Digitale Desinformationen zur Beeinflussung von politischen Wahlen sind absichtlich und nachweislich falsche digitale Nachrichtenmeldungen, die im Vorfeld von politischen Wahlen verbreitet werden, um den Wahlausgang zu beeinflussen. Während Desinformationen ein generelles Phänomen darstellen (siehe Fake News), stellen sie insbesondere im Vorfeld von Wahlen eine große Herausforderung dar. Dabei hat der Ausgang von demokratischen Wahlen einen enormen Einfluss auf die politischen Entscheidungen der kommenden Jahre. Gleichzeitig stehen Regierungen und deren Handlungen im Wahlkampf meist unter genauer Beobachtung. In diesem Kontext besteht die Möglichkeit, dass Desinformationen besonders effektiv sein könnten und so das Misstrauen gegenüber der Politik vergrößern. In der Bevölkerung ist zumindest die Sorge groß, dass sie in der Lage sind, Wahlen zu beeinflussen (vgl. Bernhard et al. 2024).
Digitale Desinformationen im Kontext von politischen Wahlen können sich gegen Politiker:innen, Parteien oder auch einzelne Institutionen (wie z. B. die Regierung, die Opposition, Gerichte, Medien oder auch die Europäische Union), gegen einzelne Vorhaben und Gesetze oder sonstige Personen des öffentlichen Lebens richten. Die Urheber solcher Desinformationen können sowohl staatliche als auch nicht staatliche Akteure aus dem In- und Ausland sein. Durch die Verbreitung in den sozialen Medien oder durch vermeintlich seriös wirkende Nachrichtenseiten im Internet können digitale Desinformationen schnell eine große Reichweite erlangen. Zudem lassen sich mithilfe von KI-generierten Inhalten wie synthetischen Bildern, Videos und Sprachaufnahmen, die schon mehrfach in Wahlkämpfen benutzt wurden, Desinformationen leichter personalisieren, emotionalisieren und produzieren (vgl. Garimella/Chauchard 2024; Châtelet 2024). Auf diese Weise können gezielte Desinformationskampagnen das Vertrauen in bestimmte Personen, aber auch das Vertrauen in Politik, Medien, und Fakten allgemein schwächen.
Mit Blick auf inländische Akteure können digitale Desinformationen im Vorfeld von Wahlen besonders von Parteien oder Parteianhängern verbreiten werden. Bei den ausländischen Akteuren wird unter dem Begriff FIMI (Foreign Information Manipulation and Interference, deutsch: Ausländische Informationsmanipulation und Beeinflussung) besonders auf den Einfluss Russlands und Chinas hingewiesen. Laut Behördeninformationen sollen gerade russische Desinformationskampagnen bereits mehrfach versucht haben, einen prorussischen Einfluss auf Wahlen in Europa auszuüben (vgl. Europäischer Auswärtiger Dienst 2024; Bundesministerium des Innern und für Heimat 2024). Allerdings kann häufig nicht abschließend geklärt werden, wer genau hinter digitalen Desinformationen zur Beeinflussung von Wahlen steckt, da einige Akteure erfolgreich ihre (finanziellen und politischen) Verbindungen zu fremden Staaten verschleiern. Zunehmend operieren ausländische Akteure auch anhand von inländischen Stellvertretern, was das Identifizieren der Akteure noch erschwert (vgl. Allen 2024). Im Rahmen von Digitalpolitik gibt es verschiedene Lösungsansätze, um den diskutierten Einfluss von Desinformationen auf Wahlen zu minimieren. Auf europäischer Ebene zeichnet sich der im Jahr 2022 verabschiedete Digital Services Act (DSA) vor allem dadurch aus, dass er Betreiber von Social-Media-Plattformen in die Pflicht nimmt, stärker gegen illegale und schädliche Inhalte vorzugehen. Daraufhin entwickelten unterschiedliche Betreiber unterschiedliche Strategien wie das Entlarven (Debunking), Kennzeichnen und Löschen von Desinformationen. Allerdings gingen die größten Social-Media-Plattformen im Vorfeld der Europawahlen 2024 nur gegen 55 Prozent aller Inhalte mit Desinformationen vor (Fundacion Maldita 2024). Zusätzlich gelten auch das Sensibilisieren für Desinformationen (Prebunking) und die Förderung von Medienkompetenz als weitere Strategien, um den Einfluss von Desinformationen auf Wahlen zu mindern.
Vergleichbarkeit mit analogen Phänomenen
Auch im analogen Bereich gibt es Desinformationen, die zur Beeinflussung von Wahlen genutzt werden. Zum Beispiel können Zeitungsartikel oder Wahlplakate absichtlich gefälscht werden und falsche Informationen verbreiten, um im eigenen Land oder im Ausland den Wahlausgang zu verändern (vgl. Schinkels 2017). Allerdings sind die Möglichkeiten für die Verbreitung von Desinformationen im analogen Bereich deutlich eingeschränkter als im digitalen Bereich, denn der digitale Bereich zeichnet sich besonders durch eine vereinfachte Verschleierung und ubiquitäre Verfügbarkeit aus.
In den sozialen Medien ist es einfach, sich ein vermeintlich seriöses Profil anzulegen, ohne dabei allerdings die eigene Identität preiszugeben (vereinfachte Verschleierung). Dies erschwert es Nutzenden, herauszufinden, inwiefern eine Informationsquelle seriös ist oder Desinformationen verbreitet. Gleichzeitig können Inhalte von nahezu überall abgerufen werden (ubiquitäre Verfügbarkeit), sodass ausländische Akteure einfach und schnell inländische Nutzende erreichen können. Neben diesen zwei Hauptunterschieden fällt der digitale Bereich auch durch eine erhöhte Veränderbarkeit und verlustfreie Vervielfältigung von Inhalten auf. In den sozialen Medien können bestimmte gesellschaftliche Gruppen mit maßgeschneiderten Inhalten erreicht werden, die sich problemlos für jede Gruppe individuell anpassen lassen. Einzelne Inhalte können zudem tausendfach oder auch millionenfach verbreitet werden, ohne dass Kosten anfallen würden. Insgesamt ist es also deutlich einfacher, im digitalen als im analogen Bereich Desinformationen zur Beeinflussung von Wahlen zu verbreiten.
Gesellschaftliche Relevanz
Es ist allerdings trotz einzelner spektakulärer Enthüllungen (vgl. SGDSN 2024) bislang fraglich, inwiefern es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Verbreitung von Desinformationen und einer Veränderung des Wahlverhaltens gibt. Denn durch digitale Desinformationen entsteht zunächst ein Klima der Verunsicherung, das es unwahrscheinlicher macht, dass die erhaltenen Informationen geglaubt werden. Jegliche digitale Informationen werden zunächst also erst einmal mit Skepsis betrachtet, ohne dass Menschen unmittelbar ihre politische Meinung und ihr Wahlverhalten ändern (vgl. Allcott/Gentzkow 2017; Budak et al. 2024).
Dennoch haben digitale Desinformationen zur Beeinflussung von politischen Wahlen eine hohe gesellschaftliche Relevanz. Selbst wenn Menschen ihre Meinung durch Desinformationen nicht unmittelbar ändern, so können solche Desinformationen zur Polarisierung einer Gesellschaft beitragen, indem sie bestehende Meinungsunterschiede innerhalb der Gesellschaft verstärken (vgl. Chen et al. 2021). Gleichzeitig können digitale Desinformationen das Vertrauen in demokratische Institutionen und Wahlen untergraben, wenn zum Beispiel rechtmäßige Wahlen durch falsche Informationen infrage gestellt werden (vgl. Mauk/Grömping 2024). Insgesamt lässt sich also festhalten, dass digitale Desinformationen im Kontext von Wahlen eine besonders große Herausforderung für die Demokratie darstellen.
Weiterführende Links und Literatur
Quellen
- Allcott, H./Gentzkow, M. (2017). Social Media and Fake News in the 2016 Election. In: Journal of Economic Perspectives 31(2), 211–236.
- Allen, D. (2024). Anticipating the Storm: Mapping Digital Threats to the 2024 European Parliament Elections. Democracy Reporting International.
- Bernhard, L. et al. (2024). Verunsicherte Öffentlichkeit. Superwahljahr 2024: Sorgen in Deutschland und den USA wegen Desinformationen. Bertelsmann Stiftung, 44–50.
- Budak, C. et al. (2024). Misunderstanding the harms of online misinformation. In: Nature 630, 45–53.
- Bundesministerium des Innern und für Heimat (2024). Verfassungsschutzbericht 2023. 313–323.
- Châtelet, V. (2024). Far-right parties employed generative AI ahead of European Parliament elections. Digital Forensic Research Lab.
- Chen, E. et al. (2021). COVID-19 misinformation and the 2020 U.S. presidential election. In: Harvard Kennedy School (HKS) Misinformation Review.
- European Union (2024). 2nd EEAS Report on Foreign Information Manipulation and Interference Threats, Europäischer Auswärtiger Dienst 2024, 5–6. https://www.eeas.europa.eu/sites/default/files/documents/2024/EEAS-2nd-Report%20on%20FIMI%20Threats-January-2024_0.pdf [11.07.2024]
- Fundacion Maldita (2024). Platform Response to Disinformation during the EU Election 2024.
- Garimella, K./Chauchard, S. (2024). How prevalent is AI misinformation? What our studies in India show so far. In: Nature 630, 32–34.
- Mauk, M./Grömping, M. (2024). Online Disinformation Predicts Inaccurate Beliefs About Election Fairness Among Both Winners and Losers. In: Comparative Political Studies 57(6), 965–998.
- Schinkels, P. (2017). Der Troll im Wahlplakat. Correctiv Hintergrund.
- SGDSN (Secrétariat général de la défense et de la sécurité nationale) (2024). PORTAL KOMBAT: A structured and coordinated pro-Russian propaganda network. Technical Report.