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Disziplin

Rechtswissenschaften

Legal Tech – Automatisierung juristischer Tätigkeiten

Lesezeit: 7 Min.

Der Begriff Legal Tech, die Kurzform von Legal Technology, wird nicht einheitlich definiert[1]. Die Tendenz scheint dahin zu gehen, den Begriff weit zu verstehen und darunter grundsätzlich jede „Informationstechnik (IT), die im juristischen Bereich zum Einsatz gelangt“ zu fassen[2]. Es geht bei Legal Tech also um „Technologieeinsatz mit juristischem Bezug“[3]. In Deutschland wurde Legal Tech um das Jahr 2016 populär; das mit dem Begriff bezeichnete Phänomen existiert allerdings schon länger[4]. Die Fortschritte im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) haben der Diskussion neuen Aufschwung gegeben. Auch die Digitalpolitik befasst sich mit Legal Tech: Beispielsweise reagierte der Gesetzgeber mit dem Legal-Tech-Gesetz, durch welches vor allem das Recht der Inkassodienstleistungen und das anwaltliche Berufsrecht modifiziert wurden, auf das zunehmende Aufkommen von Legal Tech-Unternehmen[5]. Des Weiteren ist ein Gesetz geplant, wonach in zivilrechtlichen Streitigkeiten Onlinegerichtsverfahren erprobt werden können[6]. Um die Innovationstätigkeit in diesem Bereich voranzutreiben, wurde z. B. in Bayern mit Unterstützung des BayStMJ das Legal Tech Colab gegründet, ein Innovation Hub, der Start-ups im Bereich Legal Tech unterstützt[7].

Legal Tech kommt zunächst in klassischen juristischen Tätigkeitsfeldern zum Einsatz, etwa in Kanzleien und bei Gerichten. Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte können Software beispielsweise für die Analyse und Erstellung von rechtlichen Dokumenten, etwa von Verträgen, einsetzen[8]. An den Gerichten wird beispielsweise Software zur Unterstützung bei Massenverfahren, etwa infolge des Dieselabgasskandals, getestet[9]. Diskutiert und erprobt wird in der Justiz auch der Einsatz eines elektronischen Basisdokuments, durch das der Prozessstoff besser strukturiert werden soll[10]. Weitere klassische Akteure, die Legal Tech verwenden, sind die Staatsanwaltschaft, Verwaltungsbehörden sowie Rechtsabteilungen in Unternehmen. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft können beispielsweise durch spezielle Suchmaschinen für das Darknet erleichtert werden[11]. Behördliche Entscheidungen können unter bestimmten Voraussetzungen sogar vollständig automatisiert ergehen, etwa im Steuerrecht[12]. Unternehmen können Software beispielsweise verwenden, um einschlägige Compliancevorgaben im Blick zu behalten[13]. In allen Tätigkeitsfeldern kann Legal Tech die juristische Recherche erleichtern, z. B. in Form von Onlinedatenbanken oder KI-Chatbots, die Gesetzestexte und -materialien, Rechtsprechung und Literatur auswerten[14].

Daneben eröffnet Legal Tech auch neue juristische Tätigkeitsbereiche. Hier sind insbesondere die sog. Legal Tech-Unternehmen zu nennen. Ihre Geschäftsmodelle beruhen darauf, mittels digitalisierter Verfahren die Forderungen ihrer Kundinnen und Kunden – häufig Verbraucherinnen und Verbraucher – außergerichtlich oder gerichtlich einzuziehen[15]. Für diese Tätigkeit erhalten sie von ihren Kundinnen und Kunden eine Vergütung in Form eines Erfolgshonorars. Dadurch wird diesen Rechtsuchenden das Risiko abgenommen, einen selbst, ggf. unter Beteiligung einer Anwältin oder eines Anwalts, geführten Prozess zu verlieren und dessen Kosten tragen zu müssen. Ein Nachteil für die Rechtsuchenden ist, dass sie ihre Forderungen aufgrund der Erfolgsbeteiligung des Unternehmens, anders als bei einer herkömmlichen Rechtsverfolgung, nicht in voller Höhe realisieren können. Legal-Tech-Unternehmen operieren meist in Bereichen, in denen sich die Prüfung und Einziehung der Forderungen standardisieren und damit automatisieren lassen. Beispiele sind Fluggastrechte und Ansprüche im Zusammenhang mit dem Dieselabgasskandal[16]. Legal Tech eröffnet also neue Wege, ein Gerichtsverfahren einzuleiten. Daneben können durch Legal Tech Gerichtsverfahren mitunter auch vermieden werden: Außergerichtliche Onlinestreitbeilegung ist ein weiterer Einsatzbereich digitaler Technologien. Anbieter solcher Verfahren können öffentliche Stellen sein, wie etwa bei der europäischen Onlineverbraucherschlichtung, diese wird gerade erneuert[17], aber auch private Akteurinnen und Akteure, insbesondere digitale Plattformen[18]. Schließlich kann Legal Tech Rechtsstreitigkeiten möglicherweise auch von vornherein vermeiden. Sogenannte Smart Contracts können mitunter den Leistungsaustausch automatisieren und somit eine Klage auf Leistung entbehrlich machen[19]. Allerdings können ebendiese Smart Contracts selbst neue Streitigkeiten verursachen, beispielsweise wenn das Funktionieren der Software in Abrede gestellt wird[20].

Vergleichbarkeit mit analogen Phänomenen

Legal Tech ermöglicht es, bestehende Prozesse, die bisher manuell ausgeführt wurden, zu automatisieren. Beispielsweise werden in Anwaltskanzleien die Dokumentenanalysen, die etwa im Zusammenhang mit dem Erwerb von Unternehmen bei Due-Diligence-Prüfungen erforderlich sind, traditionell manuell ausgeführt. Dies ist sehr zeit- und kostenintensiv. Insbesondere KI-Software, die sehr schnell eine große Menge an Daten verarbeiten kann (Erzeugung und Verarbeitung großer Datenmengen), erlaubt hier eine Effizienzsteigerung (hohe Geschwindigkeit)[21]. In ähnlicher Weise kann KI den Gerichten bei der Analyse von Schriftsätzen und anderen Akteninhalten helfen, vgl. zu einem entsprechenden Forschungsprojekt die Pressemitteilung des BayStMJ v. 31.07.2024, [22]. Onlinegerichtsverfahren könnten die Ortsgebundenheit der richterlichen und anwaltlichen Tätigkeiten und dadurch auch den Aufwand der Rechtsverfolgung verringern (ubiquitäre Verfügbarkeit)[23]. Eine Reduktion des Aufwands der Rechtsverfolgung wird auch dadurch erreicht, dass Legal-Tech-Unternehmen es Rechtsuchenden ermöglichen, sie online, durch wenige Klicks, mit der Durchsetzung ihrer Forderungen zu beauftragen, anstatt eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt suchen und mandatieren zu müssen. Die neuen Geschäftsmodelle nehmen den Rechtsuchenden nicht nur das Prozessrisiko ab, sondern sind außerdem sehr bequem. Ansätze wie das elektronische Basisdokument in der Justiz erlauben eine bessere Strukturierung der Informationen als beim herkömmlichen Austausch von Schriftsätzen (Vernetzung und Datenintegration).

Legal Tech eröffnet aber auch neue Möglichkeiten, die in der analogen Welt keine Entsprechung haben[24]. Legal-Tech-Unternehmen setzen mitunter Forderungen durch, die ohne die hierfür verwendeten digitalen Technologien nicht durchgesetzt worden wären. Insbesondere kleine Forderungen, z. B. Fluggastrechte, werden auf herkömmlichem Wege, durch eigene Klagen der Rechtsuchenden, häufig nicht realisiert, da in Anbetracht des damit einhergehenden Kostenrisikos ein rationales Desinteresse der Rechtsuchenden an der Rechtsverfolgung besteht[25]. Entsprechendes gilt für gerichtliche oder alternative Onlineverfahren: Hierdurch können Konflikte gelöst werden, die ohne die Technologien möglicherweise aufgrund von hohen Kosten und hohem Aufwand ungelöst geblieben wären[26].

Gesellschaftliche Relevanz

Legal Tech kann die Rechtsdurchsetzung einfacher, schneller und kostengünstiger machen oder sogar, wie bei kleinen Forderungen, die von Legal-Tech-Unternehmen durchgesetzt werden, überhaupt erst lohnenswert erscheinen lassen. Auf diese Weise kann der Zugang zum Recht grundsätzlich verbessert werden[27]. Gleichzeitig wirft Legal Tech eine Reihe von Fragen auf: Genügt es für den Zugang zum Recht, wenn dieser von privaten Unternehmen, die Rechtsstreitigkeiten zu kommerziellen Zwecken initiieren oder lösen, bereitgestellt wird? Welche Anforderungen sind an solche Unternehmen zu stellen? Wie viel Automatisierung ist zulässig und wünschenswert, wenn Behörden und Gerichte über Individuen entscheiden? Welche Daten dürfen durch digitale Technologien, z. B. Überwachungssoftware, erhoben werden? Diese Fragen sind nur eine Auswahl, sie zeigen aber die gesellschaftliche Relevanz des Themas.

Weiterführende Links und Literatur

Empfohlene Lektüre:

  • Domej, T. (2024). Effektive Zivilrechtsdurchsetzung: Zugang zur Justiz, Prozessfinanzierung, Legal Tech – Welcher rechtliche Rahmen empfiehlt sich?. Gutachten A zum 74. Deutschen Juristentag Stuttgart 2024. München.
  • Ebers, M. (Hrsg.) (2023). StichwortKommentar Legal Tech. Baden-Baden. Legal-Tech.de, https://legal-tech.de/legal-tech-blog [14.10.2024]..
  • Meisenbacher, S. et al. (2024). Legal AI Use Case Radar 2024 Report, TU München. https://mediatum.ub.tum.de/1748412 [14.10.2024].

Quellen

  1. Herberger, M. (2023). Legal Tech, Begriff. In: Ebers, M. (Hrsg.). StichwortKommentar Legal Tech, Nr. 56.
  2. Wagner, J. (2020). Legal Tech und Legal Robots, 2. Aufl., S. 2; ähnlich Rollberg (2020). Algorithmen in der Justiz., S. 24.
  3. Biallaß in: Ory, S./Weth, S. (Hrsg.) (2022). jurisPraxisKommentar.-Elektronischer Rechtsverkehr, Band 1. 2. Aufl., Kap. 8 (Stand: 23.11.2022) Rn. 14; siehe auch Rn. 2 ff. zu weiteren Definitionen.
  4. Herberger (2023). Legal Tech, Begriff. In: Ebers (Hrsg.), StichwortKommentar Legal Tech, 2023, Nr. 56 Rn. 10 ff.; Hartung, M. (2018). In: Hartung/Bues/Halbleib (Hrsg.), Legal Tech, Kap. 1 Rn. 10 ff.
  5. Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt v. 10.08.2021 (BGBl. I S. 3415).
  6. Entwurf eines Gesetzes zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit v. 30.09.2024, BT-Drs. 20/13082.
  7. Pressemitteilung des BayStMJ v. 12.09.2022, https://www.justiz.bayern.de/presse-und-medien/pressemitteilungen/archiv/2022/157.php [14.10.2024].
  8. legal-tech.de, https://legal-tech.de/was-ist-legal-tech-ffi/ [14.10.2024].
  9. Pressemitteilung des BayStMJ v. 18.06.2024, https://www.justiz.bayern.de/presse-und-medien/pressemitteilungen/archiv/2024/81.php [14.10.2024].
  10. Althammer/Wolff (2024). Abschlussbericht des Forschungsprojekts Reallabor Basisdokument im Auftrag der Justizministerien Bayerns und Niedersachsens, 23.07.2024. https://www.uni-regensburg.de/assets/forschung/reallabor-parteivortrag-im-zivilprozess/Abschlussbericht_2024-07-24.pdf [14.10.2024].
  11. Pressemitteilung des BayStMJ v. 27.07.2020. https://www.justiz.bayern.de/presse-und-medien/pressemitteilungen/archiv/2020/69.php [14.10.2024].
  12. § 155 Abs. 4 AO; siehe auch § 35a VwVfG.
  13. Meisenbacher, S. et al. (2024). Legal AI Use Case Radar 2024 Report,  10 ff. https://mediatum.ub.tum.de/1748412 [14.10.2024].
  14. Meisenbacher, S. et al. (2024). Legal AI Use Case Radar 2024 Report. 48 ff. https://mediatum.ub.tum.de/1748412 [14.10.2024].
  15. Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt v. 17.03.2021, BT-Drs. 19/27673, 13 ff.
  16. Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt v. 17.03.2021, BT-Drs. 19/27673, 15.
  17. Vorschlag der Europäischen Kommission zur Überarbeitung des Rahmens für alternative Streitbeilegung (ADR-Rahmen), dargestellt unter https://commission.europa.eu/live-work-travel-eu/consumer-rights-and-complaints/resolve-your-consumer-complaint/alternative-dispute-resolution-consumers_de [14.10.2024].
  18. Ausführlich dazu Liebig (2024). Außergerichtliche private Streitbeilegung durch digitale Plattformen.
  19. Woebbeking, M. K. (2019). The Impact of Smart Contracts on Traditional Concepts of Contract Law. Jipitec, 106 (112).
  20. Fries, M. (2018). Smart Contracts: Brauchen schlaue Verträge noch Anwälte? Zusammenspiel von Smart Contracts mit dem Beweismittelrecht der ZPO. AnwBl 2018, 86 (90).
  21. Wagner, J. (2020). Legal Tech und Legal Robots, 2. Aufl. S. 3.
  22. BayStMJ (2024). Pressemitteilung v. 31.07.2024. https://www.justiz.bayern.de/presse-und-medien/pressemitteilungen/archiv/2024/111.php [14.10.2024].
  23. Entwurf eines Gesetzes zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit v. 30.09.2024, BT-Drs. 20/13082, 33, 37 f.
  24. Wagner, J. (2020). Legal Tech und Legal Robots, 2. Aufl., S. 4 f.
  25. Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt v. 17.03.2021, BT-Drs. 19/27673, 14.
  26. Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit vom 30.09.2024, BT-Drs. 20/13082,  21.
  27. Domej, T. (2024). Effektive Zivilrechtsdurchsetzung: Zugang zur Justiz, Prozessfinanzierung, Legal Tech – Welcher rechtliche Rahmen empfiehlt sich?. Gutachten A zum 74. Deutschen Juristentag Stuttgart 2024. München.