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Smart Government

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Smart Government bedeutet, dass Prozesse des Regierungs- und Verwaltungshandelns mithilfe von intelligent vernetzten Informations- und Kommunikationstechnologien abgewickelt werden. Dabei werden smarte, also intelligent vernetzte Objekte und cyberphysische Systeme genutzt, um öffentliche Aufgaben effizient und effektiv zu erfüllen. Dies trägt zu einem nachhaltigen Regierungs- und Verwaltungshandeln im Zeitalter des Internets der Dinge und des Internets der Dienste bei.

Im Kern geht es um die intelligente Vernetzung bestehender Objekte und Netzwerke, die mit erweiterter Funktionalität in IT-Systeme eingebettet werden und so eine virtuelle Identität erhalten, mit der kommuniziert werden kann. Bei smarten Objekten handelt es sich um erweiterte Dinge des Alltags, die zusätzlich mit Sensoren, Aktoren und einer Kommunikationseinheit ausgestattet werden. Über eine virtuelle Repräsentation im Internet werden sie eindeutig ansprechbar. Diese Dinge lassen sich in sogenannte cyberphysische Systeme einbetten und steuern. Systeme aus intelligent vernetzten realen und virtuellen Objekten werden so zu sich selbst steuernden Ökosystemen, die Menschen nicht nur bei Information und Analyse unterstützen, sondern auch Automation und Steuerung eigenständig übernehmen. Beispielsweise kann ein Netzwerk aus vielen verteilten smarten Bojen im Meer nicht nur entstehende Tsunamiwellen erkennen, sondern über ein Steuerungssystem auch die Bevölkerung im Zielgebiet der Monsterwellen per Notfall-SMS warnen und so über das Smartphone Menschenleben retten. Eine kleine technische Erweiterung setzt solch ein gewaltiges Veränderungspotenzial frei.

Smarte Objekte und cyberphysische Systeme können auf allen Ebenen und somit im gesamten öffentlichen Sektor eingesetzt werden, also auch in der Legislative (smartes Parlament), in der Exekutive (smarte Nation, smarte Stadt, smarte Verwaltung, smarte Polizei, smartes Militär) und in der Jurisdiktion (smarte Justiz) sowie in öffentlichen Unternehmen (smarte Stadtwerke, smarte Infrastrukturen, smarte Beleuchtung, Smartmeter). Intelligente Objekte wie etwa Smartphones, smarte Brillen, smarte Fernseher, interaktive Leinwände und vernetzte Kleidungsstücke können in Ministerien, Behörden, Entscheidungsprozessen und Verfahrensabläufen sehr unterschiedliche Verwendung finden. Das gewaltigste Veränderungspotenzial liegt jedoch nicht im smarten Papier mit Sensoren, sondern in dessen Überführung in neuartige, intelligente, elektronische Formate oder Artefakte, die selbst agieren und weitere Prozesse anstoßen können. Digitalpolitisch stellt sich die Frage, wie Staat und Verwaltung die Möglichkeiten smarter Objekte und cyberphysischer Systeme zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben nutzen wollen und wo Regulierungsbedarf gesehen wird. Etwa der Einsatz digitaler Zwillinge in Verbindung mit künstlicher Intelligenz eröffnet hier zahlreiche Optionen, nicht nur als Repräsentator, Simulator oder Monitor zur Überwachung und Visualisierung realer Objekte, sondern vor allem langfristig zur Steuerung von realen Objekten aus der Ferne und in Echtzeit.

Technisch betrachtet bedeuten smarte Objekte und cyberphysische Systeme den Einstieg in das Internet der Dinge und das Internet der Dienste. Das Internet der Dinge sorgt über die Internetprotokolle dafür, dass sich Objekte und Systeme von Personen, Programmen, Diensten und Datenpaketen über eine IP-Adresse eindeutig identifizieren, ansprechen, nutzen und gegebenenfalls steuern lassen. Das Internet der Dinge steht damit für die globale elektronische Vernetzung von Alltagsgegenständen und den direkten gegenseitigen Informationsaustausch von Objekten ohne menschliche Eingriffe im Sinne einer echten Kommunikation von Maschine zu Maschine. Im Internet der Dienste werden Dienste und Funktionalitäten als feingranulare Softwarekomponenten abgebildet und von Providern auf Anforderung über das Internet zur Verfügung gestellt. Web-Services, Cloud Computing und standardisierte Schnittstellen ermöglichen dies. Die enge Verzahnung des Internets der Dienste mit dem Internet der Dinge beruht darauf, dass sich eine Reihe von realen Dingen, wie etwa Papier, bei mindestens gleichwertiger Funktionalität auch in virtuelle Dinge und webbasierte Dienste überführen und um ergänzende durchdachte Funktionen erweitern lassen.

Smart Government eröffnet einige Chancen, aber der Staat begibt sich damit technisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich auf einen schmalen Grat bei Information und Analyse sowie Automation und Kontrolle. Auf Basis von Sensordaten lässt sich das Verhalten von Personen, Dingen, Diensten oder Daten weltweit durch Raum und Zeit verfolgen. Bewegungen von smarten Produkten und ihren Interaktionen werden jederzeit auswertbar. Dies lässt Rückschlüsse auf Personen und ihr Verhalten zu. Die visuelle Auswertung verfügbarer Sensordaten auf einem Display oder smarten Brillen verbessert die physische Umgebungs- und Situationswahrnehmung in Echtzeit. Leicht verständliche Aufbereitungen und Visualisierungen erleichtern Entscheidungen, teils ohne eigene Reflexion. Dies eröffnet Potenziale für tiefgreifende computer- und sensorgetriebene Entscheidungsanalysen in schwierigen Planungs- und Entscheidungssituationen. Sorge besteht, wenn Entscheider dann dauerhaft das eigene Denken vernachlässigen.

Die mit Smart Government anfallenden Datensammlungen können auch zur Automation und Kontrolle verwendet werden. Auf Basis aktueller Sensordaten und Nutzereingaben lassen sich Prozesse in geschlossenen Systemen optimieren und über Aktoren und Feedback-Mechanismen auch selbst steuern. Dies eröffnet Einsparmöglichkeiten etwa bei Verbrauch, Energiekosten und notwendigen erforderlichen Eingriffen. Konsequent weitergedacht führt dies zu komplexen autonomen Systemen, die in offenen Umgebungen mit großer Unsicherheit eingesetzt werden, in denen sofortige und robuste Entscheidungen durch automatisierte Systeme erforderlich sind. So ist davon auszugehen, dass autonom fahrende Autos, Busse und Züge den öffentlichen Personennahverkehr und die öffentliche Mobilität neu definieren werden. Künftige Flotten solcher selbstfahrenden Taxis haben das Potenzial, mittel- bis langfristig Berufsgruppen wie etwa Taxifahrerinnen/Busfahrer oder Busfahrerinnen/Busfahrer arbeitslos zu machen.

Vergleichbarkeit mit analogen Phänomenen

Systeme zur Fernüberwachung des öffentlichen Raums oder des Straßenverkehrs mit Ferngläsern oder analogen TV-Kameras können für Vergleiche herangezogen werden. Smarte Ansätze überzeugen durch Vernetzung, ständige Einsatzfähigkeit, Geschwindigkeit, digitale Daten und Automatismen. In der analogen Welt gestalten sich Warnungen oder Eingriffe staatlicher Stellen oft schwierig, da sie personalintensiv sind und qualifiziertes Personal erfordern. Mithilfe von digitalen Sensoren (KI-basierte Videoüberwachung), Aktoren (Digitalbildschirme, Lichtsignale, SMS-Nachrichten) und einer Vernetzung lassen sich Überwachungen und Verwarnungen automatisieren. Für die digitale Analyse wird wesentlich weniger Personal benötigt. Einsatz- und Reparaturkräfte werden nur bei Bedarf gezielt entsandt. Kommunikation über missliebiges Verhalten kann digital über Smartphones erfolgen. Allerdings ist im öffentlichen Sektor eine besondere Sensibilität geboten. Bürgerinnen und Bürger sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besitzen zahlreiche Rechte, die im Rechtsstaat zu beachten sind. Eine dauerhafte Überwachung von Menschen, öffentliche Bloßstellung oder gar eine Unterdrückung durch smarte Überwachungssysteme sind nicht akzeptabel. Information, Analyse, Automation und Kontrolle über das Internet der Dinge und das Internet der Dienste sind innerhalb von Staat und Verwaltung dort zu begrenzen, wo sie die gewollten Lebenswelten, Arbeitswelten und Freiräume von Bürgerinnen/Bürgern, Unternehmen, Beamtinnen/Beamten, Polizistinnen/Polizisten, Richterinnen/Richtern, Angeklagten und anderen Betroffenen unverhältnismäßig einschränken, gegen Vorgaben des Datenschutzes verstoßen oder gar Schlimmeres anrichten können. Weltweit gibt es jedoch einige Staaten, die die Potenziale smarter Technologien in unzulässiger Weise nutzen oder interpretieren.

Gesellschaftliche Relevanz

Ansätze eines smarten Regierungs- und Verwaltungshandelns eröffnen Staat und Verwaltung neue Möglichkeiten. Zugleich eröffnen sie neuartige Chancen zur Information und Analyse sowie zur Automation und Kontrolle, die teils positiv und teils negativ bewertet werden. Menschen entscheiden, wie sie mit diesen Technologien umgehen. Auch außerhalb von staatlichen und verwaltungstechnischen Anwendungen werden smarte Technologien kontinuierlich von Wissenschaft und Wirtschaft weltweit weiterentwickelt, verbessert und für den Markt zugänglich gemacht. Smarte Objekte und cyberphysische Systeme werden überall dort Verwendung finden, wo sie zu Innovationen führen, Mehrwerte schaffen, Effizienzsteigerungen bieten oder Kosten senken. Smartphones haben sich beispielsweise in den vergangenen 20 Jahren bereits weltweit durchgesetzt. Es wird erwartet, dass Smartwatches, intelligente Brillen und Drohnen über ein ähnliches Verbreitungspotenzial verfügen. Allerdings können intelligent vernetzte Lösungsansätze zu disruptiven Veränderungen in Staat und Verwaltung sowie beim Militär führen. Dies gilt besonders, wenn die neuen Lösungen und Wertschöpfungsnetzwerke der bisherigen Aufgabenwahrnehmung überlegen sein sollten. Bislang sind viele dieser Möglichkeiten und die damit verbundenen Veränderungen in ihrer gesamten Bandbreite und Tiefe kaum bekannt oder bewusst. Ein konstruktiver Dialog zwischen Politik, Verwaltung, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft kann dazu beitragen, Smart Government rechts- und datenschutzkonform zu gestalten.