Geotracking gegen Corona? Darf man die Standortdaten privater Smartphones auswerten, zum Beispiel um Infektionsketten nachzuvollziehen und zu überwachen, ob sich Infizierte an ihre Quarantäneauflagen halten?
Dirk Heckmann: Das lässt sich nicht pauschal beantworten, weil es sehr viele Fallgestaltungen von Trackingmaßnahmen gibt, die mehr oder weniger problematisch sind. So macht es einen Unterschied, ob es ‚nur‘ um allgemeine Informationen zu Menschenansammlungen geht – etwa mit Blick auf die mittlerweile bundesweit angeordneten Kontaktbeschränkungen – oder um Gesundheitsdaten, die die gezielte Überwachung der häuslichen Quarantäne eines Infizierten ermöglichen würden. Ebenso muss unterschieden werden, ob Daten aufgrund einer expliziten, informierten Einwilligung erhoben werden, wie es etwa im Rahmen des Downloads einer speziellen, freiwillig genutzten ‚Corona-App‘ möglich wäre, oder ob auch ohne Wissen und Wollen der Betroffenen überwacht wird. Nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. d DSGVO kann die Verarbeitung erforderlich sein, ‚um lebenswichtige Interessen der betroffenen Person oder einer anderen natürlichen Person zu schützen‘.
Im letzten Fall besteht eine hohe Darlegungslast, dass eine solche Maßnahme auch tatsächlich ‚erforderlich‘ ist, weniger eingreifende Maßnahmen also keinen Erfolg versprechen. Der damit angesprochene Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist das Leitprinzip bei der Beurteilung all dieser Fallgestaltungen:
Auch die erheblichen Bedrohungen durch das Coronavirus sind kein Freibrief für Maßnahmen jedweder Art und den damit verbundenen IT-Einsatz.
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Vielmehr muss genau dargelegt werden, welcher Zweck mit welcher konkreten Maßnahme verfolgt wird und wie die legitimen Interessen der Betroffenen gewahrt bleiben.
Der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Ulrich Kelber, hat die Weitergabe von Daten durch die Deutsche Telekom an das Robert Koch-Institut als ‚datenschutzrechtlich unbedenklich‘ abgesegnet. Dabei handelte es sich freilich nicht um individuelle Handydaten, sondern um ‚Bewegungsflüsse zwischen regionalen Zellen‘, die insoweit auch anonymisiert seien. Dennoch hatte Ulrich Kelber Bedenken, diesen ‚Datenschatz‘ den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Hackathons #wirvsvirus, den die Bundesregierung initiiert hatte, zur Verfügung zu stellen, weil er eine Re-Personalisierung nicht ausschließen könne.
Letztlich wird man aktuell abwarten müssen, wie sich die Coronakrise in Deutschland weiterentwickelt. Sollten die aktuell beschlossenen, verfassungsrechtlich unproblematischen Maßnahmen wie Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen greifen, lassen sich Maßnahmen eines ‚Corona-Tracking‘ wohl kaum rechtfertigen.
Viele arbeiten derzeit im Homeoffice – läutet Covid-19 das Ende der Präsenzkultur ein?
Andreas Boes: Die Corona-Krise führt uns aktuell vor Augen, wie nützlich das Internet zur Aufrechterhaltung des sozialen Lebens und der Arbeitswelt sein könnte. Wer es möglich machen kann, geht ins Homeoffice. Und Menschen bleiben trotz Quarantäne mit Hilfe des Internets in Verbindung. Die Chatgruppe unserer Großfamilie war seit Langem nicht mehr so aktiv wie jetzt. Wir halten uns so gegenseitig auf dem Laufenden, tauschen wichtige Infos aus und machen uns Mut.
Ja, es gibt viele gute Bespiele. Schüler, die sich zum Onlineunterricht verabreden. Beschäftigte, die den laufenden Betrieb von zu Hause aus aufrechterhalten. Teams, die sich über das Internet zu täglichen Besprechungen verabreden. Aber gemessen an den Möglichkeiten ist die Realität aus meiner Sicht insgesamt eher ernüchternd.
Jetzt rächt es sich, dass in Unternehmen, Schulen und Universitäten in den letzten Jahren in Sachen Digitalisierung wenig passiert ist.
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Händeringend suchen die Unternehmen nach Mitarbeitern, die ihre Kolleginnen und Kollegen schulen können, Homeoffice zu machen und Onlinemeetings durchzuführen. In manchen Behörden brechen die Server zusammen, weil sie gar nicht darauf ausgelegt sind, dass plötzlich alle von zu Hause aus arbeiten. Und der Unterricht in den Schulen findet nur in den seltensten Fällen im Informationsraum statt, weil die Lehrkonzepte für einen Onlineunterricht fehlen und weder Schüler noch Lehrer dafür geschult sind.
Kurzum: Es fehlt an technischer Ausstattung und vor allem an Kompetenzen, um die technischen Möglichkeiten zu nutzen.
Die aktuelle Coronakrise könnte also ein Weckruf sein, die Möglichkeiten der Digitalisierung konsequent zum Wohle der Menschen zu nutzen. Hoffen wir es!
E-Learning gilt in der Coronakrise als Mittel, um die Lehre in Schulen und Hochschulen aufrechtzuerhalten. Aber wie gut funktioniert das, sind die Rahmenbedingungen für umfangreiche Onlinekurse gegeben?
Ursula Münch: Die Pandemie legt Struktur- und Organisationsmängel schonungslos offen. Auch im Bereich E-Learning. Natürlich gibt es Schulen und Universitäten, die in einem Tempo auf Onlinelehre umstellen konnten, das der Ausbreitung des Virus angemessen ist. Und es ist offensichtlich, dass viele Lehrkräfte und Verwaltungen in unseren staatlichen Bildungseinrichtungen bemerkenswert gut improvisieren können.
Dennoch wird es nach der derzeitigen Krise nicht ausreichen, die Onlinelehrkapazitäten auszubauen. Und auch die Ausstattung mit Endgeräten bei den Lernenden scheint das kleinste Problem zu sein: Umfragen zufolge besitzen immerhin 99 Prozent aller Schülerinnen und Schüler, die älter als 12 Jahre alt sind, ein Smartphone und etwa 70 Prozent haben Zugang zu einem Computer.
Viel wichtiger scheint, dass in manchen Regionen die Breitbandversorgung nicht ausreicht, um zum Beispiel Lernvideos oder große Dateien abzurufen.
Um zu verhindern, dass die Unterschiede zwischen den großen Städten und den ländlichen Räumen noch größer werden, ist also ein Ausbau der Infrastruktur dringlicher denn je.
Prof. Dr. Ursula Münch Zum Profil
Das Problem ist „nur“: Diese Anforderungen werden an öffentliche Haushalte gerichtet, die nach der Krise vor finanziellen Schwierigkeiten stehen werden.
Digital konferieren, arbeiten, lernen – wie steht es um die Sicherheit der digitalen Plattformen? Wie gut sind diese für die verstärkte Nutzung gerüstet und wo besteht Handlungsbedarf?
Felix Freiling: Ich bin beeindruckt davon, wie bereitwillig und klaglos die Menschen zurzeit auf digitale Kooperationsplattformen umsteigen, denn die Akzeptanz solcher Plattformen ist eine wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Bewältigung der digitalen Transformation.
Die etablierten Plattformen scheinen ihre Kinderkrankheiten bezüglich IT-Sicherheit auch hinter sich zu haben. Problematisch ist allenfalls die Verfügbarkeit der Dienste, damit sind Videokonferenzdienste oder Koordinationsplattformen wie Slack gemeint, deren Kapazitäten zu Stoßzeiten durch den massiv angestiegenen Bedarf und vereinzelte Überlastungsangriffe an ihre Grenzen kommen.
Wie die Krise zeigt, ist Verfügbarkeit eine entscheidende Sicherheitseigenschaft, die durch die massive Verlagerung von Diensten ‚in die Cloud‘ in Gefahr gerät und neu überdacht werden muss.
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Es gibt zwar bereits ‚Umschaltlösungen‘, sodass bei Überlastung eines Servers ein anderer die Anfragen übernimmt. Aber solange man auf das Netz angewiesen ist, bleibt die prinzipielle Angreifbarkeit bestehen.
Sinnvoll wären lokale Rückfalloptionen, die auch ohne Zugriff aufs Internet, aber dann mit eingeschränkter Funktionalität weiterlaufen. Beispiele dafür sind Versionsverwaltungssysteme wie git, die prinzipiell auch offline funktionieren.
Aus IT-Sicherheitssicht problematisch sind zusätzlich die kriminellen Trittbrettfahrer der Krise, die die Ängste vieler Menschen ausnutzen, um sie zum Öffnen von bösartigen E-Mails oder zum Klicken auf bösartige Links zu verleiten. Hier sind alle Menschen gefordert, sich präventiv zu verhalten. Die Qualitätsmedien (egal, ob online oder offline) spielen hierbei eine wichtige Rolle und scheinen durch ihren umsichtigen Umgang mit der Krise an Vertrauen zu gewinnen. In Krisensituationen ist es wichtig, dass die Gesellschaft das Gefühl hat, umfassend und objektiv informiert zu sein.
Gibt es schon Lehren, die die Wissenschaftskommunikation aus der Coronakrise ziehen kann?
Hannah Schmid-Petri: Ein großer Teil der medialen Berichterstattung konzentriert sich auf die Darstellung der positiv getesteten Fälle, auf einen Vergleich dieser zwischen einzelnen Regionen und davon ausgehend auf eine Diskussion der politischen Maßnahmen. Aufgabe einer ‚guten‘ Wissenschaftskommunikation wäre es meines Erachtens, auf die statistischen Probleme hinzuweisen, die mit dem Ausweisen der Fallzahlen positiv Getesteter verbunden sind, und diese so zu erklären, dass sie auch für die Allgemeinheit verständlich sind.
Dass dies nur in einigen wenigen Ausnahmefällen geschieht, deutet zum einen darauf hin, dass die Journalistinnen und Journalisten selbst häufig nicht über die notwendigen Kompetenzen verfügen, die Problematik nachzuvollziehen. Zum anderen wird daran auch sichtbar, dass gerade der Wissenschaftsjournalismus unter den notwendigen Sparmaßnahmen der Verlagshäuser besonders gelitten hat.
Um einer breiten Bevölkerung das potenzielle Risiko und auch die Notwendigkeit der Einschränkungen unseres Alltags zu verdeutlichen, ist es zudem wichtig, einen konkreten Bezug zum Alltag und zur Lebenswelt eines jeden Einzelnen herzustellen und zu verdeutlichen, dass das Virus uns potenziell alle betreffen kann. Außerdem muss sowohl der Weg der Ansteckung als auch die Wirkung der getroffenen Maßnahmen möglichst anschaulich sichtbar gemacht und verdeutlicht werden, um einen Verhaltensimpuls setzen zu können.
Ein qualitativ hochwertiger Wissenschaftsjournalismus, der es schafft, Hintergründe und potenzielle Folgen möglichst anschaulich und gut verständlich zu erklären, ist auch als Gegenpol zu Fake News, die vor allem online verbreitet werden, unabdingbar.
Prof. Dr. Hannah Schmid-Petri Zum Profil