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Die neue Digitalstrategie der Bundesregierung: Das Entscheidende fehlt noch

Die Bundesregierung hat in ihrer Kabinettsklausur am 31. August 2022 eine neue Digitalstrategie beschlossen. Sie soll der Digitalpolitik über die Grenzen der Ministerien hinweg einen Rahmen geben und ist bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahr 2025 ausgelegt. Mit der Vorlage ihrer Digitalstrategie knüpft die Ampelkoalition an ähnliche Bemühungen vorangegangener Regierungen an. Auch diese hatten sich um eine ressortübergreifende Abstimmung der Digitalpolitik mittels einer Digitalstrategie bemüht, auch wenn diese teilweise andere Titel trugen, wie z. B. „Digitale Agenda“. Ist eine solche Digitalstrategie für eine Bundesregierung überhaupt sinnvoll?


Man könnte etwa einwenden, dass sich digitale Technologien so schnell ändern, dass eine Planung über drei bis vier Jahre unmöglich ist. Außerdem könnte man ins Feld führen, dass Digitalpolitik weitgehend Fachpolitik ist und daher eine ressort­übergreifende Strategie wenig Sinn ergibt. Beides greift aber zu kurz. Zwar ist es richtig, dass ständig neue digitale Technologien entwickelt werden. Die grundlegenden technologischen Trends sind aber nicht ganz so kurzlebig. Außerdem kommen Technologien keinesfalls aus dem Nichts, durch die Beobachtung, z. B. in der Grundlagenforschung, kann man sie durchaus kommen sehen. Und es ist natürlich richtig, dass digitale Innovationen etwa in der inneren Sicherheit erst mal wenig mit digitalen Innovationen im Gesundheitswesen zu tun haben. Beide können aber z. B. durch Künstliche Intelligenz oder Quantencomputing befördert werden, und schon ist der Zusammenhang klar. Genauso gibt es aber auch Aspekte, die weit über einzelne Anwendungsfelder hinausgehen. Man denke hier nur an das Thema Privacy oder eine digitale Identität der Bürger. Es ist damit klar, dass eine Digitalstrategie ein wichtiges Steuerungsinstrument für eine Regierung sein kann. Für die Formulierung einer Digital­strategie spricht zudem, dass schon allein der Prozess der Strategieentwicklung wertvoll ist, denn im Zuge der Formulierung einer Digitalstrategie werden alle Beteiligten gezwungen, sich substanziell mit dem Thema zu beschäftigen. Im Tagesgeschäft könnte dies sonst schon mal vergessen werden.

Wenden wir uns nun den Inhalten der von der Bundesregierung vorgelegten Digitalstrategie zu. Eine Strategie soll einen Handlungsrahmen vorgeben, sie soll koordinieren und sie soll motivieren. Dies drückt sich in zwei wichtigen Perspektiven aus:

Zum einen ist zu fragen, wie die Strategie entstanden ist, weil dies die Rollenver­teilung in der Digitalpolitik und die Bedeutung des Themas insgesamt zum Ausdruck bringt. Die vorliegende Strategie ist offenkundig bottom-up entstanden. Das federführende Bundesministerium für Digitales und Verkehr hat bei allen anderen Ministerien Themen, Ziele und Maßnahmen eingesammelt und in drei Handlungsfelder zusammengeführt (vernetzte Gesellschaft, innovative Wirtschaft, digitaler Staat). Die Strategie dokumentiert damit das Interesse der einzelnen Ressorts am Thema Digitalisierung. Positiv ist zu vermerken, dass sich alle Ministerien – wenn auch mit deutlichen Unterschieden – mit dem Thema beschäftigen. Darüber hinaus werden drei übergreifende Themen mit einer besonderen Hebelwirkung angedeutet: (1) leistungsfähige Netze und die Verfügbarkeit von Daten, (2) einheitliche technische Normen und Standards und schließlich (3) digitale Identitäten und moderne Register. Leider bleibt es hier bei der Andeutung. Zwar sind die genannten Projekte sinnvoll und zielführend, aber es ist unklar, inwiefern diese Projekte überhaupt kommen. Im Kern liegt das daran, dass es bisher kein zentrales Budget gibt, welches für diese Projekte eingesetzt werden könnte. Damit wird auch deutlich, dass das koordinierende Ministerium kaum Einfluss auf die Projekte der verschiedenen Ressorts nehmen kann. Eine einheitliche Line mit einer klaren Schwerpunktsetzung entsteht so nicht. Damit wird eine zentrale Koordination der Digitalpolitik kaum möglich sein. Manches Bundesland ist da strukturell schon weiter.

Zum anderen ist interessant, welche konkreten Themen und Maßnahmen in der Digitalstrategie angesprochen werden. Im offiziellen Dokument finden sich Kapitel zur Ausgangslage, zu Zielen und zentralen Vorhaben, zu Handlungsfeldern und zum Monitoring. Mit 40 von 52 Seiten hat der Abschnitt zu den Handlungsfeldern das mit Abstand größte Gewicht. Der Abschnitt zur Ausgangslage beschäftigt sich mit dem Stand der Digitalisierung, der europäischen Dimension und dem Querschnittscharakter des Themas. Dies sind alles wichtige Aspekte. Es überrascht aber, dass der Entwicklung digitaler Technologien kein nennenswerter Raum geschenkt wird, obwohl die technische Entwicklung ein zentraler Treiber der Transformation ist. Bei den Zielen finden sich Aussagen zu den gewünschten Entwicklungen in verschiedenen Lebens- und Politikbereichen, von der Ausgestaltung der Arbeit in einer sich digitalisierenden Welt bis hin zur Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes. Damit werden, auch wenn einige Abschnitte etwas unkonkret sind, durchaus Orientierungspunkte in Richtung einer Vision der Bundesregierung gegeben. Visionen sind wichtige Elemente von Strategien, da sie eine Zielrichtung für die Umsetzung vorgeben, ohne den Raum des Möglichen zu stark einzuschränken. Im gleichen Abschnitt findet sich auch der Hinweis auf die oben genannten besonders wichtigen Themen mit Hebelwirkung. Wie bereits erwähnt, bleibt allerdings im Dunkeln, wie mit diesen Themen umgegangen werden soll. Im nächsten Abschnitt zu den Handlungsfeldern werden die Vorhaben der Fachministerien in drei Felder zusammengefasst. Erfreulich ist, dass hier auch einiger­maßen konkrete Ziele genannt werden. Neue Ansätze finden sich allerdings kaum. So findet sich bei dem Thema Datenökonomie z. B. das Thema Gaia-X oder beim Thema E-Government die schon lange geplante Konsolidierung der IT-Systeme. Überraschen kann dies aber nicht, beschreibt diese Strategie doch im Kern vorhandene Vorhaben der Ressorts ohne Mittel für größere neue Projekte.

Interessant ist das abschließende Kapitel zum Monitoring. Hier wird avisiert, dass eine Staatssekretärsrunde unter Leitung des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr die Umsetzung der Vorhaben in den Ressorts überwacht und sich um die Umsetzung der drei oben erwähnten prioritären Themen bemüht. Allerdings ist fraglich, ob dies gelingt und letztendlich überhaupt der politische Wille dafür vorhanden ist, denn alle Erfahrungen zeigen, dass eine Ressortkoordination „unter Gleichen“ in der Regel zu einem Neben- und bisweilen sogar zu einem Gegeneinander der einzelnen Ministerien führt. Eine wirksame Koordinierung bedarf bestimmter Instrumente, insbesondere finanzieller Anreize oder gar eines Weisungsrechts. Weder das eine noch das andere wurde mit der neuen Digitalstrategie geschaffen, das Entscheidende fehlt also noch. Das in der Digitalstrategie an einer Stelle zwar genannte, aber noch nicht konzipierte Digitalbudget ist hierfür ein vielversprechender Ansatz. Ein Digitalbudget kann z. B. dafür genutzt werden, dass einzelne Ressorts für zentrale Digitalprojekte zusätzliche Mittel erhalten und diese somit nicht in Konkurrenz zu ihren bisherigen Aktivitäten stehen und deswegen gar nicht erst in Angriff genommen werden. Außerdem kann ein Digitalbudget dazu beitragen, dass zwischen den Ressorts ein Wettbewerb um neue Ideen und Transparenz in Bezug auf deren Umsetzung entsteht. Das setzt jedoch voraus, dass ein solches Digitalbudget auch zentral gesteuert wird, beispielsweise durch einen im Bundeskanzleramt angesiedelten Chief Digital Officer (CDO). Leider wurde es im Rahmen der neuen Digitalstrategie abermals versäumt, die Governance-Struktur für das Querschnittsthema Digitalisierung entsprechend zu gestalten. Die Schaffung von CDOs in allen Ministerien, die wiederum von einem Bundes-CDO in der Regierungszentrale koordiniert werden, könnte dafür eine sinnvolle Struktur sein, wie wir bereits an anderer Stelle argumentiert haben. Ohne Digitalbudget und ohne wirksame Koordinierung bleibt die Digitalstrategie – trotz guter Ansätze – somit leider nur Stückwerk. Damit bleibt der Bund weiterhin hinter seinen Möglichkeiten zurück.

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