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Dark Patterns: Manipulatives Webdesign und dessen Auswirkungen auf das Nutzungsverhalten

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Beim Scrollen auf Instagram, beim Klicken auf ein Cookie-Banner oder der Buchung eines Hotels – an all diesen Stellen finden sich Dark Patterns. Das sind digitale Designelemente, durch die das Verhalten der Nutzenden im Interesse von Unternehmen beeinflusst werden soll. Häufig treten Dark Patterns auf Websites auf mit dem Ziel, Geld, Daten oder die Aufmerksamkeit der Nutzenden zu bekommen. Die Ausgestaltung der einzelnen Muster ist dabei sehr verschieden: Von der unterschiedlichen farblichen Gestaltung der Auswahloptionen bei Cookie-Banners über die vermeintliche Verknappung (z. B. bei der Hotelbuchung „Nur noch viermal verfügbar!“) bis zur Beeinflussung durch Sprache („Sicher, dass Sie auf unser einmaliges Angebot nur für Sie verzichten wollen?“) oder Designs, die uns in sozialen Netzwerken immer weiter scrollen lassen (sog. Doomscrolling). Allen Dark Patterns gemein ist das digitale Geschäftsmodell: Die scheinbar kostenfreie oder -günstige Nutzung von Diensten wie Onlinezeitungen, YouTube oder Shopping-Websites wird nicht direkt mit Geld, sondern mit Daten oder Aufmerksamkeit bezahlt. Auch die Verzerrung von finanziellen Angeboten (wie z. B. die künstliche Verknappung: „Nur noch vier!“ bei der Hotelbuchung) ist eine Geschäftspraxis von Dark Patterns.

Dark Patterns setzen dabei an unterschiedlichen Stellen in einem Entscheidungsprozess an. Grundlegend besteht jede Entscheidung zunächst aus zwei Optionen, zum Beispiel alle Cookies zu akzeptieren oder alle Cookies abzulehnen. Jede dieser Entscheidungsoptionen hat einen individuellen Wert, aus dem heraus Personen festlegen, welche Option sie präferieren. Diese Präferenz kann von der eigenen Motivation (z. B. die eigenen Daten zu schützen), den zur Verfügung stehenden Informationen oder auch von bestehendem Zeitdruck abhängig sein. Der Wert der einzelnen Entscheidungsoptionen kann verändert werden: Optionen können auf- oder abgewertet werden. Genau an dieser Stelle setzen Dark Patterns an, wenngleich sie die Entscheidungsoptionen unterschiedlich beeinflussen: Manche Dark Patterns steigern den Wert einer Option, beispielsweise durch eine auffällige visuelle Gestaltung oder das Erzeugen der Illusion, viele andere Menschen fänden diese Option auch super. Andere Patterns hingegen senken den Wert von Optionen, beispielsweise indem emotional gefärbte Sprache eingesetzt wird, wodurch Nutzende von der Kündigung eines Abonnements abgehalten werden sollen. Somit werden Nutzende in eine Entscheidungsrichtung gedrängt. Dark Patterns können als eine Unterform des Nudgings verstanden werden. Nudging beschreibt allgemein die Veränderung einer Entscheidungssituation zur Verstärkung oder Initialisierung von Verhalten (z. B. die Kennzeichnung von Lebensmitteln mit dem Nutri-Score zur Förderung gesunder Kaufentscheidungen) und kann damit auch der eigentlichen Intention (z. B. sich gesund zu ernähren) der Konsumentin/des Konsumenten entsprechen. Als „Dark“ werden Designelemente hingegen dann bezeichnet, wenn sie primär auf die Intention von Unternehmen ausgerichtet sind. Da die Intention von Menschen jedoch schwer vorhersehbar ist und individuell sehr unterschiedlich sein kann, lässt sich die Abgrenzung zwischen Nudging im Interesse von Nutzenden und Dark Patterns nicht immer eindeutig voneinander trennen.

Hilfreich kann es deshalb sein, den Kontext von digitalen Entscheidungen zu betrachten. Beim Besuch einer Website müssen in schneller Abfolge viele Entscheidungen getroffen werden: Wo schaue ich hin? Welchen Informationen vertraue ich? Welches Produkt möchte ich kaufen? Bei dieser Vielzahl von Entscheidungen können nicht alle möglichen Optionen sorgfältig abgewogen werden. In vielen Fällen werden Entscheidungen intuitiv getroffen. Dabei kommen bestimmte kognitive Vereinfachungen (Biases) zum Tragen, zum Beispiel die Orientierung an bereits vorgegebenen Werten (Default-Bias). Damit stellen diese Vereinfachungen eine Art Interpretationshilfe dar und ermöglichen es, schnelle Entscheidungen zu treffen. Das ist häufig hilfreich und schützt vor kognitiver Überlastung, gleichzeitig kann es aber auch zu Fehlinterpretationen kommen. Dark Patterns nutzen diesen Mechanismus aus und zielen darauf ab, eine schnelle Entscheidung basierend auf Fehlannahmen zu treffen. Beispielsweise erzeugt die Mitteilung, dass nur noch vier Produkte vorhanden sind, den Eindruck, ein Angebot sei sehr knapp und animiert zu einer schnellen Reaktion, die möglicherweise nicht der eigentlichen Intention der Nutzenden entspricht.

Im Ergebnis erschweren Dark Patterns, eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen. Neben den dabei möglicherweise entstehenden Kosten in Form von Geld, Daten oder Aufmerksamkeit zeigen Studien auch, dass dies zu negativen Emotionen oder dem Gefühl von Kontrollverlust führen kann. Bemerken Nutzende das Dark Pattern und wollen dem Beeinflussungsversuch entgehen (z. B. entgegen der farblichen Gestaltung eines Cookie-Banners alle Cookies ablehnen), kann dies mit einer erhöhten kognitiven Anstrengung und Zeitverlust einhergehen und mitunter sogar zu einer erhöhten Herzfrequenz führen.

Vergleichbarkeit mit analogen Phänomenen

Geschäftspraktiken zur Beeinflussung des Verhaltens von Nutzerinnen und Nutzern finden sich massenhaft in der analogen Welt. Produkte im Supermarkt sind so sortiert, dass die Aufmerksamkeit zuerst auf die teureren Angebote fällt, in Verkaufsgesprächen wird mit emotional gefärbter Sprache argumentiert, die Wegeführung durch Einkaufszentren erfolgt häufig so, dass sie an möglichst vielen Produkten vorbeiführt und Werbung ist nicht immer direkt als solche zu identifizieren. Die Veränderung des Entscheidungsverhaltens durch Informationsfilterung, Aufmerksamkeitssteuerung, emotionale Beeinflussung oder die Erhöhung der Reizdichte und damit der Komplexität einer Entscheidungssituation existiertalso sowohl analog als auch digital.

Dark Patterns nutzen diese Mechanismen jedoch in anderer Qualität. Zunächst ist die Reizdichte in digitalen Entscheidungssituationen ohnehin häufig höher als in vergleichbaren analogen Settings. Entsprechend ist die Entscheidungssituation komplexer. Digitale Entscheidungen werden intuitiver und schneller getroffen, wodurch auch die Anfälligkeit für eine Beeinflussung durch Dark Patterns höher ist. Zusätzlich lässt sich die Darstellung von Angeboten oder Informationen im digitalen Raum effizienter und zielgerichteter auf Nutzer:innen ausrichten. Insbesondere Websites mit vielen Nutzenden (wie beispielsweise große Social-Media-Websites oder Plattformen wie Google oder Amazon) haben Zugriff auf immense Datenmengen, durch die die Präferenzen und Schwachstellen bestimmter Konsumentengruppen vorhergesagt werden können. Dieses Wissen können Unternehmen nutzen, um Websites so zu gestalten, dass sie auf einzelne Nutzer:innen zugeschnitten sind und Inhalte personalisiert dargestellt werden. Durch das hohe Maß an möglicher Personalisierung im digitalen Raum können individuelle Präferenzen berücksichtigt und Produkte somit besonders effizient platziert werden. Das geht damit weit über den Zuschnitt bestimmter Angebote auf eine Zielgruppe im analogen Raum hinaus. An viele Phänomene der analogen Verhaltensbeeinflussung haben sich die Menschen inzwischen gewöhnt, das täuschende oder manipulative Potenzial erkannt und Strategien im Umgang damit entwickelt. Auf digitaler Ebene ist dieser Prozess noch im Gange. Studien zeigen, dass es teilweise schon Gewöhnungseffekte gibt und Personen nicht mehr auf Dark Patterns hereinfallen und stattdessen, wenn möglich, sogar die entsprechende Website meiden. Es bleibt abzuwarten, in welchem Umfang sich die Menschen an die digitale Beeinflussung gewöhnen. Unter Berücksichtigung der Komplexität digitaler Entscheidungssituationen und der datengetriebenen Personalisierung von Inhalten ist jedoch davon auszugehen, dass Dark Patterns andere Schwachstellen der Entscheidungsbildung nutzen, als dies im analogen Raum überhaupt möglich wäre.

Gesellschaftliche Relevanz

Wer soll die Entscheidungshoheit darüber haben, was wir lesen, kaufen, welche Informationen wir nutzen? Die Frage nach digitaler Entscheidungsfreiheit, nach selbstbestimmten Entscheidungen, wird auch an Dark Patterns verhandelt. Auf Mikroebene mag die mögliche Beeinflussung durch Dark Patterns wenig relevant erscheinen: Ein bisschen länger auf Instagram zu sein oder alle Cookies zu akzeptieren beeinflusst das Leben selten in spürbarem Ausmaß. Nimmt man jedoch die Makroebene in den Blick, bestimmen diese kleinen Entscheidungen über große Prozesse. Gerade in Zeiten der Monopolisierung des Internets durch große Plattformen können diese durch die Gestaltung ihrer Websites das Verhalten sehr vieler Menschen steuern. Geben viele einzelne Nutzer:innen täglich einige persönliche Daten frei oder verbringen jeden Tag durch die Gestaltung einer Website auch nur fünf Minuten länger auf einer Website, ergibt dies in Summe eine beachtliche Menge an „Neuware“. Die Frage, wer die Kontrolle über unsere Ressourcen in Form von Geld, Daten oder Aufmerksamkeit hat, wird damit immer relevanter.