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Die Wirkung von digitalen Nudges auf die Bereitschaft zu Datenspenden

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Bei Datenspenden handelt es sich um die Weitergabe von Daten, um zum Gemeinwohl beizutragen. Sie beschreiben, dass Individuen freiwillig detaillierte, möglicherweise personenbezogene Daten an Dritte (z. B. Forschende oder Nichtregierungsorganisationen) weitergeben und ihre informierte Zustimmung zur Verwendung ihrer Daten für ein Ziel im öffentlichen Interesse geben [1], [2].

Mit Datenspenden können Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen wie medizinische Forschung [1] oder die Förderung nachhaltiger Lebensmitteleinkäufe [3] entwickelt werden.

Zu geringe Spenderaten sind für (Daten-)Spendevorhaben allerdings häufig eine große Herausforderung [3]. Deshalb betrachtet die aktuelle Forschung, wie verhaltensbasierte Ansätze, Interventionen und Nudging die Bereitschaft für Datenspenden erhöhen können.

Beispielsweise haben Pilgrim und Bohnet-Joschko [4] durch die Anwendung von digitalen Forced-Choice Nudges – d. h., Teilnehmende mussten eine Entscheidung treffen – erfolgreich die Entscheidung zur Spende von selbst erfassten Gesundheitsdaten gefördert. Um eine Erhöhung von Spendenraten zu erzielen, könnten Daten per Default gespendet werden, sodass sich Individuen aktiv gegen die Spende entscheiden müssten. Dies scheint besonders vielversprechend, weil Defaults erfahrungsgemäß die effektivste Form des Nudgings darstellen [5].

Nudging soll stets zur Förderung von Verhaltensänderungen eingesetzt werden, die zu einer Steigerung des Allgemeinwohls führen [5]. Bei der Preisgabe von persönlichen Daten zu Forschungszwecken handelt es sich aber um eine komplexe und individuelle Entscheidung. Daher wäre eine Datenspende by Default ethisch kritisch zu betrachten [6].

Anstatt die Entscheidung über Datenspenden durch eine Vorauswahl zu beeinflussen, kann durch die Gestaltung der Entscheidungssituation als aktiver Prozess die Bedeutsamkeit der Entscheidungsoptionen und ihrer jeweiligen Konsequenzen bewusst gemacht werden. Mit einem verantwortungsbewussten Nudge-Design kann Betroffenen ermöglicht werden, informierte Entscheidungen über ihre Datenweitergabe zu treffen [7]. In diesem Design hat ein Interface zur Anpassung von Datenschutzeinstellungen erfolgreich Reflexionen anregen können, wodurch die getroffenen Einstellungen besser mit den individuellen datenschutzbezogenen Werten der Betroffenen in Einklang stehen.

In Kontexten, in denen ein verantwortungsbewusstes Design eine informierte Entscheidung ermöglicht, ist auch die Art und Weise relevant, wie Informationen und Aufrufe zur Datenspende präsentiert werden. Dazu gibt es erste Forschungsergebnisse [4], [8], [9]. Personalisierte Ansätze mit maßgeschneiderten Botschaften erscheinen vielversprechend, da sehr unterschiedliche Motivationen und Werte Einfluss auf die Bereitschaft zur Datenspende haben können [10], [11].

Spendende können altruistisch zu einer Spende motiviert sein, aber dadurch auch Vorteile davon haben [10], zum Beispiel durch die Gewinnung von Erkenntnissen aus den gespendeten Daten oder durch Fortschritte in der medizinischen Forschung. Diese persönlichen Motivationen müssen gegenüber Privatsphärebedenken abgewogen werden.

Neben Defaults, einer Erhöhung der Salienz und dem Message Framing gibt es noch viele weitere Nudges, deren Wirkung auf die Bereitschaft zu Datenspenden aktuell noch nicht umfassend erforscht sind. Das bidt-Projekt DataDonations4SustainableChange ist beispielhaft für ein Forschungsvorhaben mit einem derartigen Schwerpunkt.

Vergleichbarkeit mit analogen Phänomenen

Ein bekanntes Beispiel für die Wirkung von Nudges auf das Spendeverhalten ist die Ungleichheit von Organspenderaten zwischen Ländern [12]. In Ländern, in denen Bürgerinnen und Bürger standardmäßig für die Organspende im Todesfall registriert sind und sich aktiv gegen die Organspende entscheiden müssen, ist der Anteil der Organspendenden höher als in Ländern, in denen Menschen sich aktiv für die Organspende entscheiden müssen [5], [12]. Eine Erklärung ist, dass Menschen bei derartigen Defaults dazu neigen, den Status quo gegenüber einer Veränderung zu bevorzugen und sich daher oft für die vorausgewählte Option entscheiden [13]. Dieses Phänomen gilt im analogen wie im digitalen Raum gleichermaßen. Für die Spende von Daten gelten zusätzlich die Prinzipien der Multiplizität [14] und Nichtrivalität [15]. Das bedeutet, dass eine verlustfreie Vervielfältigung möglich ist – die Daten also an mehreren Orten gleichzeitig existieren und gemeinsam genutzt werden können, ohne dass sie verbraucht werden. Dies ermöglicht z. B. potenziellen Spendenden, ihre Daten an mehrere Organisationen gleichzeitig zu spenden, ohne dass ihnen dadurch ein Nachteil entsteht.

Bei Datenspenden sind nicht nur altruistische, sondern auch eigennützige Motivationen denkbar [10]. Genauso können zum Beispiel Blutspendende indirekt vom System der Spende profitieren, sollten sie jemals selbst den Bedarf einer Bluttransfusion haben. In beiden Fällen kann eine persönliche Relevanz des Verwendungszwecks zu einer erhöhten Spendebereitschaft führen [16], [17].

Trotz ähnlicher Prozesse in der Entscheidung für oder gegen eine Spende müssen bei physischen Gütern andere Aspekte abgewogen werden als bei der Spende von Daten. Privatsphärebedenken sowie die Immaterialität von Daten sind Aspekte, die spezifisch für die Spende digitaler Güter gelten und daher Nudges gegebenenfalls mit anderen Dynamiken interagieren. Hierzu bedarf es noch weiterer Forschung.

Gesellschaftliche Relevanz

Daten können für ein breites Spektrum an Zielen im öffentlichen Interesse genutzt werden, um wissenschaftlichen Fortschritt zu erreichen oder um effektive Interventionen zur Verbesserung des Allgemeinwohls zu gestalten. Besonders in Anwendungskontexten mit schwieriger Datenverfügbarkeit stellen Datenspenden einen vielversprechenden Ansatz dar, um gesellschaftliche Herausforderungen wie medizinische Forschung [1], [18], [19], [20], eine Verbesserung der Gesundheitsversorgung [16], [17], [21], Souveränität gegenüber Plattformalgorithmen [22] oder die Reduzierung von Lebensmittelverschwendung [23] anzugehen.

Quellen

  1. Bietz, M./Patrick, K./Bloss, C. (2019). Data Donation as a Model for Citizen Science Health Research. In: Citizen Science: Theory and Practice, 4(1), 1–11. DOI: 10.5334/cstp.178.
  2. Susha, I./Grönlund, A./Van Tulder, R. (2019). Data driven social partnerships: Exploring an emergent trend in search of research challenges and questions. In: Government Information Quarterly, 36(1), 112–128. DOI: 10.1016/j.giq.2018.11.002.
  3. Pilz, S. et al. (2022). BetterPlanet: Sustainability Feedback from Digital Receipts, Bd. 13634 LNCS. Springer Nature Switzerland. DOI: 10.1007/978-3-031-20436-4_10.
  4. Pilgrim, K./Bohnet-Joschko, S. (2022). Effectiveness of Digital Forced-Choice Nudges for Voluntary Data Donation by Health Self-trackers in Germany: Web-Based Experiment. In: Journal of Medical Internet Research 24(2), e31363. DOI: 10.2196/31363.
  5. Thaler, R.H./Sunstein, C.R. (2008) Nudge: Improving decisions about health, wealth, and happiness. New Haven (Conn.)
  6. Hansen, P.G./Jespersen, A.M. (2013). Nudge and the Manipulation of Choice: A Framework for the Responsible Use of the Nudge Approach to Behaviour Change in Public Policy. In: Eur. Journ. of risk Regul. 4(1), 3–28. DOI: 10.1017/S1867299X00002762.
  7. Leimstädtner, D./Sörries, P./Müller-Birn, C. (2023). Investigating Responsible Nudge Design for Informed Decision-Making Enabling Transparent and Reflective Decision-Making. In: Mensch und Computer 2023, Rapperswil Switzerland: ACM, 220–236, DOI: 10.1145/3603555.3603567.
  8. Sakshaug, J.W. et al. (2019). The Effect of Framing and Placement on Linkage Consent. In: Public Opinion Quarterly 83(S1), 289–308. DOI: 10.1093/poq/nfz018.
  9. Ghaffar, M./Widjaja, T. (2023). Framing as an App-Design Measure to Nudge Users Toward Infection Disclosure in Contact-Tracing Applications. Proceedings of the 31st European Conference on Information Systems (ECIS 2023), Kristiansand/Norway.
  10. Skatova, A./Goulding, J. (2019). Psychology of personal data donation. In: PLOS ONE 14(11) 1–20. DOI: 10.1371/journal.pone.0224240.
  11. Leimstädtner, D./Sörries/P./Müller-Birn, C. (2022). Unfolding Values through Systematic Guidance: Conducting a Value-Centered Participatory Workshop for a Patient-Oriented Data Donation. In: Mensch und Computer 2022, Darmstadt/Germany: ACM, 477–482. DOI: 10.1145/3543758.3547560.
  12. Johnson, E.J./Goldstein, D. (2003). Do Defaults Save Lives?. In: Science 302(5649), 1338–1339. DOI: 10.1126/science.1091721.
  13. Kahneman, D./Knetsch, J.L./Thaler, R.H. (1991). Anomalies: The Endowment Effect, Loss Aversion, and Status Quo Bias. In: Journal of Economic Perspectives, 5(1), 193–206. DOI: 10.1257/jep.5.1.193.
  14. Prainsack, B. (2019). Data Donation: How to Resist the iLeviathan. In: Krutzinna, J./Floridi, L. (Hrsg). The Ethics of Medical Data Donation. Philosophical Studies Series, Bd. 137, 9–22. DOI: 10.1007/978-3-030-04363-6.
  15. Perloff, J.M. (2018). Microeconomics, 8th edition. The Pearson series in economics, New York/NY.
  16. Kulzer, B./Heinemann, L./Roos, T. (2022). Patients’ Experience of New Technologies and Digitalization in Diabetes Care in Germany. In: J Diabetes Sci Technol. 16(6), 1521–1531. DOI: 10.1177/19322968211041377.
  17. Sleigh, J. (2018). Experiences of Donating Personal Data to Mental Health Research: An Explorative Anthropological Study. In: Biomed Inform Insights 10, 117822261878513. DOI: 10.1177/1178222618785131.
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  22. Kahlert, P. (2022). YouTubes Wahl - Zwischenbericht im Projekt DataSkop., https://dataskop.net/youtubes-wahl/ [27.02.2024]
  23. Merian, S. et al. (2022) Buy Three to Waste One? How Real-World Purchase Data Predict Groups of Food Wasters. In: Sustainability 14(16), 10183. DOI: 10.3390/su141610183.