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Was ist eigentlich … Sharenting

Schau her, mein Kind – Wenn Eltern Fotos ihres Kindes auf Social-Media-Plattformen veröffentlichen oder per Messenger weiterleiten, verletzen sie damit unter Umständen sein Persönlichkeitsrecht. Die Juristin Katharina Starz aus dem bidt-Doktorandenprogramm untersucht das Phänomen des sogenannten Sharenting.

© Michal Parzuchowski / Unsplash

Wie peinlich!“ Kinder haben oft eine andere Wahrnehmung, wenn sie ein Foto von sich sehen, als ihre Eltern. Was deren Ansicht nach „süß“ wirkt, ist Sohn oder Tochter dagegen mitunter unangenehm. Aus diesem Grund haben wohl schon viele Kinder Fotos von sich heimlich aus dem Familienalbum genommen und entsorgt. Doch was, wenn Eltern das Foto anderen online gezeigt, es via WhatsApp gemailt, auf Facebook oder Instagram veröffentlicht haben? Dafür gibt es zwar einen eigenen Begriff – Sharenting –, doch was passiert, wenn die Kinder damit nicht einverstanden sind, ist alles andere als klar.

Katharina Starz untersucht das Phänomen aus rechtlicher Perspektive. Dafür wird sie in ihrem Promotionsprojekt im Rahmen der bidt-Nachwuchsförderung unterstützt. Für Juristinnen und Juristen stellt sich die Frage, inwiefern das weltweit millionenfache Veröffentlichen von Kinderfotos via Social Media überhaupt rechtlich zulässig ist.

„Primär geht es um das Persönlichkeitsrecht des Kindes“, sagt Katharina Starz, die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Deutsche und Europäische Rechtsgeschichte, Kirchenrecht und Bürgerliches Recht der Julius-Maximilians-Universität Würzburg ist. Solange das Kind dies nicht selbst ausüben kann, müssen die Eltern dieses für ihr Kind wahrnehmen. Wenn sie nun aber gerne selbst Fotos von ihrem Kind posten, könnte ein Interessenkonflikt vorliegen:

Das grundlegend Neue an dem Phänomen des Sharentings ist, dass sich die Eltern bei der Nutzung von Social-Media-Kanälen selbst die Einwilligung erteilen, über die Persönlichkeitsrechte ihres Kindes zu disponieren und Fotos ihres Kindes online zu veröffentlichen.

Katharina Starz

Katharina Starz steht vor der Herausforderung, rechtlich herauszuarbeiten, ob beziehungsweise unter welchen Voraussetzungen Eltern diese Befugnis zugestanden werden kann. Dafür arbeitet sie sich an verschiedenen Fallkonstellationen entlang: Ist das Kind alleine auf dem Foto zu sehen oder im Familienkreis? Ist es von hinten abgebildet oder frontal, sein Name damit verknüpft? Wird das Foto per Messenger wie WhatsApp weitergeleitet oder auf Facebook veröffentlicht? Und geht es nur darum, ein neues Foto im Familien- und Freundeskreis zu zeigen, oder wird das Kind als Influencer etabliert mit dem Ziel, über die Vermarktung seines Social-Media-Kanals Geld zu verdienen?

Sharenting ist weitverbreitet. 82 Prozent der Eltern, die Social Media nutzen, haben schon einmal Fotos, Videos oder andere Informationen über ihre Kinder darüber mit anderen geteilt. Das hat ein Report des US-amerikanischen Forschungsinstituts Pew Research Center gezeigt, für den im März 2020 Erwachsene in den USA befragt wurden, die mindestens ein Kind unter 18 Jahren haben. Die meisten machen sich demnach keine Sorgen, dass ihre Kinder sich jemals an den veröffentlichten Fotos stören könnten. Für Europa hat bereits 2010 eine Umfrage im Auftrag des Onlineunternehmens AVG Solutions gezeigt, dass 73 Prozent der Kinder unter zwei Jahren einen digitalen Fußabdruck hinterlassen haben. Befragt wurden Eltern in Deutschland, Italien, Frankreich, Spanien und Großbritannien.

Obwohl Sharenting so populär ist, gibt es bislang keinen klaren Leitfaden, an dem sich Eltern orientieren können, wenn sie Fotos ihrer Kinder online stellen, und entsprechend viel Unwissenheit. „Die meisten Eltern gehen davon aus, sie dürften ein Foto veröffentlichen, weil sie Mutter oder Vater sind. Das geschieht meist unbedarft“, ist der Eindruck von Katharina Starz. Juristisch seien solche Konstellationen im Zweifel dann schwierig zu klären. Das liegt daran, dass das Veröffentlichen privater Fotos in den neuen Medien durch Eltern auf der einen Seite so einfach zu machen, auf der anderen Seite aber durch die Charakteristik digitaler Technologien so komplexe Folgen haben kann.

Katharina Starz greift oft auf den Vergleich zur analogen Welt zurück, um die Problematik zu veranschaulichen: Wer Kinderfotos ins Album klebt und anlässlich eines Familienbesuchs hervorholt, um sie zu zeigen, „bleibt in der Verfügungsgewalt des Albums und der Fotos. Ich kann es zwar herumzeigen, aber verliere nicht die Kontrolle darüber.“ Bei einer Veröffentlichung auf Social Media dagegen gibt man die Kontrolle ab. 

Ist ein Foto erst einmal im Internet, ist es dort in der Regel für immer, kann von Dritten beliebig kopiert und zu anderen Zwecken missbraucht werden. Das Risiko ist online immer vorhanden, auch wenn ein Foto zunächst im kleinen Kreis veröffentlicht wird.

Katharina Starz

In Fällen, in denen das Persönlichkeitsrecht des Kindes so stark betroffen ist, dass das Veröffentlichen von Fotos unzulässig ist, müssten Eltern sogar mit Schadensersatzansprüchen rechnen, sollten ihre Kinder sie deswegen je verklagen. Im Zweifel könnten sich Eltern strafbar machen.

Übrigens dürfen auch die Kinder selbst ihre Fotos nicht einfach so veröffentlichen, auch wenn das auf Kanälen wie TikTok, die bei Kindern sehr beliebt sind, gang und gäbe sein dürfte: „Es ist sehr strittig, ab welchem Alter Kinder selbst darüber entscheiden dürfen. Teils wird bei 14 Jahren die Grenze gezogen, manche sagen aber auch ab 16, andere erst ab 18, mit Eintritt der Volljährigkeit.“

Aus juristischer Sicht ist die Problematik des Sharentings nicht auf Fotos beschränkt. Auch der Einsatz digitaler Technologien wie Sprachsysteme, die private Unterhaltungen aufzeichnen, oder Tracking-Apps, die den Aufenthaltsort erfassen, könnten die Persönlichkeitsrechte von Kindern tangieren. Aber das sind Fragen, die über die Arbeit von Katharina Starz hinausgehen. Sie wird schon allein bei Kinderfotos, die via Social Media verbreitet werden, „am Ende tausend Differenzierungen haben, weil es so ein weites Feld ist. Ich werde versuchen, annähernd die wichtigsten Fälle abzudecken.“ Bis dahin bleibt für Eltern nur der gute Ratschlag, lieber zweimal zu überlegen, ob es eine gute Idee ist, ein Foto ihres Kindes zu posten.

bidt-Lexikon: Sharenting

Sharenting ist ein Neologismus. Der Begriff setzt sich zusammen aus dem englischen Verb „to share“ (teilen) und  dem englischen Substantiv „parenting“ (Kindererziehung).

Damit wird beschrieben, dass Eltern in sozialen Medien Fotos, Videos oder andere Informationen ihrer Kinder teilen und so entweder einer begrenzten oder auch der breiten Öffentlichkeit zugänglich machen, sei es aus privaten Gründen oder aus kommerziellem Interesse. Aus juristischer Perspektive stellt sich die Frage, inwiefern damit die Persönlichkeitsrechte des Kindes betroffen sind. So spielt zum Beispiel sowohl das Recht am eigenen Bild eine Rolle als auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.