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Nachgefragt: Welche Rolle spielt das chinesische Sozialkreditsystem für Deutschland?

Was das Publikum der bidt Werkstatt digital besonders interessierte – die Antworten der Expertinnen und Experten.

Globalisierung und wirtschaftliches Wachstum Chinas führten zur Einführung des Sozialkreditsystems. Es soll für Transparenz in Wirtschaftsbeziehungen sorgen.
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Die bidt Werkstatt digital „Volle Kontrolle? Chinas Sozialkreditsystem und seine Auswirkungen auf Deutschland“ vom 17. Februar 2021 widmete sich der Rolle des kontrovers diskutierten chinesischen Regierungsinstruments.

Die 240 Teilnehmerinnen und Teilnehmer interessierten dabei besonders die Implikationen für Deutschland: Lassen sich Parallelen zu hiesigen Entwicklungen ziehen? Haben deutsche Firmen mit Konsequenzen zu rechnen? Das bidt hat bei den Expertinnen und Experten des vom bidt geförderten Projekts noch einmal nachgefragt.

Welche Parallelen gibt es zwischen dem Sozialkreditsystem und Entwicklungen in Deutschland?

Doris Fischer: Eine Parallele besteht in dem Wunsch, Zahlungs- bzw. Kreditrisiken zu vermeiden. Kreditgeber wollen sicher sein, dass ihre Kunden zahlungsfähig sind. Sie wollen auch nicht, dass eine Kundin bei verschiedenen Geldgebern die gleichen Sicherheiten beleiht. Bei uns gibt es dafür die Schufa, deren Wurzeln bis in die 1920er-Jahre reichen. In China wird seit knapp zwei Jahrzehnten mit verschiedenen Ansätzen experimentiert. Das Sozialkreditsystem ist eine Weiterentwicklung früherer Versuche.

Das Sozialkreditsystem will zu Wohlverhalten erziehen und bewertet dafür das Verhalten von Individuen und Firmen. Dies ist auch bei uns nicht ganz unbekannt. So fragen Kfz-Versicherungen für die Tarifeinstufung nach der Fahrerfahrung ihrer Kunden, ob sie über eine Garage verfügen, verbeamtet sind und in was für einem Stadtviertel sie wohnen. Die Schufa hat Personen, die eine private Insolvenz hinter sich haben, eine Heraufstufung angeboten, wenn diese Einsicht in ihre Kontobewegungen geben.

Es gibt also Parallelen, aber das Sozialkreditsystem geht weiter. Es will Informationen aus unterschiedlichen Teilsystemen zusammenführen, es macht Informationen stärker öffentlich und der Staat spielt dabei eine größere Rolle.

Welche Auswirkungen hat Chinas Sozialkreditsystem auf deutsche Firmen?

Omar Ramon Serrano Oswald: Wir haben (bisher) zwei Möglichkeiten ausmachen können, wie sich das chinesische Sozialkreditsystem auf deutsche Firmen auswirken kann. Zum einen werden deutsche Unternehmen, die in China tätig sind (z. B. Audi China), automatisch in die Datenbank des Sozialkreditsystems aufgenommen (was den direkten Weg darstellt) und erhalten im Zuge dessen eine 18-stellige Kennung, den sogenannten Unified Social Credit Code. In diesem Beispiel wird auch der Vorsitzende von Audi China (ein deutscher Staatsbürger) als Privatperson erfasst und erhält ebenfalls einen „Unified Social Credit Code“. Beide Datensätze (sowohl der Firma als auch der Privatperson) sind über die Credit-China-Website öffentlich zugänglich.

Ein potenzieller Geschäftspartner kann also einsehen, ob das Unternehmen oder sein Management in einer schwarzen (negativ) oder einer roten (positiv) Liste geführt wird. Audi China wurde in die rote Liste der „Grade A taxpayer“ aufgenommen und unterliegt damit unter anderem geringeren Kontrollen durch die Steuerbehörden. Aber auch auf indirektem Wege kann ein deutsches Unternehmen Eingang in das Sozialkreditsystem finden, etwa wenn eine chinesische Firma ein deutsches Unternehmen erwirbt.

Im Jahr 2017 hat das chinesische Außenministerium Regelungen erlassen, die das Verhalten chinesischer Firmen im Ausland mit dem Sozialkreditsystem koppeln. Es ist möglich (wir haben dies noch nicht evaluiert), dass die Übernahme einer deutschen Firma durch ein chinesisches Unternehmen dazu führt, dass die Muttergesellschaft in China auf eine schwarze (oder rote) Liste gesetzt wird, wenn das neu erworbene deutsche Unternehmen sich entgegen (oder im Sinne) der chinesischen Regularien verhält.