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#climatechange – Beeinflussen Internetmemes die Klimapolitik?

Memes verbreiten sich in den sozialen Medien und prägen die öffentliche Klimadiskussion. Wie genau tun sie das und beeinflussen Memes sogar politische Entscheidungen? Das untersuchen die Kommunikationswissenschaftler Jörg Haßler und Simon Lübke gemeinsam mit Forschenden aus der Informatik und Computerlinguistik.

Beeinflussen Memes die Klimapolitik?
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„How dare you!“ – ein Satz, ein Bild, erzeugt von Greta Thunberg beim UN-Klimagipfel in New York 2019. Dieses Meme ging um die Welt. Es ist gesellschaftskritisch, emotional, zornig. Es macht etwas mit uns. Deswegen verbreitete sich das Meme millionenfach über die sozialen Netzwerke.

Memes sind Bild-, Text-, Video- und Soundkombinationen, die jede und jeder relativ leicht am Computer erstellen kann. Die häufigste Form ist das Imagemakro: ein Bild mit darüber liegendem Text. Seit 2007 gibt es dieses Internetphänomen, mit dem sich das Team des interdisziplinären bidt-Projekts „KLIMA-MEMES“ beschäftigt. Forschende aus Kommunikationswissenschaft, Informatik und Computerlinguistik untersuchen gemeinsam den Einfluss humoristisch intendierter Kommunikation auf politische Entscheidungsfindung im Rahmen des Klimawandels.

Memes sind ideal, um verschiedene Tendenzen in der öffentlichen Kommunikation zu analysieren.

Dr. Simon Lübke Zum Profil

„Wenn wir über Memes sprechen, meinen wir einfache, multimodale, emotionale Inhalte, die online in sozialen Medien wie Facebook oder TikTok geteilt werden“, erklärt Dr. Simon Lübke von der Ludwig-Maximilians-Universität München. „Memes sind kurze, prägnante Aussagen. Deshalb kann man sie beim Scrollen durch eine Social-Media-Plattform sehr schnell verarbeiten.“ Auch wenn grundsätzlich alles zum Internetmeme werden kann, sind die meisten Memes humorvoll oder satirisch. „Dieser Effekt entsteht erst durch die Multimodalität“, sagt Projektleiter Dr. Jörg Haßler, „weil sich zum Beispiel der gewählte Bildausschnitt und der Text auf absurde Weise widersprechen.“ Das vom bidt geförderte Forschungsprojekt untersucht konkret den Einfluss von Klimamemes, also von Inhalten, die sich mit der aktuellen Klima-Diskussion beschäftigen.

Klimamemes in den sozialen Medien

„Bislang fehlt häufig die Verknüpfung des Untersuchungsgegenstands ‚politische Internetmemes’ mit bestehenden Theorien in unserem Fach“, erläutert der Kommunikationswissenschaftler Simon Lübke. Hier ist theoretische Vorarbeit nötig. „Wir wissen außerdem bisher nicht, warum Stakeholder im Klimadiskurs ein bestimmtes Meme überhaupt teilen. Insofern können wir hier eine Forschungslücke schließen.“

Klimamemes beschäftigen sich mit politischen Themen und werden von verschiedenen Akteuren im Netz geteilt. Das klingt offensichtlich, ist es aber nicht. „Die Herausforderung ist, genau die Memes zu identifizieren, die sich auf unsere Fragestellung beziehen“, berichtet Jörg Haßler. Täglich werden Tausende Memes allein im deutschsprachigen Raum erstellt und online auf unterschiedlichen Plattformen verbreitet. Wie findet das Projektteam die passenden Inhalte im Netz? „Dafür haben wir einen akteurs- und hashtag-basierten Ansatz gewählt“, erklärt Simon Lübke. „Zu den für uns relevanten Akteuren zählen natürlich Gruppen wie Fridays for Future oder die Letzte Generation, einzelne Politikerinnen und Politiker, Parteien, NGOs. Klimamemes können aber auch aus ganz anderen Richtungen kommen. Deswegen suchen wir gezielt nach Posts mit Hashtags wie #climatechange, #klimawandel oder #klimaluege.“

Diese Datenbasis analysieren die Forschenden zunächst manuell, um eine Grundlage für die spätere automatische Analyse zu schaffen. Für diese empirische Arbeit bietet sich ein kommendes Großereignis des Klimadiskurses an: die UN-Klimakonferenz im Dezember 2023. „Dann werden wir uns die öffentliche Kommunikation auf Instagram, Facebook, TikTok, X (ehemals Twitter) genau anschauen und mit Unterstützung von geschulten Personen in die Datenbank einpflegen“, so Lübke. „Unserer Ziele ist es, möglichst viel Material auf Basis unserer theoretischen Überlegungen zu finden.“ Später soll diese Datenanalyse automatisiert stattfinden können.

Humor ist, wenn man Memes daraus macht?

Warum sind Memes eigentlich so erfolgreich? Und gibt es bestimmte Merkmale und Eigenschaften, die für eine besonders starke Verbreitung sorgen? „Humor oder bestimmte Humorstile könnten ein Erklärungsfaktor sein“, vermutet Projektleiter Jörg Haßler. Es gibt Studien, die einen Zusammenhang von humorvollen Inhalten und erhöhter Aufmerksamkeit nahelegen. „Im Klimadiskurs kann die Rezeption solcher Inhalte auch zu einem stärkeren Bewusstsein für Klimafragen führen“, ergänzt Simon Lübke, „oder sie bewirken genau das Gegenteil, weil der Gebrauch von Humor als weniger glaubwürdig oder zynisch wahrgenommen wird.“

Humor zu analysieren, ist eine methodische Herausforderung. „Die Forschung zu Humor in der politischen Kommunikation ist sehr differenziert“, so Jörg Haßler. „Es gibt verschiedenste methodische Zugänge zur Wirkung von Humor – und auch zur Medienwirkung allgemein. Wir überprüfen deshalb verschiedene Annahmen und bereiten die Literatur zu Memes aus dem sozialwissenschaftlichen Bereich auf.“

Klar ist: Es braucht die sozialwissenschaftliche Vor- und Mitarbeit, um die soziale Dimension dieser Art der politischen Kommunikation zu erfassen. Das gilt für die Analyse humorvoller Inhalte ebenso wie für die Analyse des spezifischen Internetphänomens Meme: „Ein rein technischer Ansatz würde uns hier nicht weiterbringen“, erklärt Simon Lübke. „Wenn wir einfach nur alle Posts mit einem bestimmten Hashtag sammeln würden, hätten wir keine Informationen über die Verwendung von Humor.“ Zudem sind Hashtags häufig nicht so explizit wie etwa #klimawandel. „Den Hashtag #howdareyou versteht man nur im sozialen Kontext. Und natürlich gibt es solche Phänomene immer wieder.“

Im Rahmen des Projekts werden die Forschenden auch qualitative Befragungen mit Umweltpolitikerinnen und -politikern durchführen. „Wir wollen herausfinden, wie sie die Bedeutung von Visualität in der Politik einschätzen und wie sie über Humor in der Politik denken, ob sie im Kontext von Memes, aber auch darüber hinaus, einen Wandel in der öffentlichen Kommunikation wahrnehmen und welche Rolle das für die eigene Arbeit spielt“, berichtet Jörg Haßler.

Das Ziel: ein Erhebungs- und Messinstrument für Inhalte in sozialen Medien

Im bidt-Projekt ergänzen sich die drei Disziplinen Kommunikationswissenschaft, Computerlinguistik und Informatik. Letztere verwendet Computer Vision, ein Feld innerhalb der künstlichen Intelligenz, um Informationen aus digitalen Bildern und Videos zu gewinnen. „Man kann damit nachvollziehen, wie Memes aufgebaut sind und welche humoristischen Elemente das Bild transportiert“, sagt Simon Lübke.

Die Computerlinguistik entwickelt Modelle, mit denen Computer menschliche Sprache in mündlicher oder schriftlicher Form verstehen und verarbeiten können. „Unsere Idee ist, ein Modell zu trainieren, das automatisiert erkennt, wie Sprache in einem Meme humorvoll verwendet wird, sodass die Chance auf Viralität steigt“, erläutert Jörg Haßler. Dies ist keine leichte Aufgabe, denn um einen Inhalt als humorvoll zu kategorisieren, braucht ein Algorithmus enorm viel zugrunde liegendes Datenmaterial.

Das Ziel der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist ein Erhebungs- und Messinstrument für textuelle und visuelle Inhalte in den sozialen Netzwerken, das auch von anderen Forschenden verwendet werden kann. Den Vorteil eines solchen Instruments erklärt Simon Lübke: „Unabhängig voneinander können die Forschenden dann einheitlich Material analysieren. Man könnte die Diffusion von Memes in die Politik umfassend messen. Also: Wie werden Memes über verschiedene Plattformen hinweg verbreitet? Wie werden Memes in der Politik selbst aufgenommen, wie werden sie geteilt, wie werden sie kommentiert? Und nicht zuletzt: Haben sie einen Einfluss auf politische Entscheidungen im Rahmen des Klimawandels?“

Politische Kommunikation und das Mediensystem verändern sich

Memes vereinen viele Aspekte politischer Kommunikation, die für sich gestellt nicht neu sind: Visualität, Humor, Multimodalität. „Internetmemes in den sozialen Medien verbinden diese Tendenzen und eignen sich deshalb besonders gut als Untersuchungsgegenstand“, fasst Projektleiter Jörg Haßler zusammen.

Wir sehen eine zunehmende Visualität von Politik und eine digitale Transformation der politischen Öffentlichkeit.

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Memes sind Ausdruck eines gesellschaftlichen Veränderungsprozesses. „Die digitale Transformation von Öffentlichkeit verändert die Art und Weise, wie wir kommunizieren“, sagt Simon Lübke. „Deswegen ist es wichtig, sich Phänomene anzuschauen, die auf den ersten Blick ‚nur im Internet’ stattfinden.“ Greta Thunbergs „How dare you“ oder Armin Laschets öffentlicher Fauxpas 2021 im Flutgebiet Ahrtal unter dem Hashtag #laschetlacht sind nur zwei Beispiele des Klimadiskurses, die in verschiedensten Medienformaten, von Twitter bis Tagesschau, besprochen wurden.

„Große Reichweite stellen nach wie vor die traditionellen journalistischen Massenmedien her“, so Jörg Haßler. „Denn selbst 750.000 Likes auf Twitter sind wenig angesichts der Größe der deutschen Bevölkerung. Aber die Massenmedien greifen vermehrt Inhalte auf, die online in den sozialen Medien viral gehen. Daran zeigt sich die Hybridität unseres Mediensystems.“