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Kommunikationswissenschaft

Der Einfluss von Influencerinnen und Influencern auf die Politik

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Social-Media-Influencerinnen und -influencer sind längst nicht mehr nur in der Werbung tätig und promoten Produkte. Eine immer größere Anzahl von Influencerinnen und Influencern äußert sich zu gesellschaftlich und politisch relevanten Themen, und ihre Stimme hat Gewicht in der öffentlichen Kommunikation. Sie sind Grenzgängerinnen/Grenzgänger, die geschickt an den Übergängen politischer, journalistischer und kommerzieller Kommunikationskontexte agieren und zwischen informations- und unterhaltungsorientierten Inhalten sowie zwischen den Sphären der privaten und öffentlichen Kommunikation wechseln. Diese Influencerinnen und Influencer werden im Gegensatz zu kommerziellen Influencerinnen und Influencern auch politische Onlineinfluencerinnen/-influencer[11] oder politische Social-Media-Influencerinnen/-influencer genannt[2]. Mit ihrem Mix aus Politik, Alltag und Produktempfehlungen erreichen diese neuen Medienakteure vor allem bei jüngeren Bevölkerungsgruppen eine hohe Beachtung[3]. Wegen ihrer enormen Reichweiten in den Social-Media-Kanälen und ihrer Kommunikation auf Augenhöhe wird ihnen mitunter die Fähigkeit zugesprochen, Menschen für Politik zu interessieren, die ansonsten kaum politische Nachrichten konsumieren[7]. Politische Themen und Informationen, so die Annahme, finden über politisch agierende Influencerinnen und Influencer auf digitalem Weg quasi en passant den Weg in die Medienrepertoires und Alltagsroutinen der Mediennutzung von Menschen, die als unterversorgt mit politischen Nachrichten gelten[6]. Politische Influencerinnen und Influencer können also aufgrund ihrer potenziellen Brückenfunktion zwischen politischen Inhalten und Menschen, die eigentlich nicht an Politik interessiert sind, einen positiven Einfluss auf politische Partizipation sowie politische Willensbildungs- und Entscheidungsfindungsprozesse haben.

Allerdings stehen solchen potenziell positiven Einflüssen auch potenziell negative Einflüsse gegenüber. Die Bedenken beziehen sich zum Beispiel darauf, dass Inhalte nicht nach professionellen journalistischen Standards hergestellt werden[14]. Die Trennung von Meinung und Bericht, das Vier-Augen-Prinzip oder journalistische Sorgfalt sind journalistische Qualitätskriterien, denen sich Influencerinnen und Influencer nicht verpflichtet fühlen müssen. Ihre Kommunikation ist im Gegenteil häufig meinungsstark, alltagsnah und emotional[12]. Auch verdeckte Meinungsmache oder das bewusste Verbreiten von Fehlinformationen aus politischen oder kommerziellen Motiven durch politische Influencerinnen und Influencer wird als potenzielle Gefahr diskutiert.

Momentan kann noch nicht abschließend eingeschätzt werden, ob der Einfluss von Influencerinnen und Influencern auf Politik und Gesellschaft eher positiv oder eher negativ ist. Das liegt erstens daran, dass politische Influencerinnen bzw. Influencer ein relativ neues Phänomen sind. Deshalb hat sich für sie noch keine feste Rolle in der öffentlichen Kommunikation herausgebildet und es liegen erst vereinzelte Studien zu ihrem Selbstverständnis, zu ihren Kommunikationsinhalten oder ihren Nutzerinnen und Nutzern vor (z. B. [9], [12], [13], [14]). Von einem einheitlichen Forschungsstand kann deshalb noch nicht die Rede sein. Zweitens ist die Landschaft der politischen Influencerinnen und Influencer sehr vielfältig, sodass Befunde für bestimmte Typen von Influencerinnen/Influencern sich nicht auf andere Typen übertragen lassen.

Vergleichbarkeit mit analogen Phänomenen

Grundsätzlich sind politische Influencerinnen und Influencer und ihr Einfluss auf die Politik ein digitales Phänomen, das erst möglich wurde, als sich durch die soziotechnischen Ökosysteme der digitalen Medien und Plattformen neue Kommunikationsrollen und neue Medienberufe entwickelt haben. Die digitalen Medien haben völlig neue Arbeits- und Tätigkeitsfelder hervorgebracht und eine Explosion von Vielfalt auf der Anbieterseite öffentlicher Kommunikation bedingt [1]. Das Besondere an neuen digitalen Kommunikationsrollen wie politischen Influencerinnen und Influencern ist, dass der Übergang zwischen privat-persönlicher Kommunikation und öffentlich-professioneller Kommunikation verschwimmt. Diese Unklarheit darüber, ob es sich bei den Meinungsbeiträgen der Influencerinnen und Influencer um Journalismus oder um private Meinungsäußerung handelt, trägt zu der oben beschriebenen Sorge bei, dass Influencerinnen und Influencer negativen Einfluss auf die Prozesse politischer Meinungsbildung haben können. Die Mehrdeutigkeit oder Hybridität von Kommunikationsrollen unterscheidet die digitale politische Kommunikation von der analogen politischen Kommunikation.

Der Erfolg von politischen Influencerinnen und Influencern und ihr Einfluss auf die Politik kann jedoch zu einem gewissen Grad durch kommunikationswissenschaftliche Konzepte erklärt werden, die entwickelt wurden, um nicht digitale Phänomene zu erklären. Dazu gehören das Konzept des Meinungsführers und das Konzept der parasozialen Interaktion. Das Konzept des Meinungsführers wurde bereits 1944 vom Soziologen Paul F. Lazarsfeld entwickelt, und unter Meinungsführern werden Personen verstanden, die von ihrem Umfeld als kompetente, gut informierte und glaubwürdige Ratgeberinnen und Ratgeber gelten und dadurch andere Menschen in ihren Meinungen beeinflussen. Mit parasozialer Interaktion ist das Phänomen gemeint, dass Medienrezipierende mit Medienpersonen in eine imaginäre und einseitige Als-ob-Interaktion eintreten. Wenn sich die Bindung der Mediennutzenden an die Medienperson durch beständigen Kontakt mit der Medienperson verfestigt, wird von einer parasozialen Beziehung gesprochen. Aufgrund der besonderen Beziehung vertrauen Mediennutzende den parasozialen Beziehungspartnern, und da sich politische Influencerinnen und Influencer zu politischen Themen äußern, werden sie auch als parasoziale Meinungsführer bezeichnet[8], die in der Lage sind, das politische Wissen, die Einstellungen und die Verhaltensweisen ihres Publikums in besonderem Maße zu beeinflussen[5],[11].

Gesellschaftliche Relevanz

Momentan ist der Einfluss von Influencerinnen und Influencern auf Gesellschaft und Politik noch eher als niedrig- bis mittelschwellig einzuschätzen. Momentan haben die klassischen publizistischen Angebote für die Mehrheit der Bevölkerung eine höhere Relevanz, wenn es um politische Information und politische Meinungsbildung geht. Allerdings ist zu erwarten, dass der Einfluss von Influencerinnen und Influencern in der politisch-medialen Öffentlichkeit steigt. In den Medienrepertoires von jungen Menschen sind Influencerinnen und Influencer enorm wichtig und es ist nicht zu erwarten, dass diese Gruppe ihre Mediengewohnheiten mit zunehmendem Alter grundlegend ändert. Klassische Medien wie Presse und Rundfunk haben hingegen mit sinkenden Auflagenzahlen, sinkenden Quoten und sinkenden Werbeeinnahmen zu kämpfen (siehe z. B. [10]), wohingegen die Durchdringung aller gesellschaftlichen Teilbereiche mit digitalen Medien weiter fortschreitet.

Quellen

  1. Altmeppen, K.‑D./Quandt, T. (2002). Wer informiert uns, wer unterhält uns? Die Organisation öffentlicher Kommunikation und die Folgen für Kommunikations- und Medienberufe. In: Medien & Kommunikationswissenschaft 50 (1), 45–62.
  2. Bause, H. (2021). Politische Social-Media-Influencerinnen und In als Meinungsführer? In: Publizistik 66 (2), 295–316. https://doi.org/10.1007/s11616-021-00666-z [13.09.2024].
  3. Bitkom (2022). Die Hälfte folgt Influencern und Influencern in sozialen Medien (online). https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Haelfte-folgt-Influencern [13.09.2024].
  4. Hans-Bredow-Institut (2024). Bredowcast 81. Mit Influencer:innen Nachrichtenmuffel erreichen? (online). https://podcast.leibniz-hbi.de/2023/brc081-mit-influencerinnen-nachrichtenmuffel-erreichen/ [13.09.2024].
  5. Duckwitz, A. (2019). Influencer als digitale Meinungsführer. Wie Influencer in sozialen Medien den politischen Diskurs beeinflussen – und welche Folgen das für die demokratische Öffentlichkeit hat. Friedrich-Ebert-Stiftung. https://library.fes.de/pdf-files/akademie/15736-20200702.pdf
  6. Eisenegger, M./Schneider, J./Schwaiger, L. (2020). „News-Deprivation“ als Herausforderung für moderne digitale Gesellschaften. ORF, Studie: Informationsdeprivation & News-Avoiding.
  7. HBI (2024).
  8. Leißner, L. et al. (2014). Parasocial opinion leadership. In: Publizistik 59, 247–267.
  9. Lichtenstein, D./Herbers, M. R./Bause, H. (2021). Journalistic YouTubers and Their Role Orientations, Strategies, and Professionalization Tendencies. In: Journalism Studies 22 (9), 1103–1122.
  10. Lobigs, F. (2018). Wirtschaftliche Probleme des Journalismus im Internet: Verdrängungsängste und fehlende Erlösquellen. In: Neuberger, C./Nuernbergk, C. (Hg.): Journalismus im Internet: Profession – Partizipation – Technisierung.Wiesbaden, 295–334.
  11. Magno, F. (2017). The influence of cultural blogs on their readers’ cultural product choices. In: International Journal of Information Management 37 (3), 142–149.
  12. Nitschke, P./Schug, M. (2024 im Erscheinen). Politische Online-Influencer als neue Akteure in der öffentlichen Kommunikation. In: Nuernbergk, C. et al. (Hg.). Politische Kommunikation und demokratische Öffentlichkeit. Reihe Politischer Journalismus: Konstellationen – Muster – Dynamiken.
  13. Sehl, A./Schützeneder, J. (2023). Political Knowledge to Go: An Analysis of Selected Political Influencer:innens and Their Formats in the Context of the 2021 German Federal Election. Social Media + Society, 9 (2). https://doi.org/10.1177/20563051231177916 [13.09.2024].
  14. Wunderlich, L./Hölig, S. (2022). Social Media Content Creators aus Sicht ihrer jungen Follower: Eine qualitative Studie im Rahmen des Projekts #UseTheNews. (Arbeitspapiere des Hans-Bredow-Instituts, 64). Hamburg.https://doi.org/10.21241/ssoar.81872 [13.09.2024].