Social-Media-Influencerinnen und ‑Influencer sind einstmals gewöhnliche Internetnutzende, die es geschafft haben, sich durch ihre Aktivitäten in den sozialen Medien ein Publikum an Followerinnen und Followern aufzubauen, auf die sie Einfluss besitzen. [1] Zu diesen Aktivitäten zählt, Social-Media-Inhalte zu erstellen, sie über die jeweiligen Plattformen zu verbreiten, mit den Followerinnen und Followern um diese Inhalte herum zu interagieren sowie eine öffentliche Persona zu kuratieren. Angezogen von der Möglichkeit, über Influencerinnen und Influencer insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene zu erreichen, haben zunächst Unternehmen, später auch andere Organisationen wie Parteien, staatliche Agenturen und Nichtregierungsorganisationen begonnen, mit Influencerinnen und Influencern zu kooperieren.[2] Unterstützung erhalten sie dabei oftmals von Kommunikationsagenturen, die sich mit der Durchführung von Influencerkampagnen ein neues Geschäftsfeld erschließen.
Dieses Akteursgeflecht, bestehend aus Influencerinnen/Influencern, Followerinnen/Followern, Auftraggebern , Kommunikationsagenturen und Social-Media-Plattformen, bringt ethische Herausforderungen für Influencerinnen und Influencer mit sich. Diese Herausforderungen lassen sich entlang von zehn ethischen Prinzipien katalogisieren.[3], [4]
- Eigenständigkeit: Influencerinnen und Influencer sollen eigenständig handeln, und zwar auch im Rahmen vergüteter Kooperationen. Ihnen muss es also gelingen, ihre Autonomie gegenüber Auftraggebern und deren Agenturen durchzusetzen.
- Aufrichtigkeit: Influencerinnen und Influencer sollen ihre tatsächliche Meinung kundtun und diese nicht an Auftraggeber verkaufen. Das Prinzip der Aufmerksamkeit wird im Diskurs mitunter als Authentizität diskutiert.[5] Im Gegensatz zur Authentizität berücksichtigt Aufrichtigkeit jedoch nicht nur das Verhältnis der Influencerin/des Influencers zu sich selbst, sondern auch zu den Followerinnen und Followern.[6]
- Transparenz: Influencerinnen und Influencer sollen werbliche Posts klar als solche kennzeichnen – eine Anforderung, die im Übrigen auch gesetzlich festgeschrieben ist.
- Wahrheit: Influencerinnen und Influencer sollen wahrheitsgemäß kommunizieren, also etwa Fakten über ein präsentiertes Produkt korrekt wiedergeben, diese Fakten ggf. auch selbst gegenprüfen und Abstand davon nehmen, ihre Followerschaft durch gekaufte Bots künstlich in die Höhe zu treiben.
- Fürsorge: Influencerinnen und Influencer sollen keine Menschen oder Gruppen diskriminieren. Ebenso sollen sie auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten vulnerabler Zielgruppen, wie etwa Kinder und Jugendliche, deren Werbekompetenz eingeschränkt ist, Rücksicht nehmen.
- Professionalität: Influencerinnen und Influencer sollen professionell arbeiten, also etwa Absprachen einhalten oder kommerzielle Posts mit der gleichen Sorgfalt erstellen wie organische Posts.
- Wertschätzung: Influencerinnen und Influencer sollen auf die Bedürfnisse ihrer Auftraggeber achten und beispielsweise deren Werthaltungen ernstnehmen.
- Respekt: Influencerinnen und Influencer sollen höflich, fair und zugewandt kommunizieren und etwa herabwürdigende Äußerungen gegenüber Kooperationspartnerinnen und ‑partnern sowie Followerinnen und Followern unterlassen.
- Loyalität: Influencerinnen und Influencer sollen sich sowohl ihrer Followerschaft als auch Auftraggebern gegenüber loyal verhalten.
- Soziale Verantwortung: Influencerinnen und Influencer sollen die Auswirkungen ihres Handelns auf Gesellschaft und Umwelt reflektieren und so ihrer Vorbildfunktion insbesondere für Kinder und Jugendliche gerecht werden.
Ethische Prinzipien werden zunehmend in Form von Ethikkodizes kodifiziert. So hat in Deutschland der Bundesverband Influencer Marketing bereits 2019 einen Ethikkodex adoptiert. [7], [8] Industrieverbände in anderen Ländern folgten. [9], [10] Die Festschreibung von ethischen Prinzipien durch Kodizes erfüllt verschiedene Funktionen, dazu gehören zum einen industrieinterne Zielgrößen. Beispielsweise bieten Ethikkodizes den Branchenakteuren Orientierung in ihrem Berufsalltag und treiben die Professionalisierung der gesamten Industrie voran. Zum anderen wirken Kodizes nach außen, indem sie eine Legitimation in der öffentlichen Debatte sichern.
Vergleichbarkeit mit analogen Phänomenen
Influencerkommunikation bewegt sich an der Schnittstelle anderer kommunikativer, gesellschaftlicher Makroformen, nämlich Werbung, Public Relations (PR) und Journalismus.[3] Die ethischen Prinzipien, die in der Influencerbranche gelten, greifen daher auf die Ethiken der anderen Bereiche zurück. So gilt etwa für Influencerinnen und Influencer im Rahmen der wahrheitsgetreuen Darstellung eine Sorgfaltspflicht, wie sie aus dem Journalismus bekannt ist. In den Bereichen Werbung und Public Relations wiederum ist das Prinzip der Transparenz verankert, wenn entsprechende Branchenkodizes auf die Maßgabe der Absendertransparenz hinweisen, die eine Täuschung über eine werbliche Absicht der Nachricht untersagt. Aufgrund der hauptsächlichen Finanzierung von Influencerinnen und Influencern durch Einnahmen aus kommerziellen Kooperationen sind die Ethikräte der jeweiligen Branchenverbände, namentlich der Deutsche Werberat sowie der Deutsche Rat Public Relations, in der Selbstregulierung der Influencerbranche aktiv geworden. So rügte der Deutsche Werberat im Jahr 2020 erstmals einen Influencer, den Instagramer Ron Bielecki, wegen einer frauenherabwürdigenden und sexistischen Darstellung in der Bewerbung eines Potenzmittels. Der Deutsche Rat Public Relations wiederum führt bereits seit 2017 insbesondere die Transparenzpflicht für Influencerinnen und Influencer in seiner Richtlinie zu Public Relations in digitalen Medien und Netzwerken aus.
Nichtsdestotrotz unterscheidet sich die Influencerethik in wesentlichen Bereichen von den Ethiken der anderen kommunikativen Makroformen. So spielt für Influencerinnen und Influencer beispielsweise die Beziehung zu ihrer Followerschaft eine besondere Rolle. Eine solche Beziehung existiert für die anderen Makroformen nicht. Für Influencerinnen und Influencer stellt sich zudem die Herausforderung, mit einer doppelten Loyalitätserwartung umzugehen – vonseiten der Followerinnen und Follower und vonseiten der Auftraggeber. Die Loyalität von Werbe- und PR-Agenturen gehört dagegen ausschließlich ihren Klientinnen und Klienten. Auch sehen sich Influencerinnen und Influencer damit konfrontiert, dass von ihnen Eigenständigkeit und Aufrichtigkeit selbst innerhalb vergüteter Kooperationen erwartet wird, während Agenturen die Relevanzstrukturen ihrer Auftraggeber übernehmen.
Gesellschaftliche Relevanz
Der Influencerbranche wird vom Gesetzgeber in Deutschland bislang zugestanden, mögliche Konfliktfelder im Modus der Selbstregulierung eigenständig zu bearbeiten. Gesetzliche Regelungen sind rudimentär und bestehen hauptsächlich hinsichtlich der Transparenzpflicht. Dieses Zugeständnis ist insofern konsequent, als dass es der Werbe- und der PR-Branche ebenfalls gemacht wird. Solange die Selbstregulierung ausreichend gut funktioniert, ist die Influencerethik kaum Thema der öffentlichen Debatte. Allerdings hat es der Bundesverband Influencer Marketing bislang noch nicht geschafft, eine Beschwerdeinstanz einzurichten, die in der Lage wäre, Schiedssprüche zu fällen und durchzusetzen.
Jenseits von Regulierungsfragen ist die Ethik der Influencerbranche besonders deshalb von Relevanz, weil sie sich in den Genreerwartungen des Feldes niederschlägt. So zeigt sich, dass Followerinnen und Follower von „ihren“ Influencerinnen und Influencern erwarten, auch im Rahmen bezahlter Kooperationen aufrichtig zu handeln. Die Skepsis, die traditionellen Formen der kommerziellen Kommunikation entgegenschlägt, ist daher in der Influencerbranche nicht oder nur in wesentlich geringerem Ausmaß zu beobachten.[3], [11] Statt werbliche Posts generell abzuwerten, vertrauen viele Followerinnen und Follower den Empfehlungen, die Influencerinnen und Influencer aussprechen. Auf diese Weise trägt die Influencerethik dazu bei, die einstmals klaren Grenzen zwischen redaktionellen und kommerziellen Inhalten weiter einzureißen.[12]
Quellen
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- Hund, E. (2023). The influencer industry: The quest for authenticity on social media. Princeton, New Jersey.
- Borchers, N. S./Enke, N. (2022). “I've never seen a client say: ‘Tell the influencer not to label this as sponsored’”: An exploration into influencer industry ethics. In: Public Relations Review, 48(5), 102235. https://doi.org/10.1016/j.pubrev.2022.102235
- Grgurić Čop, N./Culiberg, B./First Komen, I. (2023). Exploring social media influencers’ moral dilemmas through role theory. In: Journal of Marketing Management, advance online publication, 1–22. https://doi.org/10.1080/0267257X.2023.2241468
- Wellman, M. L. et al. (2020). Ethics of authenticity: Social media influencers and the production of sponsored content. In: Journal of Media Ethics 35(2), 68–82. https://doi.org/10.1080/23736992.2020.1736078
- Trilling, L. (1972). Sincerity and authenticity. Cambridge, Massachusetts
- Enke, N./Borchers, N. S. (2019b). Whitebook Ethik Influencer-Kommunikation. Leipzig. https://bvim.info/ethik
- Borchers, N. S./Enke, N. (2021). Influencer-Kommunikation benötigt ethische Regeln. Ein Ethikkodex für die Branche. In: Communicatio Socialis 54(4), 537–547. https://doi.org/10.5771/0010-3497-2021-4-537
- Ortová, N./Hejlová, D./Weiss, D. (2023). Creation of a code of ethics for influencer marketing: The case of the Czech Republic. In: Journal of Media Ethics 38(2), 65–79. https://doi.org/10.1080/23736992.2023.2193958
- Stewart, G. (2020). Trouble in paradise: Regulation of Instagram influencers in the United States and the United Kingdom. In: Wisconsin International Law Journal 28(1), 138–170.
- Borchers, N. S. (2022). Between skepticism and identification: A systematic mapping of adolescents’ persuasion knowledge of influencer marketing. In: Journal of Current Issues & Research in Advertising 43(3), 274–300. https://doi.org/10.1080/10641734.2022.2066230
- Hardy, J. (2022). Branded content: The fateful merging of media and marketing. London.