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„Eigentlich brauchen wir so was wie das Wirtschaftswunder im KI-Bereich“

„In Europa können wir Lähmung in Bezug auf KI als allerletztes gebrauchen“, appellierte Sascha Lobo in seiner Keynote auf der „bidt Konferenz“ 2023 „Digital kommunizieren – Digitales kommunizieren“ an uns als Gesellschaft. Wir sprachen mit dem Autor, Podcaster und Internetunternehmer über mögliche Lösungsansätze, um Ängste gegenüber der KI-Transformation abzubauen.

Sascha Lobo auf der bidt Konferenz 2023 im Gasteig HP8, München
© Klaus D. Wolf

Welche Lebensbereiche werden in den nächsten zehn bis 15 Jahren positiv von KI beeinflusst?

Sascha Lobo: Ich glaube, fast alle haben auch positive Einflüsse, die auf sie wirken. Die große Frage ist: Wo lassen sich die negativen einigermaßen eingrenzen und wie arbeiten wir daran, dass die positiven besser zur Geltung kommen? Wenn man sich generative KI anschaut, dann werden die größten Veränderungen zweifellos im Bildungsbereich sein, in bestimmten Service-/Dienstleistungsaspekten, was Arbeitsprozesse in Unternehmen angeht und im Großraum der Text- und Inhalteerstellung aller Art – und das geht von der Unternehmenspräsentation über Quartalszahlenpräsentation bis hin zu bestimmten Formen von Gebrauchstexten, einfachere Bildwerke, bestimmte Filme. Bei allem, was man im Alltag als Gebrauchsinhalt bezeichnet, wird es mit größter Sicherheit sehr starke Effekte geben, die ich für eher positiv halte: weil zwar ein paar Menschen mutmaßlich weniger zu tun haben, weil aber in anderen Bereichen die Produktivität steigen wird – dort, wo übrigens die Produktivität schon lange nicht mehr gestiegen ist, und weil dadurch sehr viel spezifischer, besser, leichter skalierbar, präziser und wirkmächtiger kommuniziert werden kann.

© bidt/Klaus D. Wolf

Wie kann man allen Menschen ermöglichen, mehr über KI zu lernen, sich weiterzubilden, also zum Beispiel auch Kindern, Senioren, weniger gebildeten Menschen? Wie kann man es realisieren, dass sie nicht außen vor sind?

Sascha Lobo: Leider ist es tatsächlich so, dass wir hier ein sehr großes Manko haben. Wir haben wahrscheinlich nicht so große Probleme, Menschen zu erreichen, was die Fähigkeit und die Benutzbarkeit von KI als Arbeitsinstrument und Alltagsinstrument angeht, die ein vergleichsweise hohes Bildungsniveau haben und sich sowieso intensiv in der Welt umschauen. Wir haben aber ein sehr großes Problem, was Menschen angeht, die nicht jeden Tag digitale Bildung auf ihrem To-do-Zettel stehen haben. Das heißt konkret: Damit die sozialen Auswirkungen durch KI nicht noch drastischer werden als ohnehin schon, glaube ich, dass wir neue Bildungskonzepte brauchen – Fort- und Weiterbildungskonzepte. Das ist auch ein Weg, wie man den Fachkräftemangel in Deutschland mit angehen kann. Das sogenannte Upskilling wird dabei sehr entscheidend sein, nicht nur im beruflichen Kontext, sondern auch im Alltagskontext. Da braucht man ganz neue Ansätze. Ob das die neue KI-Volkshochschule ist oder Erwachsenenkurse, Fortbildungen beruflicher Natur, Weiterbildungen oder was auch immer, kann ich noch nicht sagen. Ich weiß bloß, dass es notwendig ist, und zwar wirklich für die weitaus große Mehrheit der Arbeitnehmenden in Deutschland.

© Klaus D. Wolf

Wie können wir in Deutschland die negative Haltung gegenüber KI in eine positive wenden? Wie können wir den Menschen die Angst nehmen?

Sascha Lobo: Das ist eine sehr wichtige und gute Frage. Ich befürchte, dass wir – was künstliche Intelligenz angeht – einen sehr langen Atem brauchen. Wir haben sehr mächtige Gegenspieler:innen weltweit, mit sehr unterschiedlichen Interessen und Motivationen: von Menschen, die das wirklich ablehnen und die darin den Weltuntergang sehen bis hin zu Menschen, die sagen: Es ist ja eigentlich ganz cool, wenn Europa Angst davor hat, weil dann bleibt mehr für uns.

Ich glaube, beständige Kommunikation, beständige Bildung, immer wieder Versuche, offen aufzuklären, die Ängste nicht unter den Tisch zu kehren und gar nicht zu erwähnen, sondern zu behandeln und darüber zu sprechen – das gehört alles zum Aufgabenspektrum. Und was mit das Wichtigste ist – wir haben das in den 1950er-Jahren, Anfang der 1960er-Jahre in Deutschland gesehen: Wir brauchen eigentlich wieder eine positive Fortschrittserzählung. Die ist Deutschland abhandengekommen, irgendwo zwischen Datenschutz und „eigentlich sind Dieselmotoren doch ganz geil“. Und diese positive Fortschrittserzählung muss aus meiner Sicht „von unten“ kommen. „Von unten“ in Anführungszeichen deswegen, weil es ja gar nicht buchstäblich unten ist, sondern eher nicht Politik und nicht Konzerne bedeutet – egal, ob das dann ein Mittelständler tut, eine Unternehmerin mit einem kleinen Start-up, eine Gruppe Studierender oder eine Wissenschaftlerin, die eine total tolle Idee hat, oder ob es am Ende vielleicht eine simple PR-Story ist, die das auch bewirkt. Eigentlich brauchen wir so was wie das Wirtschaftswunder im KI-Bereich. Und dann wird von alleine alles gut, ohne dass irgendjemand noch etwas tun muss.

Das klang wie das Wort zum Sonntag, sehr schön. Vielen Dank.

Sascha Lobo: Sehr gerne.

Sascha Lobo ist Autor, Podcaster und Internetunternehmer und hat mehrere Bücher über die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft verfasst. Seit 2011 schreibt er eine wöchentliche Kolumne bei „Spiegel Online“. Gemeinsam mit Christoph Kappes betreibt er die Fortschrittsfabrik, eine Projekt- und Beratungsgesellschaft für digitale Transformation.

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