| Phänomene | Online-Misogynie: Ausprägungen und Dynamiken gegenüber politisch aktiven Frauen

Knoten in der Wissenslandkarte

Disziplin

Kulturwissenschaften

Online-Misogynie: Ausprägungen und Dynamiken gegenüber politisch aktiven Frauen

Lesezeit: 6 Min.

Mit der rasanten und massenhaften Verbreitung von Informationen und den vielfältigen Kommunikationsmöglichkeiten durch digitale Medien – insbesondere soziale Medien – zeigen sich neben positiven Aspekten auch bedenkliche Entwicklungen. Onlinehass, die Verbreitung von Konspirationstheorien und Desinformationskampagnen sind heute ein zentraler Bestandteil diverser Diskurse in den sozialen Medien und beeinflussen vielschichtig Meinungsbildungsprozesse und die Möglichkeiten politischer Teilhabe bestimmter Bevölkerungsgruppen.

Ein zentraler Aspekt von Onlineradikalisierung ist Online-Misogynie – die Belästigung von Frauen im Internet – hauptsächlich auf Social Media durch missbräuchliche und sexistische Sprache oder Abbildungen sowie Gewaltandrohungen. [1], [2] Die besondere Gefahr dieses beunruhigenden Trends ist, dass Onlinefrauenfeindlichkeit in bestehende Strukturen der Benachteiligung und Unterdrückung eingebettet ist, insbesondere, wenn die betroffenen Frauen Minderheiten oder historisch benachteiligten Gruppen angehören. [3], [4] . Genderbasierter Onlinemissbrauch hat sich zu einer wirkungsvollen Methode entwickelt, um Widerspruch, Kritik oder selbst nur das bloße Streben nach politischer Teilhabe zu unterdrücken. [4]

Besonders deutlich sieht man dies bei politisch aktiven Frauen. Forschungen zeigen, dass Politikerinnen in den Massenmedien zahlenmäßig unterrepräsentiert sind und dass die Berichterstattung voll ist mit Stereotypen, Trivialisierungen, dem Fokus auf das Aussehen der Politikerin und ihre familiären Beziehungen und weniger auf Ideen zu politischen Themen. [5] Die sozialen Medien sollten weniger gut vernetzten und insbesondere jungen Politikerinnen eigentlich die Möglichkeit geben, die traditionellen Medien zu umgehen und direkter mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren – als eine kostengünstige Ressource mit großer politischer Wirkung für weniger repräsentierte Kandidatinnen. [6] Dies hat sich allerdings nicht bewährt, da Onlinefrauenfeindlichkeit nach wie vor große Auswirkungen auf die Vielfalt in der Politik hat. Während sich manche hauptamtlich tätigen Politikerinnen, die häufig ein eigenes Social-Media-Team haben, durch Hasskampagnen in der Notwendigkeit ihrer Arbeit bestärkt sehen und weiterhin Onlineräume aktiv mitgestalten, sieht man eine gegenteilige Tendenz bei meist ehrenamtlich tätigen und häufig jungen Lokalpolitikerinnen. Frauen sind in der Kommunalpolitik ohnehin bereits unterrepräsentiert, wie unterschiedliche Studien zeigen: Laut dem Ranking der deutschen Großstädte zur politischen Repräsentation von Frauen waren 2022 nur 11,7% der Stadtspitzen weiblich. Stadtratsmandate haben sich positiv entwickelt und liegen nun im Gegensatz zu vormals 18% bei 30%. [7]

Lokalpolitikerinnen wissen oft nicht, wie sie mit Drohungen, Body Shaming, Geschlechterstereotypisierung und dem Absprechen ihrer Kompetenz aufgrund des Frau-Seins umgehen sollen. Aus diesem Grund zensieren sich die Frauen selbst, sowohl als Präventionsmaßnahme als auch als Reaktion auf Erfahrungen. Es handelt sich dabei um eine defensive und selbstüberwachende Maßnahme und bedeutet, nicht über Dinge zu schreiben, die negative Reaktionen hervorrufen könnten. Das bedeutet, aktiv darauf zu achten, keine kontroversen Dinge zu posten, die Reaktionen oder Streit hervorrufen könnten. Einige Lokalpolitikerinnen berichten auch von einer „Schere im Kopf“: dem Willen, nicht aufgeben zu wollen einerseits und den Tätern nicht die Genugtuung zu geben, die eigene Stimme verdrängt zu haben, und der Erfahrung mit und der Belastung durch Onlinebelästigung andererseits und der Frage, ob man sich dem wieder aussetzen möchte. Die Praxis der Selbstzensur hat einen hohen Preis für die Politikerinnen, denn die Einschränkung ihrer Onlineaktivitäten beeinträchtigt ihr Handlungsvermögen bereits ganz zu Anfang ihrer Karriere und nimmt ihnen Möglichkeiten zur Vernetzung und Förderung der eigenen Arbeit. [8]

Vergleichbarkeit mit analogen Phänomenen

Frauenfeindlichkeit gegenüber Politikerinnen im Allgemeinen und Lokalpolitikerinnen im Spezifischen ist kein neues Phänomen. Bevor Politikerinnen mit Hass-E-Mails, sexistischen Direktnachrichten und frauenfeindlichen Kommentaren in den sozialen Medien konfrontiert wurden, gab es zahlreiche Fälle von analogen Droh- und Hassbriefen sowie verbaler (sexualisierter) Gewalt. Solche genderbasierten Angriffe auf Frauen in der Politik sind oft eng mit Machtkonflikten verknüpft. [3] Frauen sind nach wie vor denselben Machtasymmetrien ausgesetzt, die auch die analogen Realitäten prägen, und bewegen sich in Strukturen, Rollen und Prozessen, die von Männern für Männer konzipiert wurden. [3], [6] Die politische Sphäre wird auch in der Gesellschaft oft noch als männlich codiert wahrgenommen, wodurch Frauen mitunter als Abweichung von der gewünschten Norm betrachtet werden. Aufgrund dieses vermeintlichen Normbruchs könnten Politikerinnen daher begründet beleidigt und angegriffen werden. [7] Dieser Blick auf die analogen, lang etablierten politischen Strukturen und Machtverhältnisse ermöglicht es, die zugrunde liegenden Dynamiken der Frauenfeindlichkeit gegenüber Politikerinnen als fest verankert in den materiellen Realitäten alltäglicher Erfahrungen von Misogynie und Sexismus in einer patriarchal geprägten Gesellschaft zu analysieren.

Die spezifische Dimension dieses gefährlichen Trends im Onlinekontext liegt darin, dass die wahrgenommene und technisch realisierte Anonymität in den sozialen Medien die Identifizierung und Nachverfolgung frauenfeindlicher Kommentare und Nachrichten beeinträchtigt. Selbst wenn Betroffene Anzeige erstatten, wird so die Ermittlung und strafrechtliche Verfolgung von Täterinnen und Tätern erschwert. Darüber hinaus ermöglicht die ubiquitäre Verfügbarkeit sozialer Medien, dass Personen aus verschiedenen geografischen Regionen an lokal verwurzelten Diskussionen teilnehmen und Kommentare veröffentlichen. Dies kann die Reichweite politischer Diskurse und ihrer Akteure vergrößern und wichtige, vielfältige Teilhabemöglichkeiten an demokratischen Meinungsbildungsprozessen fördern, birgt aber gleichzeitig die Gefahr koordinierter Angriffe gegen Wortführerinnen.

Gesellschaftliche Relevanz

Onlineräume sollten einen Raum zur Förderung und aktiven Teilhabe für Politikerinnen bieten. Doch die Realität zeigt, dass die Notwendigkeit der Selbstzensur aufgrund von Onlinefrauenfeindlichkeit diese Möglichkeiten stark einschränkt. Dies wirft die wichtige Frage auf: Welche Auswirkungen hat dieses Verhalten auf demokratische Meinungsbildungsprozesse und die aktive politische Partizipation von Frauen?

Neben notwendigen legislativen und regulatorischen Reformen, national und international, ist es auch wichtig, Opfer geschlechtsspezifischer Belästigung sowohl untereinander als auch mit spezialisierten Hilfsorganisationen zu vernetzen. So können gemeinsam Bewältigungsstrategien entwickelt und Ressourcen sowie technologische Kompetenz ausgetauscht werden. [4] Die Lösung des Problems betrifft allerdings nicht nur das Rechtssystem oder die Regelungen der Social-Media-Plattformen – es gibt grundlegende, gesellschaftliche Dynamiken, die zu dieser Form der Onlinefrauenfeindlichkeit führen. Es geht nicht nur darum, wie Onlineräume für Frauen sicherer gestaltet werden können, sondern auch darum, wie die zugrunde liegenden gesellschaftlichen Bedingungen verbessert werden können, die diese Räume erst unsicher gemacht haben. [3]

Quellen

  1. Ging, D./Siapera, E. (Hg.). (2019). Gender Hate Online: Understanding the New Anti-Feminism. Cham: Springer International Publishing.
  2. Massanari, A. (2017). #Gamergate and The Fappening: How Reddit’s algorithm, governance, and culture support toxic technocultures. In: New Media & Society, 19(3), 329–346.
  3. Chadha, K./ Steiner, L./Vitak, J. (2020). Women’s Responses to Online Harassment. In: International Journal of Communication, 14, 239–257.
  4. Udupa, S. (2021). Digital technology and extreme speech: Approaches to counter online hate. Commissioned Research Paper for the United Nations Peacekeeping Technology Strategy, April 2021.
  5. Van Der Pas, D. J./Aaldering, L. (2020). Gender Differences in Political Media Coverage: A Meta-Analysis. In: Journal of Communication, 70(1), 114–143.
  6. Esposito, E. (2023). Cyberviolence against women in politics. In: Boyle, K./S. Berridge, S. (Hg.). The Routledge Companion to Gender, Media and Violence. UK, 462–472.
  7. Alin, S. et al. (2021). Beleidigt und bedroht – Arbeitsbedingungen und Gewalterfahrungen von Ratsmitgliedern in Deutschland. In: Heinrich-Böll-Stiftung (Ed.), Band 59 der Schriftenreihe Demokratie.
  8. Citron, D. K. (2010). The offensive Internet. In: Levmore, S./M. C. Nussbaum, M. (Hg.): Civil rights in our information age. Cambridge, 31–49.