen z. B. die Sprachlern-Apps Duolingo und Mondly auf eine spielerische Umgebung, in der die Auseinandersetzung mit den Inhalten durch entsprechende Spielelemente belohnt wird. Dabei steht der Lerninhalt in keinem echten Bezug zu den spielerischen Elementen, sondern wird (z. B. als Vokabelabfrage) lediglich in eine unterhaltsame Umgebung übertragen – mit dem Ziel, das Lernverhalten zu beeinflussen und die Motivation zu steigern, insbesondere bei ungeliebten Aktivitäten wie dem Üben von Grammatik oder Wortschatz. Bei diesem Spielkonzept handelt es sich um eine Form der Gamification (Nutzung von Spielelementen in spielfremden Kontexten), die oft vom DGBL abgegrenzt wird[7], [21] und in der Fremdsprachendidaktik vielfach kritisch gesehen wird, z. B. [8], [17], [4]: Da Spiel und Lerninhalt voneinander getrennt sind, findet kein echtes spielbasiertes Lernen statt, bei dem es zu einer bedeutungsvollen Interaktion zwischen Spielenden und Spielinhalt (und damit auch Lerninhalt) kommt. Dem DGBL sehr nahe kommt Gamification dagegen dann, wenn es nicht nur auf einer strukturellen Ebene erfolgt, sondern die Lerninhalte Teil einer spielerischen Umgebung werden, z. B. durch Storytelling (sog. inhaltliche Gamification nach [20], [21]). So können z. B. Inhalte einer Lehrbuchlektion zu einem Detektivspiel aufbereitet werden, sodass durch die Kopplung von Lern- und Spielzielen eine spielähnliche Erfahrung und sogar Immersionsprozesse möglich werden (ebd.).

In eine ähnliche Richtung gehen sog. Serious Games (zur Abgrenzung [20], 20–26): Hier werden nicht nur spielerische Designelemente in einen Lernkontext übertragen, sondern es handelt sich um alleinstehende Spiele, die zu einem ausdrücklichen Bildungszweck konzipiert sind; der Fokus liegt also auf dem Lernerlebnis, das wiederum in eine Spielwelt integriert ist (entsprechend der Formel „Spielziel = Lernziel“, siehe [8], 148). Gerade im Rahmen des Fremdsprachenerwerbs bietet diese Form des DGBL viel Potenzial, weil hier wichtige Komponenten wie Kommunikation und Interaktion in der Fremdsprache in einen sinnvollen Kontext, z. B. im Rahmen eines Adventure-Games, eingebunden werden. Gelungene Beispiele hierfür sind etwa das Lernspiel Squirrel & Bär (für Englisch) oder mehrere Serious Games des Goethe-Instituts (für Deutsch als Fremdsprache, Links s. u.). Die Einbindung der Spielenden in die Spielwelt (Immersion, siehe [20], 28 f.), die sich positiv auf das Spielerlebnis und damit im Idealfall auch auf den Kontakt mit der Fremdsprache auswirkt, kann durch den Einsatz von Virtual Reality (VR) verstärkt werden, so z. B. bei der App Hololingo! [1] oder dem Serious Game Architekt 2015 des Projekts EVEIL-3D

Eine weitere Möglichkeit, DGBL im Kontext des Fremdsprachenerwerbs zu realisieren, ist der Einsatz kommerzieller Computerspiele, die anders als Serious Games zwar nicht zum Sprachlernen entwickelt und entsprechend didaktisiert sind, im Rahmen eines didaktischen Konzepts aber zur Förderung verschiedener Kompetenzen (Sprechen, Lese- und Hörverstehen, Wortschatz und Grammatik, kulturelles Lernen) genutzt werden können[3]. Da das Sprachenlernen stark von Interaktion und Kommunikation geprägt ist, können insbesondere sog. Massively Multiplayer Online Games (MMOGs) bzw. Massively Multiplayer Online Role-Playing Games (MMORPGs), wie z. B. World of Warcraft, die aktive Verwendung z. B. des Englischen in sozialer Interaktion fördern ([8], 149–151), haben aber gerade im institutionalisierten Fremdsprachenunterricht auch ihre Grenzen ([13], 69).

Bei allen Formen des DGBL und erst recht bei Gamification-Anwendungen ist ein durchdachtes didaktisches Konzept, in welches das jeweilige Spiel oder Spieldesign eingebunden wird, wichtig, damit das Sprachenlernen nachhaltig ist und ein Transfer vom Spiel in die Realität stattfinden kann. Sinnvoll erscheint dabei eine Kombination von Spielen und anderen Vermittlungsformen oder -materialien, die vor, während und nach dem Spiel eingesetzt werden können ([8], 151–153, [13], 69). Hier ist weitere Entwicklungsarbeit notwendig, um das Potenzial von DGBL in Zukunft voll ausschöpfen zu können.

Vergleichbarkeit mit analogen Phänomenen

Grundsätzlich kann Game-Based Learning sowohl digital als auch analog umgesetzt werden. Insbesondere Gamification-Anwendungen, die einfache Abfrageübungen enthalten (z. B. Memory oder andere Kartenspiele, Galgenmännchen, Quiz) oder die übergeordnete Struktur betreffen (z. B. Punkte, Quests oder Ranglisten), sind auch in einer anlogen Umgebung umsetzbar, wenn auch mit höherem Aufwand hinsichtlich Organisation und Material (mit digitalen Plattformen wie Arcade Game Generator, Wordwall oder Classcraft können die dortigen Vorlagen leicht vervielfacht und mit unterschiedlichen Inhalten gefüllt werden). Da diese Art von Spielen aber kein Lernen ermöglicht, das tatsächlich durch das Spiel selbst erfolgt, sind zur Beurteilung der Vergleichbarkeit von DGBL mit analogen Phänomenen primär didaktisch und technisch anspruchsvollere Spielkonzepte interessant (inhaltliche Gamification, Serious Games, kommerzielle Computerspiele, s. o.). Je komplexer und aufwendiger ein Spiel gestaltet ist, desto schwieriger ist es, ein Pendant in der analogen Welt zu finden. Gleichwohl können auch komplexere Spiele wie beispielsweise Simulationen oder Planspiele, Detektiv- oder Escape-Room-Spiele, die auch zum Fremdsprachenlernen genutzt werden können, im analogen Raum stattfinden und ermöglichen gerade dadurch ein besonderes Spiel- und Lernerlebnis sowie andere Formen der Interaktion und Kollaboration.

Die Digitalisierung im Bereich des Game-Based Learning ist daher nicht als Ersatz analoger Spiele zu betrachten, eröffnet aber neue Möglichkeiten, die sich mit analogen Mitteln kaum oder allenfalls mit enormem Aufwand verwirklichen lassen: So kann z. B. ein Adventure-Game das Eintauchen in verschiedene Umgebungen innerhalb eines Spiels ermöglichen, die analog nicht ohne Weiteres erreichbar sind; gerade beim Fremdsprachenlernen wird dadurch insbesondere ein unkomplizierter „Besuch“ anderer Länder und Kulturen möglich, der mithilfe von VR sogar noch realitätsnäher gestaltet werden kann (so befindet man sich z. B. im Serious Game Architekt 2015 im Straßburger Dom inkl. einer Zeitreise, die selbst mit einer realen Reise in der analogen Welt nicht nachgeahmt werden kann). Darüber hinaus ergeben sich je nach Spiel erweiterte Möglichkeiten der Interaktion (durch ortsunabhängige Vernetzung, auch mit Muttersprachlerinnen/Muttersprachlern). Anders als analoge Materialien können digitale Lernspiele leicht einer Masse von Spielenden bzw. Lernenden ortsunabhängig zur Verfügung gestellt werden und ohne Materialverschleiß vielfach genutzt werden. Weitere Chancen könnten in Zukunft auch Learning Analytics eröffnen, durch die in digitalen spielbasierten Lernumgebungen Daten zum Lernverhalten, zur Unterstützung des Lernens und zur Weiterentwicklung eines Spiels gewonnen werden können[11]. Auch dies ist im nichtdigitalen Bereich selbst mit aufwendigen Evaluationen nicht in gleicher Weise umsetzbar.

Gesellschaftliche Relevanz

Der Grad der gesellschaftlichen Relevanz von DGBL hängt von der Art und Qualität des eingesetzten Spiels sowie dessen didaktischer Einbettung ab. Neben der allgemeinen Förderung und im besten Fall Verbesserung des Sprachenlernens durch Nutzung neuer Vermittlungsmöglichkeiten gibt es auch konkreter greifbare Potenziale von DGBL, die zum einen bestimmte Kompetenzen und Sozialformen, zum anderen aktuelle gesellschaftliche Themen betreffen: So können durch DGBL die als 4Ks bekannten Zukunftskompetenzen des 21. Jahrhunderts (Kreativität, Kommunikation, Kollaboration, kritisches Denken) geschult werden, insbesondere bei Spielen, die kollaborativ genutzt werden und zur Problemlösung anregen (z. B. Detektivspiele, Rollenspiele, Simulationen). Dies ist grundsätzlich auch im Kontext des Sprachenlernens möglich, wo ohnehin in besonderem Maße zu Kommunikation und Interaktion (auch in Form kollaborativer Lernformen) angeregt wird; insbesondere kann dabei auch die interkulturelle Kommunikation gefördert werden [5], [10]. Mit Blick auf soziales Lernen, aber auch durch entsprechende thematische Anbindung kann DGBL (v. a. in Form von Serious Games) außerdem die UNESCO-Kampagne Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) unterstützen[15]: So kann z. B. das im Wald spielende Adventure-Game Squirrel & Bär, bei dem es darum geht, Bienen zu retten, beim unterrichtlichen Einsatz dazu genutzt werden, neben den sprachlichen Aspekten auch Umweltaspekte zu betrachten ([8], 152 f.); umgekehrt können auch nicht explizit zum Sprachenlernen konzipierte Spiele zum Fremdsprachenlernen eingesetzt werden und gesellschaftlich relevante Themen der Nachhaltigkeit aufgreifen, z. B. das Serious Game The Climate Game der Financial Times[18] oder die Lebenssimulationen The SIMs ([8], 152) und SimCity[9].

Quellen

  1. Ahlers, T./Burmann, C./Kölle, R./Lazović, M. (2021). Hololingo! – A Game-Based Social Virtual Reality Application for Foreign Language Tandem Learning. In: Kienle, A. et al. (Hrsg.). Die 19. Fachtagung Bildungstechnologien der Gesellschaft für Informatik (DELFI), 13.–15. September 2021, Bonn: Gesellschaft für Informatik, 37–48.
  2. Becker, K. (2021). What’s the difference between gamification, serious games, educational games, and game-based learning?. Academia Letters, Art. 209, 1–4.
  3. Becker, D./Labenz, S. (2023). Digital game-based learning. Anhand von Videospielen motivierenden, lehrplankonformen Unterricht gestalten. In: Englisch 5–10 64 (4), 28–33.
  4. Biebighäuser, K. (2021). Spielend babbeln? Das Üben fremdsprachlicher Fertigkeiten mit digitalen Medien. In: Maurer, Ch./Rincke, K./Hemmer, M. (Hrsg.). Fachliche Bildung und digitale Transformation – Fachdidaktische Forschung und Diskurse. Fachtagung der Gesellschaft für Fachdidaktik 2020, Regensburg: Universität, 48–51.
  5. Çetin Köroğlu, Z./Kimsesiz, F. (2022). Use of Game-Based Teaching and Learning to Foster Intercultural Communication in English Language Education. In: Meletiadou, E. (Hrsg.). Handbook of Research on Fostering Social Justice Through Intercultural and Multilingual Communication. Hershey, PA: IGI Global, 139–161.
  6. Chun, D.M. (2019). Current and Future Directions in TELL. In: Educational Technology & Society 22(2), 14–25.
  7. Dixon, D.H./Dixon, T./Jordan, E. (2022). Second language (L2) gains through digital game-based language learning (DGBLL): A meta-analysis. In: Language Learning & Technology 26(1), 1–25.
  8. Gabriel, S. (2016). Spielend Fremdsprachen lernen – Wie können digitale Spiele den Fremdsprachenerwerb unterstützen? Eine kurze Übersicht über den derzeitigen Stand der Forschung. In: Medienimpulse 54(3), 143–156.
  9. Hill, S./Oak, R. (2013). Learning Sustainability with Sim City, Online-Publ. (abrufbar unter: https://serc.carleton.edu/sisl/activities/71346.html; letzter Zugriff: 9.7.2024)
  10. Jauregi-Ondarra, K./Canto, S. (2023). Interaction Games to boost intercultural communication in virtual worlds and video-communication: A case study. In: Peterson, M./Jabbari, N. (Hrsg.). Digital Games in Language Learning. Case studies and applications. London/New York, 158–182.
  11. Kim, Y. J. et al. (2022). Analytics for Game-Based Learning. In: Journal of Learning Analytics 9(3), 8–10.
  12. Li, K. et al. (2024). Mapping the research trends of digital game-based language learning (DGBLL): a scientometrics review. In: Computer Assisted Language Learning, 1–30.
  13. Ottow, I. (2021). Vom Spielen und Dazugewinnen: Zum Einsatz von digitalen Spielen im Fremdsprachenunterricht. In: Jenaer Arbeiten zur Lehrwerkforschung und Materialentwicklung 1, 60–79.
  14. Peterson, M./Jabbari, N. (Hrsg.) (2023). Digital Games in Language Learning. Case studies and applications. London/New York.
  15. Pineda-Martínez, M. et al. (2023). Impact of Video Games, Gamification, and Game-Based Learning on Sustainability Education in Higher Education. In: Sustainability 15, 1–20.
  16. Prensky, M. (2001). Digital Game-Based Learning. New York.
  17. Schmidt, T. (2016). Chocolate-covered Drill & Practice? Möglichkeiten und Grenzen des ‚gamifizierten’, adaptiven Übens in Fremdsprachenlern-Apps. In: Burwitz-Melzer, E. et al. (Hrsg.). Üben und Übungen beim Fremdsprachenlernen. Perspektiven und Konzepte für Unterricht und Forschung, Arbeitspapiere der 36. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen, 200–210.
  18. Schönefeld-Holland, E. (2023). A serious climate game. Anhand eines Simulationsspiels zur Klimakrise die Lese- und Sprechkompetenz trainieren. In: Englisch 5–10, 64(4), 20–23.
  19. Vogel, M. (2020). Digital Game-Based Learning im Lateinunterricht? Überlegungen zur Konzeption digitaler Lernspiele mit einem Ausblick auf ein Textadventure für den Sprachunterricht. In: Latein und Griechisch in Nordrhein-Westfalen 1(2), 31–36.
  20. Wolpers, E. (2023a). Gamification und Storytelling im aufgabenorientierten Spanischunterricht zur Förderung spielerisch-narrativer Lernzugänge. Eine qualitativ-empirische Design-Based Research Studie. Bremen.
  21. Wolpers, E. (2023b). Inhaltliche Gamification im aufgabenorientierten Fremdsprachenunterricht (IGAF). Eine empirische Design Based Research Studie zur Förderung spielerischer und narrativer Lernzugänge. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 52(2), 31–49.