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Von der Qualität der Citizen Science

Ein Interview über gute wissenschaftliche Praxis in den Bürgerwissenschaften und darüber, warum diese von der Digitalisierung profitieren.

© bidt / Kilian Blees

Dr. Andreas Wenninger ist wissenschaftlicher Referent am bidt und leitet ein DFG-Projekt zu guter wissenschaftlicher Praxis in den Citizen Science, die auch als Bürgerwissenschaften bezeichnet werden.

Sie untersuchen in Ihrem neuen Projekt die „Evidenzkultur der Citizen Science“. Was genau versteht man darunter?

Als wissenschaftlich evident gilt in unserer Gesellschaft das, was von der Wissenschaft in den jeweiligen Fachbereichen geprüft und bestätigt wurde.

An diesem Prozess sind üblicherweise nur Berufswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler mit entsprechender „zertifizierter Expertise“ beteiligt. Hierbei entwickeln sich je nach Fachbereich unterschiedliche Evidenzkulturen. Dieser Validierungsprozess ist idealerweise die Voraussetzung dafür, dass wissenschaftliches Wissen auch außerhalb der Wissenschaft als konsentiertes Wissen anerkannt wird.

Die Evidenzkultur der Citizen Science zu untersuchen ist deshalb spannend, weil hierbei nun auch Bürgerinnen und Bürger, die keine zertifzierte wissenschaftliche Expertise haben, am Prozess der Wissensproduktion beteiligt sind. In unserem Projekt wählen wir einen praxistheoretischen Ansatz. Wir untersuchen, wie im Bereich der Citizen Science evidentes Wissen hergestellt und dargestellt wird. Wir wollen herausfinden, welche Formen der Evidenzkultur sich in der Citizen Science herausbilden.

Dabei würde man als Laie vermuten, dass völlig klar ist, was wissenschaftlich evident ist.

Wir wollen in unserem Projekt zeigen, dass das eben nicht so einfach ist. Was als wissenschaftlich evident gilt, verändert sich historisch und ist auch von Fachbereich zu Fachbereich unterschiedlich. Auch welche Gruppen Evidenz herstellen, ist variabel. Es hängt auch damit zusammen, was in einer Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt als plausibel anerkannt wird – wenn man etwa an die Debatte über die Sicherheit von Atomkraftwerken denkt.

Auch in den Ernährungswissenschaften, um ein weiteres Beispiel aus einem Teilprojekt in unserer Forschungsgruppe zu nennen, gibt es verschiedene Praktiken, Evidenz zu schaffen. Neben der Wissenschaft geht das auch von Konsumenten und Medien aus, die eigene Maßstäbe setzen und mitunter auch stark moralisieren.

Was ist das Ziel von Citizen Science, bei der jede und jeder die Wissenschaft unterstützen kann?

Citizen Science versucht das klassische akademische Wissen zu bereichern und auch Wissen, das außerhalb der Wissenschaft vorhanden ist, in die akademische Forschung zu integrieren. Das gilt zum Beispiel für lokale Wissensbestände im Bereich der Umweltforschung oder wenn Patientinnen und Patienten im Bereich der medizinischen Forschung persönliche Erfahrungen einbringen, die in klassischen klinischen Studien zu kurz kommen.

Die Bürgerwissenschaften versuchen in ihren Projekten evidentes Wissen zu erzeugen, sehen sich aber auch Skepsis ausgesetzt. Vonseiten der klassischen Wissenschaft gibt es Zweifel daran, dass Citizen Science robustes wissenschaftliches Wissen erzeugen kann.

Kurz erklärt

In Projekten der Citizen Science, auch Bürgerwissenschaften genannt, unterstützen Freiwillige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das Bundesforschungsministerium fördert seit 2016 mehrere solcher Projekte.

Auf dieser Internetplattform wird über die Beteiligungsmöglichkeiten informiert.

Wie wirkt sich das auf die Projekte aus?

In der Citizen Science wird wissenschaftliche Evidenz stark thematisiert, wobei oft von wissenschaftlicher Qualität und von Wissenschaftlichkeit gesprochen wird. In dem neuen Projekt stehen weniger einzelne Citizen-Science-Projekte im Vordergrund, sondern die feldübergreifenden Versuche, Citizen Science qualitativ zu verbessern.

Dazu haben sich projektübergreifend viele Citizen-Science-Vereinigungen und Initiativen gebildet. Zum Beispiel geht es dabei häufig um das Sammeln von Daten. Dabei wird immer wieder hinterfragt, ob die Daten aus Citizen-Science-Projekten klassischen wissenschaftlichen Qualitätsmaßstäben entsprechen. Dafür werden dann vereinzelt Tests durchgeführt mit Vergleichsdaten, die von Berufswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern erhoben wurden, um die Datenqualität besser einschätzen zu können. Qualitative Unterschiede lassen sich manchmal durch die größeren Datenmengen in Citizen-Science-Projekten ausgleichen, wenn statistische Verfahren eingesetzt werden, die diese Fehler wieder herausrechnen.

Generell wird versucht, allgemeinere Standards zu etablieren, damit die Daten von verschiedenen Citizen-Science-Projekten interoperabel werden, also sich gegenseitig sinnvoll ergänzen können.

Sehr viele Projekte versuchen potenzielle Qualitätsprobleme dadurch zu lösen, dass es Vorgaben gibt, wie die Daten eingegeben und verarbeitet werden, was einer Form der professionellen Kontrolle entspricht. In dem Zusammenhang sprechen wir von einer „Technisierung wissenschaftlicher Expertise“. Digitale Technologien spielen dabei generell eine große Rolle.

Profitieren die Bürgerwissenschaften also von der Digitalisierung?

Ja, massiv. Durch die digitalen Hilfsmittel haben viele Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, ihren Teil in wissenschaftlichen Forschungsprojekten beizutragen.

Die Ausstattung mit digitalen Technologien macht eine langfristige und großflächige Datenerhebung viel leichter möglich. Aber auch bei der Datenauswertung sind Onlineplattformen und digitale Tools eine wichtige Voraussetzung für die massenhafte Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern. Es gibt zum Beispiel viele Projekte im Bereich Arten- und Naturschutz, bei denen es etwa darum geht, das Vorkommen und die Verhaltensweisen von bestimmten Tieren zu erfassen.

Werden sich in der Citizen Science die klassischen akademischen Kriterien für wissenschaftliche Evidenz durchsetzen?

Zunächst stellt sich ja die Frage, ob das in jeder Hinsicht überhaupt wünschenswert ist. Es gibt dazu in der Citizen Science unterschiedliche Positionen, die sich stark vereinfacht in zwei Strömungen zusammenfassen lassen.

Zum einen gibt es den Versuch, Citizen Science dem Vorbild klassisch-akademischer Wissenschaft entsprechend als qualitativ hochwertige Wissenschaft zu konzipieren, also primär klassische Kriterien für gute Wissenschaft auch in der Citizen Science durchzusetzen. Die andere Strömung warnt davor, dass dadurch jedoch genau das erhoffte Potenzial der Bürgerwissenschaft, nämlich Laien intensiv zu beteiligen und alternative Wissensbestände einzubeziehen, zunichtegemacht wird.

Vielmehr sei Offenheit und Vielseitigkeit wichtig, damit sich möglichst viele Bürgerinnen und Bürger engagieren und dadurch evidentes Wissen möglich wird. Letztlich wird hier also an einer spezifischen, der Citizen Science angemesseneren Evidenzkultur gearbeitet.

Wir wollen in unserem Projekt untersuchen, welche Dynamik sich daraus entwickelt, dass es unterschiedliche Vorstellungen davon gibt, was gute wissenschaftliche Praxis in der Citizen Science sein soll. Damit leisten wir auch einen Beitrag zur Debatte, wie Wissenschaft in der heutigen Zeit auf Herausforderungen wie Fake News und Nachhaltigkeit reagieren kann.