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Kommunikationswissenschaft

Meinungsmachtkontrolle und Vielfaltsmonitoring im Plattformzeitalter

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Vielfalt ist eine demokratische Schlüsselnorm, was sich in der Vorstellung widerspiegelt, dass publizistische Vielfalt unabdingbar für die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung und damit das Funktionieren von Demokratien ist. Idealtypisch liefern Medien vielfältige Informationen und Meinungen zu relevanten gesellschaftspolitischen Themen, auf deren Grundlage sich die Bürgerinnen und Bürger eine eigene, fundierte Meinung bilden sollen. Daher ist die Vielfaltssicherung seit Jahrzehnten die Zielgröße der Medienregulierung: Medienpolitisch gilt es, vorherrschende Meinungsmacht zu verhindern, also dass bestimmte Akteure, Gruppen oder Einzelpersonen zu großen Einfluss auf Meinungsbildungsprozesse nehmen [8].

Im digitalen Zeitalter gewinnen Plattformen wie die Suchmaschine Google, aber auch soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram, X und TikTok zunehmend an Meinungsmacht. Denn zum einen sind sie als Infrastrukturen so bedeutsam geworden, dass Medien nicht mehr daran vorbeikommen, ihre Inhalte über die Plattformen auszuspielen. Dadurch sind Medienanbieter gezwungen, ihre Inhalte an die Logiken der Plattformen anzupassen [3], was die Qualität der Inhalte (z. B. ihre Vielfalt) potenziell negativ beeinflusst. Zum anderen sind Plattformen meinungsmächtig, weil sie durch ihre Personalisierungsalgorithmen wesentlich kodeterminieren, welche Inhalte bei den Rezipientinnen und Rezipienten ankommen – und damit, auf welcher inhaltlichen Grundlage sich Bürgerinnen und Bürger online ihre Meinungen bilden. In diesem Kontext wird häufig befürchtet, dass Plattformen die genutzte Vielfalt (übermäßig) einschränken [5], [6].

Dies stellt die Meinungsmachtkontrolle vor erhebliche Herausforderungen, wobei die Regulierung ihren Fokus vor allem auf eine negative Form der Vielfaltssicherung legt [4]. Dieser liegt die Annahme zugrunde, dass eine ausreichend hohe Vielfalt unterschiedlicher Medienanbieter die notwendige inhaltliche Vielfalt im Meinungsbildungsprozess garantiert [2], [8]. In Deutschland steht für diesen Ansatz das Medienkonzentrationsrecht, welches mit seiner Fernsehzentrierung und der fehlenden Einbeziehung von Plattformen als nicht mehr zeitgemäß angesehen werden muss (siehe Abschnitt Vergleichbarkeit mit analogen Phänomenen). Daneben stehen Vorgaben, die es Plattformen untersagen, journalistisch-redaktionelle Angebote unsachlich zu diskriminieren (Medienstaatsvertrag (MStV)). Auf europäischer Ebene werden regulativ vor allem Vorgaben zur Transparenz von Plattformlogiken (MStV, Digital Services Act (DSA)) und Sorgfaltspflichten (insbesondere für sehr große Plattformen, beispielsweise Audits, siehe DSA) gemacht [4].

Ein wesentliches Problem der Regulierung ist dabei, dass bislang keine systematischen Erkenntnisse zur Meinungsmacht von Anbietern und Plattformen vorliegen, die für die Medienpolitik wichtige empirische Evidenz zur Evaluation regulatorischer Gesetzesvorhaben liefern. Diese Lücke kann der modular aufgebaute, kontinuierliche Meinungsmacht-Monitor schließen [7]. Er verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, der holistisch Medienangebot, Mediennutzung und Medienwirkungen betrachtet. Ziel ist es, mögliche Vielfaltsverengungen auf der Angebots- und Nutzungsseite zu identifizieren: So geben Betrachtungen aus der Angebotsperspektive inhaltsanalytisch einen Überblick über die Vielfalt der (Gesamt-)Berichterstattung oder zu bestimmten Themen und somit Auskunft darüber, wie tragfähig die Basis für individuelle und öffentliche Meinungsbildungsprozesse ist. Daten aus der Nutzungsperspektive wiederum können zeigen, inwiefern eine (idealtypisch) vielfältige Berichterstattung beim Publikum ankommt und somit zur realen Ressource für Meinungsbildungsprozesse wird. Ein zentraler Untersuchungsgegenstand ist hier, welchen Einfluss Plattformen auf die genutzte Vielfalt der Nutzenden nehmen, wofür sich das automatisierte Tracking digitaler Verhaltensdaten als fruchtbarer Ansatz erwiesen hat. Im Rahmen einer Erhebung wird die gesamte Onlinenutzung aufgezeichnet, sodass beispielsweise erkennbar ist, welche Nutzenden auf welchen Wegen (z. B. direkt oder über Plattformen) zu welchen Angeboten und Inhalten gekommen sind, wie lange sie sich dort aufgehalten haben und wie vielfältig die Onlinenutzung insgesamt war [1]. Jedoch kann erst in der vergleichenden Betrachtung mit der Offlinenutzung bestimmt werden, wie meinungsmächtig Plattformen tatsächlich sind. Der Meinungsmacht-Monitor kann damit die dringend notwendige empirische Evidenz liefern, die es der Medienpolitik ermöglicht, ihre Regulierungsansätze zu überprüfen und folglich zu identifizieren, wo gegebenenfalls zusätzlicher Regulierungsbedarf besteht.

Vergleichbarkeit mit analogen Phänomenen

Mit seinem Ansatz der negativen Vielfaltssicherung war das jahrzehntealte, fernsehzentrierte Medienkonzentrationsrecht lange Zeit Vorbild für die Meinungsmachtkontrolle von Plattformen. Es zielt darauf ab, vorherrschende Meinungsmacht zu verhindern, indem übermäßige Anbieterkonzentration auf dem Fernsehmarkt und verwandten Märkten verhindert wird. Dahinter steht die Annahme, dass Anbietervielfalt inhaltliche Vielfalt und insbesondere Meinungsvielfalt nach sich zieht. Vorherrschende Meinungsmacht wird im Medienkonzentrationsrecht gemäß dem Zuschaueranteilsmodell ab einem Marktanteil eines Anbieters von 30 bzw. 25 Prozent angenommen. Das Medienkonzentrationsrecht steht seit Langem in der Kritik. So ist beispielsweise die Grundannahme zu hinterfragen, dass sich die Sicherstellung von Angebotsvielfalt automatisch in große Meinungsvielfalt übersetzt. Zudem ist seine Anwendbarkeit auf Plattformen nicht möglich, da diese nicht selbst Inhalte produzieren, sondern für die Nutzenden kuratieren [2], [5]. Außerdem sind Monopolstellungen, wie beispielsweise durch Google auf dem Suchmaschinenmarkt, bereits so zementiert, dass es unwahrscheinlich erscheint, diese noch aufbrechen zu können.

Der zentrale Unterschied ist also, dass das analoge Medienkonzentrationsrecht einen eingeschränkten Anwendungsbereich (Fernsehen) aufweist, während das Vielfaltsmonitoring im Plattformzeitalter eine ganzheitliche Perspektive einnehmen muss, die sowohl Produzierende von Inhalten als auch Distributoren umfasst. Dieser Ansatz wird durch die digitalen Enabler Erzeugung und Verarbeitung großer Datenmengen, Automatisierung und ubiquitäre Verfügbarkeit unterstützt: Digitale Plattformen speichern und verarbeiten einen enormen Fundus an Daten von Nutzenden; unter anderem kann deren informierendes Nutzungsverhalten automatisiert getrackt werden. Die ubiquitäre Verfügbarkeit dieser Datenmengen kann von Wissenschaft und Regulierung für ein kontinuierliches und evidenzbasiertes Meinungsmacht-Monitoring eingesetzt werden (siehe Abschnitt: Erläuterung des Kantenphänomens).

Gesellschaftliche Relevanz

Die gesellschaftliche Relevanz der Meinungsmachtkontrolle und Vielfaltssicherung im Plattformzeitalter ist als sehr hoch anzusehen. Plattformen sind mit Blick auf die Nutzung politisch relevanter Informationen aus dem täglichen Leben der meisten Menschen nicht mehr wegzudenken, weshalb ihnen aus normativ-demokratietheoretischer Perspektive allein deshalb Beachtung geschenkt werden muss. Wie oben angeführt, sind Meinungsbildungsprozesse für funktionierende Demokratien essenziell, weshalb alle Akteure, die potenziell Einfluss auf diese nehmen können, in den Fokus der Regulierung rücken müssen. Daher ist eine ganzheitliche Vielfaltssicherung, die Plattformen berücksichtigt, als eine der zentralen medienpolitischen Regulierungsaufgaben zu bewerten.

Quellen

  1. Jürgens, P./Stark, B. (2022). Mapping Exposure Diversity: The Divergent Effects of Algorithmic Curation on News Consumption. In: Journal of Communication, 72 (3), 322–344.
  2. Reinemann, C./Zieringer, L. (2021). Meinungsmachtkontrolle und Vielfaltsmonitoring im digitalen Zeitalter. Eine kritische Reflexion der Begriffe, Annahmen, Indikatoren und Verfahren von Medienstaatsvertrag, Konzentrationskontrolle und Medienvielfaltsmonitoring. bidt – Bayerisches Forschungsinstitut für Digitale Transformation.
  3. Schneiders, P. (2023). Macht und Autonomie. Ein Theorierahmen für die Analyse der Plattformisierung journalistischer Medien. UFITA, 87(1), 6-50.
  4. Schneiders, P. et al. (2024). Meinungsmacht unter der Lupe: Ein Ansatz für eine vielfaltssichernde, holistische Plattformregulierung. In: Prinzing, M. et al (Hg.). Regulierung, Governance und Medienethik in der digitalen Gesellschaft. Mediensymposium Springer VS, 97–120.
  5. Stark, B./Stegmann, D. (2021). Vielfaltssicherung im Zeitalter von Medienintermediären: Modelle zur Messung und normative Maßstäbe. bidt – Bayerisches Forschungsinstitut für Digitale Transformation.
  6. Stark, B. et al. (2020). Are Algorithms a Threat to Democracy? The Rise of Intermediaries: A Challenge for Public Discourse. AlgorithmWatch.
  7. Stark, B. et al. (2024). Monitoring von Meinungsmacht: Ein neuer Ansatz zur Sicherung vielfältiger Meinungsbildung im Plattformzeitalter. Bayerisches Forschungsinstitut für digitale Transformation. bidt Impulse Nr. 7.
  8. [8] Stegmann, D. et al. (2022). Meinungsvielfalt, Meinungsmacht, Meinungsbildung. Zum (ungeklärten) Verhältnis zentraler Begriffe der deutschen Medienkonzentrationskontrolle. UFITA, 86(1), 38–70.