Definition und Abgrenzung
Digitale Nachhaltigkeit bedeutet, Artefakte der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) für Ziele einzusetzen, die das langfristige Überleben der Menschheit sichern [9] [13], beispielsweise, indem betriebliche Umweltinformationssysteme für die Erhebung und Auswertung von Verbrauchs- und Emissionsdaten genutzt werden, um Klimaschutzmaßnahmen abzuleiten [15].
Digital bezieht sich auf den Einsatz von IKT wie interorganisationalen Onlineplattformen [16], intraorganisationalen Onlineforen [26] und mobilen Applikationen für die Endkundschaft [27]. Nachhaltigkeit bedeutet, enkelfähig zu leben und zu wirtschaften, indem ökonomische, ökologische und soziale Ziele in Einklang gebracht werden [8]. Um eine digitale Nachhaltigkeit zu erreichen, muss berücksichtigt werden, dass digitale IKT sowohl Lösungspotenziale als auch eigene direkte und indirekte negative Auswirkungen auf Menschen und Umwelt haben kann [26].
Digitale Nachhaltigkeit ist verwandt mit Begriffen wie Green IT und Green IS. Green IT bezeichnet nach Murugesan (2008) die ökologisch nachhaltige Nutzung von IKT, z. B. bezogen auf den Stromverbrauch [24]. Green IS bezieht sich nach vom Brocke et al. [29] darauf, IKT zum Zweck der ökologischen Optimierung einzusetzen, beispielsweise, indem durch die Verwendung von Induktionsladefeldern und Informationssystemen das Laden von Elektrofahrzeugen verbessert wird [10].
Der neuere Begriff der digitalen Nachhaltigkeit verdeutlicht, dass Nachhaltigkeit nicht nur ökologische, sondern auch soziale Aspekte umfasst. Dies ist insbesondere wichtig vor dem Hintergrund, dass eine ökologische Nachhaltigkeit nur durch die Berücksichtigung sozialer Aspekte erreicht werden kann [20]. Zudem soll der Begriff digitale Nachhaltigkeit eine Sensibilisierung für das Thema über den IS-Fachbereich hinaus ermöglichen.
Geschichte
Schon in den 1990er-Jahren beschäftigten sich deutsche Forschende der Wirtschaftsinformatik mit Themen, die heute der digitalen Nachhaltigkeit zugeordnet werden können [23]. Zu diesem Zeitpunkt standen Überlegungen im Vordergrund, wie Informationssysteme gestaltet werden können, um Nachhaltigkeitsdaten effizient, einfach und sicher zu erheben und auszuwerten [11]. Der Begriff der betrieblichen Umweltinformationssysteme (BUIS) wird mit Environmental Management Information Systemsins Englische übersetzt und dieser Forschungsstrang ist heute international in der IS-Literatur zur digitalen Nachhaltigkeit von Relevanz [15].
Für die Etablierung der digitalen Nachhaltigkeit in der internationalen IS-Forschungsgemeinschaft waren die Beiträge von Melville (2010) [17] in der führenden IS-Zeitschrift „MIS Quarterly“ sowie von Dao et al. (2015) [5] im „Journal of Strategic Information Systems“ von zentraler Bedeutung. Seitdem wurden empirische Studien zum Thema in verschiedenen Kontexten wie Unternehmen [21], [25], [36], Universitäten [6], [26], dem öffentlichen Sektor [3], in Dörfern [34] und ländlichen Gegenden durchgeführt [28]. Insgesamt basieren diese Studien auf einem technopositiven Paradigma, das IKT als Mittel zum Zweck darstellt, um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, beispielsweise im Rahmen einer IKT-gestützten Kreislaufwirtschaft [35].
Anwendung und Beispiele
Zusammengefasst zeigen die empirischen Studien der internationalen IS-Literatur, dass die Anwendung von digitaler IKT für Nachhaltigkeitsziele auf vier Mechanismen beruht.
- Automatisierung bezieht sich darauf, Prozesse teilweise oder vollständig von digitaler IKT ausführen zu lassen [7], beispielsweise werden so Möglichkeiten der Sharing Economy wie eine IKT-gestützte, effiziente Administration der gemeinsamen Nutzung von Fahrrädern erschlossen [1].
- Unter Virtualisierung wird verstanden, Interaktionen und Kommunikationsmittel durch die Nutzung digitaler IKT vom analogen in den digitalen Raum zu verlagern [12], beispielsweise kann durch mobiles Arbeiten der Individualverkehr reduziert werden [31].
- Mit Sensemaking beschreiben Seidel et al. (2013) das Phänomen, dass Menschen digitale IKT nutzen, um aus Informationen spezifische Schlüsse zu ziehen, beispielsweise in Bezug auf Nachhaltigkeitsinformationen, die ihnen über Onlineforen zugänglich gemacht werden und die sie diskutieren [31], [32].
Nudging bedeutet, Menschen mithilfe von digitaler IKT „anzustubsen“, um als normativ erwünschte betrachtete Handlungsweisen zu forcieren (Wunderlich et al. 2019), beispielsweise in Bezug auf einen sparsamen Wasserverbrauch in Privathaushalten [27].
Chancen und Gefahren
Im Streben nach digitaler Nachhaltigkeit ist es wichtig zu berücksichtigen, dass digitale IKTen selbst sowohl direkte als auch indirekte negative Auswirkungen auf Menschen und Umwelt haben kann. Direkte negative Auswirkungen können z. B. Technostress [19] oder der Abbau von Rohstoffen zur Herstellung von Geräten wie Laptops oder Smartphones sein [2]. Indirekte negative Auswirkungen könnten z. B. die Ausgrenzung von Menschen sein, die digitale IKTen nicht nutzen können oder wollen [4], oder die bislang unzulängliche Reparaturfähigkeit mancher digitaler IKTen, die eine Wegwerfmentalität in der Gesellschaft befeuern [21].
Weiterführende Links und Literatur
- AIS Sig Green (Special Interest Group) in Green IS: Green Information Systems – Sustainably Digital.
- Recker, J. This is Research. Podcast von Prof. Dr. Recker, einem der führenden Wissenschaftler der internationalen IS-Forschung insbesondere auch zum Thema digitale Nachhaltigkeit
- Watson, R./Boudreau, M. C. (2011). Energieinformatik.
- vom Brocke, J. et al. (2013). Green Business Process Management.
- Raworth, K. (2017). Doughnut Economics. Kraemer, A./Edinger-Schons, L. M. (2019). CSR und Social Enterprise.
Quellen
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[3] Corbett, J./Mellouli, S. (2017). Winning the SDG battle in cities: how an integrated information ecosystem can contribute to the achievement of the 2030 sustainable development goals. In: Information Systems Journal, 27 (4), 427–461.
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