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Nachgefragt: Sind die digitalen Medien zu Recht im Verdacht?

Was das Publikum der bidt-Veranstaltung zur öffentlichen Meinungsbildung bewegte und was Expertinnen und Experten darauf antworten.

„Es ist eine Bürgerpflicht, traditionelle Medien zu verteidigen gegenüber Kritik, die oft von Populisten kommt“, sagte Prof. Ralph Schroeder im Laufe der Podiumsdiskussion.
© bidt / Klaus D. Wolf

Der Titel der bidt-Veranstaltung „Tatort Demokratie: Digitale Medien im Verdacht“ am 5. Februar 2020 griff ein verbreitetes Unbehagen über die Rolle von Twitter, Facebook & Co. für die öffentliche Kommunikation auf. In einer Saalumfrage an dem Abend über das Onlinetool Mentimeter zeigten sich 60 Prozent der Gäste, die abstimmten, besorgt darüber, dass die digitalen Medien die Demokratie gefährden.

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Im Laufe der an den Vortrag von Prof. Andreas Jungherr und Prof. Ralph Schroeder anschließenden Podiumsdiskussion wurde vom Publikum nach der Studienbasis der getroffenen Aussagen gefragt. Das bidt hat bei den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen nachgehakt und zudem um Antworten auf weitere Fragen gebeten, die viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Veranstaltung beschäftigten.

Was sagen die empirischen Befunde über die Auswirkung der digitalen Medien auf die öffentliche Meinungsbildung?

Prof. Andreas Jungherr

Grundsätzlich ist die Literatur zur Rolle von digitalen Medien in der Politik von Widersprüchen geprägt.

Prof. Dr. Andreas Jungherr

… schreibt Andreas Jungherr, der an der Universität Konstanz Juniorprofessor für Social Science Data Collection and Analysis ist, in einem Beitrag, den er im Nachgang der bidt-Veranstaltung als Antwort auf die Fragen des Publikums verfasst hat. Darin mahnt der Politikwissenschaftler zu einem „vorsichtigen und reflektierten Umgang mit der Literatur“.

„Ist es sinnvoll, eine Plattform zu haben, die uns dazu bringt, möglichst viel zu liken und zu kommentieren? Wäre es nicht besser, eine Plattform zu haben, die dazu beiträgt, sich möglichst lange mit etwas auseinanderzusetzen?“, fragte Prof. Simon Hegelich bei der Podiumsdiskussion zur Rolle der digitalen Medien für die öffentliche Meinungsbildung. 

Simon Hegelich, Professor für Political Data Science an der Hochschule für Politik der TU München, verwies bereits in der Podiumsdiskussion darauf, dass es zu den Effekten der digitalen Medien keinen klaren empirischen Befund gibt, und nannte bei der Veranstaltung folgende Gründe dafür (das Zitat gibt Simon Hegelichs Wortbeitrag wider):

Es gibt einen Grund, warum diese Befunde widersprüchlich sind. Das liegt einmal daran, dass wir keine Theorie der Digitalisierung haben. Deswegen wenden wir andere Theorien an, die vielleicht gar nicht passen.

Prof. Dr. Simon Hegelich Zum Profil

„Es liegt auch daran, dass wir uns zum Beispiel in einer Studie die Nachrichtenverbreitung auf Twitter in den USA anschauen. Das heißt aber nicht, dass das übertragbar ist auf TikTok. Wir haben es mit ganz unterschiedlichen Phänomenen zu tun. Deshalb finden wir auch ganz unterschiedliche Befunde.

Ein weiterer Grund, warum die Befunde unterschiedlich sind, liegt darin, dass wir die Daten nicht haben und uns das nicht vernünftig ansehen können, weil die Daten bei den Plattformen liegen, und die lassen da sonst keinen ran.“

Studie zu hyperaktiven Nutzern auf Facebook

Zudem verwies der Politikwissenschaftler auf von ihm veröffentlichte Studie, in der nachgewiesen wird, dass hyperaktive Nutzer den politischen Diskurs auf Facebook beeinflussen.

Worauf sollten wir achten, wenn wir uns in den digitalen Medien informieren?

Sich lieber selbst zu informieren statt auf “news finds me” zu setzen, empfahl Dr. Anna Sophie Kümpel im Laufe der Podiumsdiskussion.

„Insbesondere soziale Medien machen es gefühlt leichter denn je, ganz nebenbei informiert zu bleiben. Wenn etwa Freunde einen Nachrichtenbeitrag teilen oder man Fan der Tagesschau-Seite ist, kann das zu dem Eindruck führen, dass man auch ohne aktives Zutun über alles Wichtige im Bilde ist.“

Im schlimmsten Fall führt diese Wissensillusion zu einer Vernachlässigung nicht personalisierter Nachrichtenangebote, weil man ja vermeintlich auch auf Facebook, Instagram oder Twitter alles erfährt.

Dr. Anna Sophie Kümpel, Akademische Rätin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München

„Der wichtigste Rat an Nutzerinnen und Nutzer ist also, dass man sich trotz der wahrgenommenen Bequemlichkeit sozialer Medien auch gezielt mit integrierten Nachrichtenangeboten auseinandersetzen sollte, die einen ganzheitlichen Überblick über öffentlich relevante Themen bieten.

Das ‚Snacken‘ von Nachrichten auf sozialen Medien kann zwar als Ergänzung oder erster Warnmelder funktionieren, sollte aber nicht der dominante Rezeptionsmodus sein.“

Welche Rolle spielen die digitalen Medien für Strömungen wie Fridays for Future? Und wie ließe sich ihr Impuls in die Politik bringen?

Prof. Hannah Schmid-Petri moderierte die Podiumsdiskussion.

Die neue Logik von Protestbewegungen ermöglicht eine sehr einfache und individualisierte Form der politischen Beteiligung.

Prof. Dr. Hannah Schmid-Petri Zum Profil

„Bewegungen wie Fridays for Future profitieren sehr von den Möglichkeiten der Onlinekommunikation. Es ist sehr einfach, darüber untereinander in Kontakt zu treten, sich auszutauschen, sich über Ziele der Bewegung zu informieren oder auch für bestimmte Veranstaltungen oder Aktionen zu mobilisieren.

Für Unterstützer bieten soziale Medien darüber hinaus eine sehr leicht zugängliche Form sich zu beteiligen. Man muss in keine Organisation eintreten, braucht keine formale Mitgliedschaft in einem Verein oder Ähnliches, sondern es reicht Teil einer WhatsApp- oder Facebook-Gruppe zu sein oder anhand von Tweets Unterstützung zu signalisieren. Diese neue Logik von Protestbewegungen ermöglicht eine sehr einfache und individualisierte Form der politischen Beteiligung.

Dafür, dass eine soziale Bewegung am Ende (politischen) Erfolg hat, müssen mehrere Faktoren zusammenkommen: Sie muss in einer Gesellschaft auf fruchtbaren Boden fallen, sie braucht Unterstützer in Politik und Verwaltung, sie muss in den Medien Sichtbarkeit erlangen und braucht nicht zuletzt einen langen Atem.“