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Digitale Transformation

Definition und Abgrenzung

Der Begriff digitale Transformation wird in der öffentlichen Diskussion mittlerweile, ebenso wie der Begriff Digitalisierung, sehr häufig verwendet. Allerdings wird, genau wie dieser zugrunde liegende Begriff, auch die Bezeichnung digitale Transformation in unterschiedlichen Verwendungszusammenhängen nicht einheitlich definiert, es spannt sich vielmehr ein breiter Korridor an Bedeutungen auf. In der Literatur findet sich daher keine allgemeingültige Definition. In den großen Enzyklopädien wird der Begriff nicht gesondert ausgewiesen.

In einer ersten Annäherung bezeichnet digitale Transformation die mit der Digitalisierung einhergehenden Veränderungen in der Gesellschaft bzw. in den gesellschaftlichen Teilsystemen. Der zugrunde liegende Begriff Digitalisierung changiert in der gebräuchlichen Verwendung zwischen einer punktuellen technischen Veränderung mit begrenzter Breitenwirkung und einer grundlegenden Veränderung [1]. Die explizite Verwendung des Begriffs digitale Transformation mit der Erweiterung um den Begriff der Transformation verweist darauf, den mit der technischen Veränderung einhergehenden sozialen, politischen oder wirtschaftlichen Wandel in einem breiteren Verständnis thematisieren zu wollen.

So definiert die Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik: „Der Begriff Digitale Transformation bezeichnet erhebliche aktive Veränderungen des Alltagslebens, der Wirtschaft und der Gesellschaft durch die Verwendung digitaler Technologien und Techniken sowie deren Auswirkungen.“ [2] Und aus soziologischer Perspektive heißt es: „Die digitale Transformation bezeichnet die sukzessive Verfestigung neuartiger soziotechnischer Prozesszusammenhänge durch die soziale Aneignung digitaltechnischer (Infra-)Strukturen und die damit verknüpfte Rekonfiguration gesellschaftlicher Ordnungsmuster.“ [3, 87]

Wenn also von digitaler Transformation die Rede ist, soll deutlich gemacht werden, dass es sich um einen grundlegenden Veränderungsprozess mit weitreichenden Folgen in sozialer, wirtschaftlicher oder politischer Hinsicht handelt. In dieser Konnotation steht der Begriff digitale Transformation in engem Zusammenhang mit den Begriffen Digitale Revolution oder Vierte industrielle Revolution. Dieser wird im internationalen Sprachgebrauch deutlich weitreichender als der deutsche Begriff Industrie 4.0 als ein historischer Umbruch der Weltgesellschaft verstanden.

Die von Klaus Schwab bei der Eröffnung des World Economic Forum 2016 vorgestellte Sicht auf den Veränderungsprozess referiert den Kontext, in dem der Begriff digitale Transformation meist verwendet wird: „Wir stehen am Rande einer technischen Revolution, die unsere Art zu leben, zu arbeiten und miteinander umzugehen, grundlegend verändern wird. In ihrem Ausmaß, ihrer Reichweite und ihrer Komplexität wird es sich bei dieser Transformation um eine noch nie erlebte Erfahrung handeln. Wir wissen noch nicht, wie sie sich genau entfalten wird, aber eines ist klar: die Antwort darauf ist allumfassend und konzertiert, alle Stakeholder des globalen Gemeinwesens, vom öffentlichen über den privaten Sektor bis hin zur akademischen Welt und der Zivilgesellschaft sind einbezogen.“ [4]

Geschichte

Der Begriff digitale Transformation hat ebenso wie der zugrunde liegende Begriff Digitalisierung im Laufe des zweiten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts eine enorme Konjunktur erfahren [5]. In der Folge hat sich die Verwendung des Begriffs über das wissenschaftliche Feld hinaus deutlich ausgeweitet. Im Zuge dieser breiten Verwendung werden beide Begriffe sogar häufig synonym verwendet [1]. Es erweist sich daher als sinnvoll, den über den Begriff der Digitalisierung hinausweisenden Bedeutungsgehalt der Transformation eingehender zu betrachten.

Der Begriff der Transformation wird in sehr unterschiedlichen Fachgebieten benutzt. Abgeleitet vom lateinischen Wort „transformare“ lässt er sich im Sinne von „umwandeln, umformen, verwandeln, verändern“ verstehen [6] und bezeichnet allgemein „das Umwandeln, Umgestalten (in einen anderen Zustand), Umstrukturierung eines bestehenden Systems“ [ebd.].

Die mit dem Begriff der digitalen Transformation aufgerufene Bestimmung des Begriffs Transformation schließt häufig explizit oder implizit an Karl Polanyis Arbeit „The Great Transformation“ [7] an. Darin beschreibt er am Beispiel der Entwicklung in England den grundlegenden politischen, sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungsprozess bei der Durchsetzung der industriellen Revolution im Zeitraum zwischen dem 16. und dem 20. Jahrhundert. So verstandene „große Transformationen“ – Polanyi nennt hier den Übergang vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit („neolithische Revolution“) und die „Industrielle Revolution“ – verändern das gesamte gesellschaftliche System und tangieren dessen wirtschaftliche, technologische, kulturelle und politische Institutionen grundlegend. In dieser Diktion werden Transformationen „als radikale, strukturelle und paradigmatische Umwandlungen“ verstanden [8, 45].

Für den Bereich der digitalen Transformation lassen sich diese Überlegungen einer radikalen Veränderung durchaus übertragen. Im Anschluss an Floridi und Boes et al. ist die Digitalisierung beispielweise ein zentrales Moment der Nutzung von Informationen durch Menschen zur Erweiterung ihrer Handlungsfähigkeit. So kontextualisiert liege die enorme Tragweite, die mit dem Begriff der digitalen Transformation einhergeht, darin begründet, dass die Digitalisierung den Umgang des Menschen mit Informationen fundamental verändert. [9] [10]

Letztlich hat der Begriff Transformation und die Transformationsforschung in den letzten Jahren durch die Debatte um den Klimawandel sowie die politische Transformation postsowjetischer Staaten in unterschiedlichen Disziplinen an Attraktivität gewonnen und in diesen eine Intensivierung der Auseinandersetzung erfahren.

Anwendung und Beispiele

Zur allgemeinen Beschreibung eines Wandels von bestimmten Systemzuständen lässt sich der Begriff der Transformation demnach in verschiedenen wissenschaftlichen Kontexten wiederfinden. Im Bereich der Sozialwissenschaften dient er wiederum häufig als Bezeichnung für die Veränderung bestimmter sozialer, politischer und wirtschaftlicher Strukturen. Die Bandbreite reicht hierbei von der Transformation eng begrenzter Systeme bis hin zu einer gesamtgesellschaftlichen Veränderung [11, 12]. Dementsprechend schmücken sich auch ganz unterschiedliche Forschungsperspektiven mit dem Schlagwort. Beispiele hierfür sind etwa die Betrachtung des Wandels der rohstofflichen Basis von Ökonomien, von technologischen Innovationen oder von Strukturen innerhalb einzelner Unternehmen [ebd., 13]. Als beispielhaft kann in diesem Zusammenhang auch das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen von 2011 angesehen werden, das die Notwendigkeit einer „post-fossilen Wende“ und einer „Wende zur Nachhaltigkeit“ sieht [12, 208].

Die digitale Transformation wird, wie eingangs verdeutlicht, ebenfalls zu den fundamentalen Veränderungstrends moderner Gesellschaften gezählt. Folglich findet auch dieser Begriff in vielen wissenschaftlichen Disziplinen Verwendung. In der Politikwissenschaft wird beispielsweise die Frage nach der Zukunft der Demokratie in diesem Kontext thematisiert [13]. In der Wirtschaftsinformatik verweist der Begriff digitale Transformation mit Blick auf den Wandel der Unternehmen darauf, dass hier nicht nur analoge durch digitale Prozesse ersetzt werden, sondern eine grundlegende Umgestaltung der Unternehmen stattfindet [14].

Als schwierig gestaltet sich die Abgrenzung des Transformationsbegriffs zum Begriff der Transition. Wie genau sich das Verhältnis der beiden theoretischen Konzepte gestaltet, darüber gibt es in der Forschung widersprüchliche Ansichten [8, 46–47]: Während eine Reihe von Autoren, etwa aus dem Bereich der soziotechnischen Forschung, Transformationen als einzelne Pfade in ihr Konzept eines umfassenden transitorischen Wandels einbetten [15] [16] [8, 47], unterscheiden andere Wissenschaftler die Konzepte wiederum anhand ihrer Reichweite der Veränderung [17] [18] [8, 47]. Transitionen in gesellschaftlichen Teilsystemen werden hierbei von der gesamtgesellschaftlichen Transformation abgegrenzt [8, 47].

Beim Nachdenken über Transformation stellt sich schließlich unweigerlich die Frage nach der Intentionalität und Gestaltbarkeit gesellschaftlicher Veränderungsprozesse. Im Verständnis der gängigen Forschung ist der Begriff der Transformation nicht zwingend intentional konnotiert, im Kontext der Verwendung des Begriffs der digitalen Transformation zeigt sich jedoch ein eindeutig gestalterischer Anspruch: Der Begriff der Digitalisierung wird vor allem verwendet, um einen ungesteuerten, sich selbst vollziehenden Prozess zu bezeichnen. Die davon abweichende Verwendung des Ausdrucks der digitalen Transformation hat vor allem den Sinn, darauf hinzuweisen, dass es sich bei diesem Prozess um einen weit über den Einsatz von Technologien hinausgehenden, komplexen sozialen Wandlungsprozess handelt, der aufgrund seiner weitreichenden Wirkung auf die Gesellschaft einer bewussten Gestaltung bedarf. Zur empirischen Verwendung des Transformationsbegriffs gesellt sich demnach auch eine normative Ausrichtung hinzu. In diesem Sinne versteht sich dann auch die Transformationsforschung als Beitrag zu einer bewussten Weltveränderung.

Kritik und Probleme​​

Ähnlich wie beim Begriff der Digitalisierung zeigen sich Schwierigkeiten in erster Linie in der oft uneindeutigen Verwendungsweise des begrifflichen Instrumentariums. Genau wie Digitalisierung scheint sich auch der Terminus digitale Transformation in letzter Zeit zu einer Modebezeichnung gewandelt zu haben, mit der sich ganz unterschiedliche wissenschaftliche und gesellschaftspolitische Akteure auszeichnen [19, 244]. Die Gefahr einer begrifflichen Verwässerung ist folglich auch hier gegeben und eine genaue Definition für die Arbeit mit dem Begriff unabdingbar.

Forschung

Die digitale Transformation ist in den letzten Jahren in allen gesellschafts- und wirtschaftswissenschaftlichen Disziplinen zu einem viel diskutierten Forschungsgegenstand geworden. Innerhalb des Bayerischen Forschungsinstituts für Digitale Transformation (bidt) befassen sich alle geförderten Projekte in der einen oder anderen Form mit Fragen der digitalen Transformation. Dabei werden der Begriff digitale Transformation ebenso wie der zugrunde liegende Begriff Digitalisierung als sich selbst erklärende Kategorien verwendet und in der Regel nicht weiter ausgeführt.

Generell zeigt sich im Feld der Transformationsforschung die Notwendigkeit einer trans- bzw. interdisziplinären Zusammenarbeit. So konstatiert der WBGU in dem bereits genannten Gutachten: „Eine besondere Herausforderung für die Transformationsforschung besteht in der Vernetzung von Sozial-, Natur- und Ingenieurswissenschaften, um die Interaktionen zwischen Gesellschaft, dem Erdsystem und der technologischen Entwicklung zu verstehen“ [12, 23]. Diese Argumentation wird mittlerweile auch mit Blick auf die digitale Transformation zunehmend vorgetragen und kann als Gründungskonsens des bidt gelten.

Quellen

[1] Hess, Thomas (2019). Digitalisierung. In: Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik. Online-Lexikon. [abgerufen am 22.06.2021].

[2] Pousttchi, Key (2020). Digitale Transformation. Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik. [abgerufen am 04.10.2021].

[3] Schrape, Jan-Felix (2021). Digitale Transformation. transcript Verlag.

[4] Schwab, Klaus (2016). Die Vierte Industrielle Revolution. [abgerufen am 04.10.2021].

[5] Mertens, Peter et al. (2017). Digitalisierung und Industrie 4.0 – eine Relativierung. Springer Verlag.

[6] Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS). Transformation. [abgerufen am 04.10.2021].

[7] Polanyi, Karl (1973). The Great Transformation: Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen. Suhrkamp Verlag.

[8] Wittmayer, Julia et al. (2017). Transformationsforschung – Definitionen, Ansätze, Methoden. Umweltbundesamt. Texte 103/2017.

[9] Floridi, Luciano (2010). Information – A Very Short Introduction. Oxford University Press.

[10] Boes, Andreas et al. (2020). Arbeit im Informationsraum – Informatisierung als Perspektive für ein soziologisches Verständnis der digitalen Transformation. In: Maasen, Sabine, Passoth, Jan-Hendrik. Soziale Welt. Sonderband 23 – Soziologie des Digitalen – Digitale Soziologie?. S. 307–325.

[11] Jacob, Klaus et al. (2015). Was sind Transformationen? Begriffliche und theoretische Grundlagen zur Analyse von gesellschaftlichen Transformationen. Teilbericht 1 des Projektes „Nachhaltiges Deutschland 2030 bis 2050 – Wie wollen wir in Zukunft leben?“. Umweltbundesamt. Texte 58/2015.

[12] Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU)(2011). Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation.

[13] Münch, Ursula (2020). Bedroht die digitale Transformation die liberale Demokratie?. In: Münch, Ursula, Kalina, Andreas. Demokratie im 21. Jahrhundert. Nomos Verlag.

[14] Hess, Thomas (2019). Digitale Transformation strategisch steuern. Springer Verlag.

[15] Grin, John et al. (2010). Transitions to Sustainable Development: New Directions in the Study of Long Term Transformative Change. Routledge.

[16] Geels, Frank W., Schot, Johan (2007). Typology of Sociotechnical Transition Pathways. Research Policy 36. S. 399–417.

[17] Avelino, Flor et al. (2014). Game-changers and Transformative Social Innovation. The Case of the Economic Crisis and the New Economy. TRANSIT working paper, TRANSIT: EU SSH.2013.3.2-1 Grant agreement no: 613169.

[18] Loorbach, Derk (2014). To Transition! Governance Panarchy in the New Transformation. Inaugural Lecture. Erasmus University of Rotterdam.

[19] Brand, Ulrich (2014). Transition und Transformation: Sozialökologische Perspektiven. In: Brie, Michael. Futuring. Perspektiven der Transformation im Kapitalismus über ihn hinaus. Westfälisches Dampfboot. S. 242–280.