Die Macht von Desinformationen steht unter Verdacht, Wahlen und unser demokratisches Miteinander zu beeinflussen. Die Kommunikationswissenschaftlerin und Medienpsychologin Lena Frischlich erforscht an der süddänischen Universität in Odense die Inszenierung, Verbreitung und Wirkung von Desinformation im Netz. Im Rahmen der bidt-Veranstaltung „Demokratie unter Druck? Wie KI und Desinformation das gesellschaftliche Vertrauen beeinflussen“ hielt sie die Keynote. Im Interview spricht sie über die psychologischen Mechanismen hinter Desinformation – und die Frage, wie man demokratische Resilienz fördern kann.
In den Anfangszeiten des Internets gab es große Erwartungen, das Netz würde zu einer umfassenden Demokratisierung der Welt führen. Wie hat sich der Diskurs im Netz aus Ihrer Sicht in den letzten Jahren verändert?
Frischlich: Einerseits hat das Netz tatsächlich zu einer Demokratisierung beigetragen. Früher konnten nur Chefredakteurinnen und Chefredakteure entscheiden, welche Nachrichten in Massenmedien erscheinen, heute können auch Minderheiten im Netz Nachrichten teilen und Gehör finden. Der Diskurs hat sich also tatsächlich demokratisiert! Das Mehr an Informationen bietet aber auch die Möglichkeit, leichter Desinformation zu verbreiten und auf diese Weise Menschengruppen gezielt zu manipulieren. Wir müssen lernen, mit diesen neuen Umgebungsbedingungen des Internets besser klarzukommen.
Welche Phänomene fallen unter Desinformation – und wo liegt der Unterschied zu Misinformation?
Frischlich: Bei beiden Phänomenen handelt es sich um falsche oder irreführende Inhalte. Während Misinformation nicht unbedingt einer Absicht folgt, steckt hinter Desinformation immer eine strategische Täuschungsabsicht. Mit Vorsatz gestreute Fehlinformationen sollen einzelne Menschen oder Gruppen manipulieren. Die Faktenabweichungen können die Kerninformation genauso betreffen wie die Meta-Information, also etwa die Quelle. Desinformation findet auf allen Kanälen statt, von Text und Bild über Audio und Video. Auch die Verbreitung ist vielfältig: Eine Möglichkeit ist es, glaubwürdige Quellen zu manipulieren und die Botschaft darin zu verstecken. Zum Beispiel wurden gerade seriöse Medienmarken wie Spiegel-Online kopiert, um über diese Doppelgänger-Seiten Fehlinformationen zu verbreiten.
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Wie erforscht man Desinformation im Netz?
Frischlich: Wir schauen uns an, welche Akteurinnen und Akteure Desinformation im Netz verbreiten. Darüber hinaus untersuchen wir das Material selbst: Was wurde bereits widerlegt, wie sieht das genau aus? Außerdem beschäftigen wir uns mit Verschwörungsmythen. Solche Mythen sind mit unrealistischen Machtannahmen und einem manichäischen Weltbild verbunden. Das bedeutet, dass die Anhängerinnen und Anhänger an einen apokalyptischen Kampf zwischen Gut und Böse glauben, der so nicht existiert. Als Psychologin setze ich darüber hinaus auf Experimente: Wie verändern sich Einstellungen von Menschen, nachdem sie Fehlinformationen konsumiert haben?
Welche psychologischen Mechanismen stecken dahinter, wenn Menschen sehr dubiosen oder auch eindeutig parteiischen Quellen glauben?
Frischlich: Die meisten Menschen denken von sich, dass sie den Durchblick hätten und sich vor Fake News schützen können. Dabei ist niemand davor gefeit, auf Desinformation reinzufallen. Unser Gehirn ist faul, wir lassen uns nicht gerne von einer anderen Weltsicht überzeugen. Wir vertrauen lieber Inhalten, die uns in unserer eigenen Weltanschauung bestätigen – und Menschen, die wir mögen, in einem guten Licht dastehen lassen. Deshalb ist es wichtig, stets im Blick zu behalten, dass man sich irren kann! Studien zeigen außerdem, dass Menschen, die gründlich über Dinge nachdenken, über eine geringere „Bullshit Receptivity“ verfügen. Sie sind besser darin, den Wahrheitsgehalt von Schlagzeilen zu beurteilen. Daraus können wir lernen, dass wir über Inhalte nachdenken und uns mit Nachrichten in Ruhe auseinandersetzen sollten, bevor wir sie teilen.
Gibt es Menschen, die besonders gefährdet sind, Fake News zu glauben?
Frischlich: Neben der Bereitschaft, über die Dinge nachzudenken, gibt es auch Persönlichkeitsmerkmale, die einen empfänglicher für Desinformation machen. Ein Merkmal ist die sogenannte Verschwörungsmentalität, also die Tendenz, hinter großen Ereignissen Verschwörungen zu vermuten, gepaart mit einem fundamentalen Misstrauen gegenüber mächtigen Personen und Institutionen. Ein solches Misstrauen kann zusätzlich befördert werden, wenn Menschen schlechte Erfahrungen mit staatlichen Institutionen gemacht haben. Misstrauen wird auch bewusst von Desinformationskampagnen geschürt.
Kann man den Umgang mit Desinformationen trainieren?
Frischlich: Es gibt sehr viele Angebote, die sich allerdings in ihrem Wirkungsgrad unterscheiden. Besonders wirksam sind oft Angebote, die ansetzen, bevor Menschen mit Desinformation konfrontiert werden. Wir fassen solche Angebote unter dem Begriff der kognitiven Inokulation zusammen, angelehnt an den medizinischen Begriff der Impfung. Dabei werden – in abgeschwächter Dosis ¬– Techniken von Desinformationskampagnen aufgezeigt, um Widerstandskräfte gegen Falschinformationen aufzubauen. Solche Programme können Spaß machen, etwa die Browsergames „Bad News“ oder „Crancy Uncle“. Die Forschung zeigt, dass solche Werkzeuge kurzfristig sehr gut wirken.
Erwachsene sind mit solchen Programmen oft schwer zu erreichen. Lassen sich Desinformationen regulieren?
Frischlich: Regulation von Desinformation ist ein heikles Feld, weil dabei Eingriffe in die Meinungsfreiheit und der Schutz von Personengruppen gegeneinander aufgewogen werden müssen. Wir wollen kein Internet, in dem es verboten ist, an den Weihnachtsmann zu glauben. Gerüchte und Mythen sind Teil der menschlichen Zivilisation, Zensur von Meinung darf nicht Teil unserer Demokratie sein. Das heißt aber nicht, dass alles stehengelassen und toleriert werden muss. Wir wollen ein Miteinander, das von einem ehrlichen Austausch geprägt ist, auf Basis des Grundgesetzes und der internationalen Menschenrechte.
Welche medialen und politischen Strategien gibt es, um auch Erwachsene fit gegen Fake News zu machen?
Frischlich: Aus Studien wissen wir, dass Vertrauensverlust in staatliche Institutionen Menschen empfänglicher für Desinformation machen kann. Es ist daher zentral, das Vertrauen von Bürgerinnen und Bürgern in öffentliche Institutionen zu fördern. Dazu gehört ein unabhängiger, gut finanzierter Journalismus genauso wie die Frage, wie das soziale Miteinander in Städten gestaltet ist. Wie nah ist mir die demokratische Vertretung in meiner Stadt? Wie glaubwürdig ist die lokale Tageszeitung? Wie ehrlich sind Politikerinnen und Politiker mir gegenüber? Das alles fördert die demokratische Resilienz.
Demokratische Resilienz – was kann man sich darunter vorstellen?
Frischlich: Der Begriff Resilienz kommt aus der Physik – und bezeichnet die Fähigkeit eines Materials, nach einer Erschütterung wieder in seinen Ausgangszustand zurückzugelangen. Der Begriff wird mittlerweile auch auf die Psyche des Menschen übertragen. Demokratische Resilienz ist die Fähigkeit des Staates und der Gesellschaft trotz Krisensituationen die Demokratie zu erhalten.
Für eine langfristige Resilienzförderung brauchen wir einen ganzheitlichen Ansatz, der auf der individuellen Ebene ansetzt, soziale Prozesse berücksichtigt und Plattformökonomien ebenso in den Blick nimmt, wie politische und gesellschaftliche Prozesse.
Prof. Dr. Lena Frischlich, Süddänische Universität Odense
2025 wird in Deutschland ein neuer Bundestag gewählt. Was kann jede und jeder Einzelne tun, um unsere Demokratie resilienter gegenüber Fake News und Online-Propaganda zu machen?
Frischlich: Wir sollten uns mehr Zeit nehmen, über Inhalte nachdenken – und uns regelmäßig daran erinnern, dass auch wir selbst nicht allwissend sind. Es kann hilfreich sein, falsche Inhalte im Netz zu kommentieren, einzuordnen und richtigzustellen. Es ist aber ratsam, dem Reflex zu widerstehen, Nachrichten in sozialen Netzwerken unreflektiert zu teilen. Ich bin durchaus hoffnungsvoll, dass unsere Gesellschaft resilienter gegenüber Desinformationen werden kann. Im Vergleich zu früheren Jahrhunderten glauben wir heute viel weniger Dinge, die klar widerlegt sind. Bislang hat es die Menschheit noch immer geschafft, einen guten Umgang mit neuen technischen Revolutionen zu finden.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Anja Reiter