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Digitalisierung im Dialog: Nutzerfreundlichkeit als Rechtsprinzip im Bayerischen Digitalgesetz

Ein Blick von Bayern nach Bremen: Zu den Juwelen deutscher Verfassungstexte zählt Art. 12 der Bremischen Verfassung. Dort heißt es: „Der Mensch steht höher als Technik und Maschine“. Ein Gastbeitrag von bidt-Direktor Professor Dirk Heckmann.

Man kann dies als Konkretisierung des Prinzips der Menschenwürde oder auch als Absage an eine unbändige Technikentwicklung auslegen, die den Technikeinsatz glorifiziert und Technik um der dieser innewohnenden Innovation willen einsetzt – ohne Blick auf das, was dadurch bewirkt wird oder bewirkt werden kann.

Wie wichtig es bei aller Innovationsfreude ist, auf den Menschen zu schauen, zeigen die Ansätze des „human-centered design“ oder „human-centered engineering“, bei denen der Mensch im Mittelpunkt technischer Entwicklung steht. Interdisziplinäre Forschung lebt genau diesen Gedanken.

Am bidt befassen sich u. a. die folgende Projekte damit:

Und so mag es nicht verwundern, dass das Gesetz über die Digitalisierung im Freistaat Bayern (Bayerisches Digitalgesetz – BayDiG) genau dieses Prinzip aufgreifen und zur Vollendung bringen will. So heißt es etwa in Art. 10 Abs. 1 BayDiG: „Der Freistaat Bayern fördert die digitale Selbstbestimmung und stellt hierzu nutzerfreundliche und barrierefreie digitale Dienste bereit. Die Nutzer sollen in die Entwicklung neuer digitaler Angebote des Freistaates Bayern einbezogen werden.“

Auch in vielen weiteren Vorschriften wird der Staat zur Entwicklung und zum Einsatz nutzerfreundlicher Dienste und Anwendungen verpflichtet. Richtig. Der Mensch steht höher als Technik und Maschine. Oder anders ausgedrückt:

Die Technik ist für den Menschen da, nicht der Mensch für die Technik. Es sollte deshalb eine Selbstverständlichkeit sein, Technologien so zu entwickeln, dass sie den Menschen nutzen und diese damit zurechtkommen.

Prof. Dr. Dirk Heckmann Zum Profil

So selbstverständlich es auch sein mag, den Menschen bei der Entwicklung digitaler Angebote einzubeziehen: Die Beteiligung der Menschen an dieser Technikentwicklung ist dem Gesetzgeber eine eigene Vorschrift wert, damit das Prinzip der Nutzerfreundlichkeit voll zur Geltung kommt. Wenn der Gesetzgeber damit „Nutzerfreundlichkeit“ sogar zum Rechtsprinzip erklärt, eine staatliche Pflicht zur nutzerfreundlichen Technikgestaltung begründet und den Bürgerinnen und Bürgern einen Mitwirkungsanspruch einräumt, wird damit weitaus mehr erreicht als die Regelung eines Designstandards. Es geht um einen zutiefst demokratischen Vorgang, nämlich die Rückkoppelung staatlicher Macht an die Bedürfnisse der Menschen:

Der Staat ist „freundlich“ zu seinen Bürgerinnen und Bürgern, er nimmt sie ernst und verhält sich bei einer optimalen Anwendung seiner selbst gesetzten Gestaltungsaufgabe gleichsam empathisch.

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Dabei weiß er, dass die digitale Transformation, der Übergang in eine voll digitalisierte Verwaltung, die Akzeptanz der Betroffenen voraussetzt. Das betrifft die Bürgerinnen und Bürger genauso wie die Menschen in den Unternehmen und die Beschäftigten in den Behörden. Sie sind es, die sich in den neuen digitalen Umgebungen zurechtfinden müssen. Denn der Mensch steht höher als Technik und Maschine.

So selbstverständlich und leicht das klingt, so anspruchsvoll ist diese Aufgabe: Wie gestaltet man nutzerfreundliche Anwendungen? An wem orientiert man die Verständlichkeit? Was kann man voraussetzen? Muss jeder technische Vorgang Schritt für Schritt erklärt werden oder geht es mehr um „Plug and Play“? Wie weit gelingt eine solche Reduktion von Komplexität? Wer überprüft, ob ein IT-System alle an dieses gestellten rechtlichen Anforderungen (einschließlich der Diskriminierungsfreiheit) erfüllt? Ist dies überhaupt möglich in einer Blackbox von Anwendungen Künstlicher Intelligenz?

Das sind interdisziplinäre Fragen des Technikdesigns und der Mediendidaktik, die bislang noch wenig Eingang in die Informatik, die Rechtswissenschaft oder die Bildungswissenschaften gefunden haben, dort aber hingehören. Es bedarf noch viel Forschung und Entwicklung, die nicht nur, aber auch an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen wie dem bidt zu leisten sind. Interdisziplinär, praxisorientiert, im Dialog mit den Menschen, als Bürgerinnen und Bürger, Nutzerinnen und Nutzer, Verbraucherinnen und Verbraucher. Empathisch, gewissermaßen als Reinform von gemeinwohlorientierter Digitalisierung. Mit dem Bayerischen Digitalgesetz ist dem Bayerischen Staatsministerium für Digitales insofern ein großer Wurf gelungen. Digitalisierung nah am Menschen.

Prof. Dr. Dirk Heckmann

Mitglied im bidt-Direktorium | Lehrstuhlinhaber für Recht und Sicherheit der Digitalisierung, Technische Universität München