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Im Wandel

Digitale Technologien wirken in das Leben jedes einzelnen Menschen hinein. Welche Chancen, aber auch Herausforderungen damit verbunden sind, wird am bidt untersucht.

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Die Digitalisierung ist nicht mehr ein primär technisches Phänomen. Die Technik hat alle Lebensbereiche durchdrungen, bringt etablierte Prozesse durcheinander und wird auch auf absehbare Zukunft immer weiter völlig neue Möglichkeiten eröffnen.

Prof. Alexander Pretschner, bidt-Direktor

Angesichts der Herausforderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, sprechen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von der „Wucht technologischer Entwicklungen“ und dem „Sog, den diese entfalten können“, so der Informatikprofessor Alexander Pretschner, von dem auch das Eingangszitat stammt, oder von einer „gigantischen neuen Welt“, die das Internet gebracht hat, wie es der Soziologe Andreas Boes formuliert.

Digitalisierung wird als Umbruch erfahren

Beide sind Mitglied im Direktorium des bidt, das dazu beitragen will, die digitale Transformation zu verstehen – die Voraussetzung, um sie zu gestalten. Dass dies notwendig ist, sehen auch Bürgerinnen und Bürger: In einer explorativen Studie für das bidt wurden Menschen unterschiedlicher Berufe und Ausbildungen zu ihrer Einschätzung der Digitalisierung befragt. Diese wird „als Umbruch“ erfahren, genauso wie „damals die Industrialisierung“, sagte etwa einer der Befragten.

Einer der wesentlichen Treiber der digitalen Transformation ist das Internet. „Es ist keine Technik, wie wir sie vorher kannten. Das Internet ist eine Mitmach-Infrastruktur. Sie wird von Millionen Menschen aktiv genutzt. Das stellt eine neue gesellschaftliche Handlungsebene dar. Menschheitsgeschichtlich ist das vollkommen neu. Bislang hat die Welt für uns dort stattgefunden, wo wir als Menschen physisch gebunden sind“, sagt Andreas Boes.

Die bidt-Studie zeigte beispielhaft, wie die Befragten sich bemühen, die Möglichkeiten der Digitalisierung in ihr Leben zu integrieren, und auch, welch widersprüchliche Erfahrungen damit gemacht werden. Manche sehen zum Beispiel große Vorteile in ihrem privaten Alltag, etwa durch die Möglichkeiten, online einzukaufen und Freunden nah zu sein, die in anderen Teilen der Welt leben. In der Arbeit erleben sie die Digitalisierung dagegen als eine Bedrohung, die ihren Arbeitsplatz gefährdet oder durch die ständige Erreichbarkeit via verschiedener Medien die Belastung erhöht.

Umbruch erleben

In einer qualitativen Studie hat das ISF-München im Rahmen eines bidt-Projekts 35 Menschen darüber befragt, was die Digitalisierung für sie im Privat- und Arbeitsleben bedeutet. Die Ergebnisse zeigen, dass der digitale Wandel als gesellschaftlicher Umbruch wahrgenommen wird. Ob dies positiv gesehen oder eher mit Befürchtungen assoziiert wird, hängt von den individuellen Handlungsmöglichkeiten ab. Das Projektteam empfiehlt daher, die Menschen bei der Gestaltung der digitalen Transformation stärker zu beteiligen sowie ihre Kompetenzen und ihre Handlungsfähigkeit zu stärken.

Die Ergebnisse wurden in der Reihe Analysen und Studien sowie in der Reihe Impulse des bidt veröffentlicht.

Digitalisierungsschub durch Corona

Die Corona-Pandemie hat wie unter einem Brennglas die Chancen – und auch die Risiken – der Digitalisierung aufgezeigt. Von einem Tag auf den anderen fand ein großer Teil der Erwerbsarbeit in Deutschland auf einmal im Homeoffice statt. „Die Unternehmen mussten in der Coronakrise Modelle ausprobieren, die sie unter normalen Umständen nie eingesetzt hätten, weil es eine große Skepsis gab“, sagt der Innovationsexperte und bidt-Direktor Dietmar Harhoff.

In zwei Befragungen hatte das bidt erhoben, wie sehr sich das Arbeiten von zu Hause in den vergangenen Monaten verstärkt hat. Sie zeigen auch, dass die Beschäftigten damit gut zurechtkommen. 85 Prozent der Befragten sind mit ihrer Situation im Homeoffice zufrieden, technische Schwierigkeiten haben die wenigsten.

Zum Auftakt der Veranstaltungsreihe bidt Werkstatt digital (unter dem Titel „Homeoffice – Das neue Normal?“) kamen Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft zusammen, um die Implikationen dieser Entwicklung zu besprechen. Sie waren sich einig, dass die Zukunft der Arbeit von einem Wechsel zwischen Remote-Work und Präsenz im Büro geprägt sein wird.

Homeoffice wird vom Management inzwischen auch als Produktivitäts- und Kostenfaktor verstanden.

Prof. Dietmar Harhoff, ehemaliger bidt-Direktor

Viele Homeoffice-Tätige äußerten in der Juni-Befragung des bidt die Befürchtung, dass ihre Arbeitgeber die Homeoffice-Möglichkeiten nach der Coronakrise wieder einschränken könnten. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des bidt haben andere Erwartungen, schon aus rein ökonomischen Gründen. So verweist Dietmar Harhoff darauf, dass Homeoffice inzwischen nicht mehr nur von den Beschäftigten positiv gesehen werde: „Homeoffice wird vom Management inzwischen auch als Produktivitäts- und Kostenfaktor verstanden. Auf einmal müssen sich Manager rechtfertigen, wenn die Mehrzahl ihrer Teammitglieder im Büro sitzt, denn es wird auch auf die damit verbundenen Kosten geschaut.“

Neben dem Homeoffice werden auch Videokonferenzen und -gespräche stärker genutzt. Videogespräche werden inzwischen oft als Ersatz für Dienstreisen herangezogen, die Häufigkeit von Geschäftsreisen dürfte daher sinken. Und auch die Immobilienbranche ist betroffen: Statt teure Mieten für Büroräume in den Zentren der Städte zu zahlen, werden Unternehmen eher Arbeitsplätze in Co-Working-Spaces im Umland ausbauen.

Digitalisierung durch Corona?

Auch Monate nach dem Beginn der Coronakrise ist die Verbreitung von Homeoffice deutlich höher als zuvor. Das bidt führte im März und Juni 2020 repräsentative Kurzbefragungen unter erwachsenen Internetnutzerinnen und -nutzern in Deutschland zur Nutzung und Akzeptanz von Homeoffice durch.

Die Ergebnisse sind in der Reihe Analysen und Studien des bidt veröffentlicht.

Digitale Spaltung vermeiden

Bei vielen Menschen hat die Coronakrise dazu geführt, dass sie sich neue Kompetenzen angeeignet haben. Manche Berührungsängste mit technologischen Anwendungen sind so verschwunden. Ob an Videokonferenzen teilnehmen oder Webinare halten, gemeinsam mit der Familie über große Distanzen Fotos oder Momente tauschen – vieles wurde in Windeseile gelernt und viele haben dadurch erfahren, wie leicht zugänglich digitale Technik sein kann.

Wenn man die Digitalisierung ohne Blick auf die soziale Spaltung vorantreibt, hat man in zehn Jahren eine irreversible Spaltung zwischen Menschen, die sich in der digitalen Welt bewegen können, und solchen, die es nicht können.

Prof. Andreas Boes, bidt-Direktor

Zugleich machten die neuen Umstände auch deutlich, dass nicht alle gleichermaßen von den Möglichkeiten der digitalen Technologien profitieren. Während einige Berufstätige selbstverständlich ins Homeoffice wechselten und manche Schülerinnen und Schüler digitale Technologien zum Lernen nutzten, war das vielen anderen nicht möglich. So arbeiten mehr als 60 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland trotz Corona nicht von zu Hause. Ein Großteil von ihnen gab in der bidt-Studie an, dass das in ihrem Beruf nicht möglich sei. Auch im Bildungsbereich wurden durch die Coronakrise Digitalisierungslücken deutlich.

Kompetenzen über KI vermitteln

Es sind Entwicklungen wie diese, die Befürchtungen ob der digitalen Zukunft auch in Deutschland auslösen. Oftmals werden dann dystopische Szenarien entworfen, die jedoch mit der Wirklichkeit wenig zu tun haben. Das gilt auch für das Thema der Künstlichen Intelligenz, kurz KI. Die Technologie ist so vielseitig einsetzbar, dass sie immer mehr Bereiche der Gesellschaft durchzieht – von der Medizin über Versicherungen bis hin zur Kundenberatung. Doch meist fehlt es an ausreichendem Wissen, um die technologischen Entwicklungen realistisch einzuschätzen. So zeigte eine bidt-Studie, dass KI vielen ein Rätsel ist, was Raum für Missverständnisse lässt und auch zu unbegründeten Ängsten führt.

Das bidt griff das mangelnde Wissen über KI in der Veranstaltung „KI vermitteln – Erfahrungen aus der Praxis“ auf. Die Expertinnen und Experten betonten, wie wichtig es sei, die Kompetenzen über KI in der Bevölkerung zu stärken. So wurden unter anderem niedrigschwellige Bildungsangebote angeregt, die Menschen ihre Ängste nehmen und Begeisterung für unterschiedliche Forschungs- und Anwendungsbereiche vermitteln. Das Ziel sei ein mündiger Umgang mit KI-Anwendungen.

Handlungsfähigkeit stärken

Im Zusammenhang mit digitalen Technologien fällt häufig der Begriff disruptiv, um die damit verbundenen Auswirkungen zu beschreiben. „Oft ist unklar, was damit gemeint ist“; sagt der Wirtschaftsinformatiker und bidt-Direktor Thomas Hess. „Die breitere Definition ist, dass es sich um eine sehr radikale Innovation handelt, die Bestehendes verdrängt. Oft wird das Wort aber bezogen auf einzelne Produkte verwendet. Disruptiv heißt dann, dass ein neues Produkt nicht nur besser bezüglich der bekannten Eigenschaften ist, sondern auch Eigenschaften hat, die den Kunden heute noch gar nicht interessieren“, erklärt Thomas Hess und verweist auf den Durchbruch des Smartphones, das viele Eigenschaften hat, die mit dem ihm vorhergehenden klassischen Handy wenig zu tun haben.

Die Wirkung digitaler Technologien ist so breit, dass man Wirtschaft und Gesellschaft zusammen adressieren muss.

Prof. Thomas Hess, bidt-Direktor

„Die Wirkung digitaler Technologien ist so breit, dass man Wirtschaft und Gesellschaft zusammen adressieren muss“, sagt Thomas Hess. Aus gesellschaftlicher Sicht werde, gerade in Deutschland, häufig eher das Risiko gesehen, die Chancen würden dagegen nicht immer erkannt. Das gilt auch in der Wirtschaft.

Für Alexander Pretschner ist das eine der wesentlichen aktuellen Herausforderungen der Digitalisierung. In einem Interview plädierte er dafür, dass die deutsche Industrie die Möglichkeiten der Digitalisierung voll erfasst und nutzt: „Sonst besteht die Gefahr, dass sie überholt wird. Auf der anderen Seite müssen sich die traditionellen Maschinenbauer überlegen, wie sie ihre Fähigkeiten durch die Digitalisierung weiterentwickeln – sowohl was die Organisation der eigenen Prozesse angeht als auch die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen.“

Mit Blick auf die Gesellschaft machte die Studie Umbruch erleben deutlich, wie entscheidend die Kompetenzen und die Einschätzung der eigenen Handlungsmöglichkeiten dafür sind, wie Menschen die Digitalisierung wahrnehmen. Das Autorenteam der Studie empfiehlt daher, die Menschen bei der Gestaltung der digitalen Transformation stärker zu beteiligen sowie Angebote zur Information und Kompetenzentwicklung auszubauen: „Ohne das Vertrauen der Menschen, aber auch ohne ihr Engagement wird der Weg in eine digitale Gesellschaft nicht gelingen.“